# taz.de -- Die Wahrheit: Die Zahlenmarter | |
> Zählen ist gar nicht so einfach. Es sei denn, man macht es sich leicht | |
> wie manche Journalisten, die sich einen Wolf rechnen. | |
Bild: Zahlenkünstler rechnen sich gern einen Knoten ins Hirn | |
Die Gehirne der Menschen lassen sich hauptsächlich in zwei feindlich | |
einander gegenüberstehende Gruppen einteilen: die einen können rechnen, die | |
anderen reden; eine kleine, dritte Gruppe kann sogar denken, aber die stört | |
nur. Die erste Gruppe hängt den exakten Wissenschaften an, also Mathematik, | |
Physik, Chemie und ähnlichen Disziplinen. Die andere hat es mehr mit den | |
Kulturwissenschaften, wo Logik und Vernunft nicht zählen, es kommt mehr so | |
auf Geschmack, Meinung, Diskussion und so an. | |
Es sind zwei Welten, die zueinander nicht kommen können. Damit nämlich den | |
Angehörigen der zweiten Kategorie, den Geistesmenschen, die Welt der | |
objektiven Zahlen nicht fremd wäre, hätten sie in der Grundschule | |
Unterricht im Rechnen haben müssen. Das ist nicht der Fall, sonst könnten | |
sie bis sechs zählen. „Fünf Soldaten getötet“, titelt die taz und führt | |
aus, dass „fünf amerikanische sowie ein afghanischer Soldat getötet worden�… | |
seien. Aber die taz kann nicht mal bis vier zählen: Sie berichtet über eine | |
Aktion Botanischer Gärten in Potsdam, Marburg, Berlin und Dresden, wo „an | |
allen drei Orten“ Bürger Pflanzenpatenschaften übernehmen sollen; oder sie | |
widmet sich unter der Überschrift „Ein Volk in drei Ländern“ den Kurden, | |
die ausweislich der beigefügten Landkarte in der Türkei, im Irak, im Iran | |
und in Syrien siedeln. Ja, selbst bis zwei zählen ist nicht so einfach: | |
„Der Blick der radikalen Linken auf Brüssel ist vor allem durch eines | |
geprägt: Ablehnung und Angst.“ (taz) | |
## Das Reich zweistelliger Zahlen | |
Nichtsdestoweniger gibt es mutige Leute, die sogar in das Reich | |
zweistelliger Zahlen vorzudringen versuchen. Konkret wendet sich den | |
Anhängern des Schriftstellers H. P. Lovecraft zu, die sich seit 1982 | |
jährlich treffen, aber „2015 wollte keine rechte Partystimmung aufkommen“, | |
denn „beim 33. Mal waren sie nicht mehr unter sich“. Dabei war es das 34. | |
Mal, weil 1982 nicht das nullte war. | |
Hapert es schon mit der Grundrechenart schlechthin, so ist es nur | |
konsequent, dass es mit der Prozentrechnung völlig schiefgeht. „Jeder | |
Fünfte traumatisiert“, titelt die Nordausgabe der taz, denn: „Rund fünf | |
Prozent der Flüchtlinge sind nach Einschätzung des schleswig-holsteinischen | |
Gesundheitsministeriums traumatisiert.“ Andere Zeitungen können es nicht | |
ganz so gut, aber probieren es: „Bei den nicht so sorgfältig durchgeführten | |
Studien profitiert nur eine von 2.000 vorsorglich untersuchten Frauen, also | |
12,5 Prozent“, meldet die Segeberger Zeitung. „Auffällig ist zudem“, | |
schreibt die Süddeutsche, „dass von den Hilfesuchenden 53 Prozent Männer | |
und 48 Prozent Frauen sind“; die Welt wiederum weiß: „Scheiterte 2008 gut | |
jeder vierte Auszubildende, liegt der Anteil mittlerweile schon bei 25 | |
Prozent.“ Trickreicher geht es die taz an: „144 Prozent – so stark ist die | |
Zahl der Integrierten Gesamtschulen gestiegen“ – ob „auf“ oder „um“… | |
nur die Götter; wie soll es ein kleiner Journalist wissen! | |
Bescheid wusste dagegen einer vom NDR, der kundtat, die Zahl der von | |
Hamburger Zollbeamten beschlagnahmten Zigaretten sei im Vergleich zum | |
Vorjahr „um mehr als 200 % zurückgegangen“. Hörer Peter Josten, der diese | |
Glanzleistung festhielt, kommentiert: „Vermutlich haben sie den Schmugglern | |
die im Vorjahr beschlagnahmten zurückgegeben, um das hinzubekommen.“ | |
Pippi Langstrumpf wusste nichts von Prozentrechnung, aber was von | |
Plutimikation; vielleicht auch von Dividation, aber vermutlich war’s ihr | |
egal wie Michel Houellebecqs Übersetzer, weshalb es im Roman „Unterwerfung“ | |
heißt: „In den problematischsten Vierteln war die Kriminalitätsrate sage | |
und schreibe um das Zehnfache gesunken.“ Und dann gibt es noch die | |
Potulenzrechnung! Die taz kann sie wie alles andere, weshalb die Quersumme | |
des Datums 11. 9. 2001 die ominiöse Sieben ergibt: „1 + 1 + 9 + 2 + 1 = 14 | |
= 7 (hoch 2)“. | |
## Theorien als subjektive Gewächse | |
Verschwörungstheorien, wie sie rund um 11-9 wuchern, sind weniger objektive | |
Theorien als subjektive Gewächse; und für den Kulturmenschen ist alles | |
subjektiv, auch die scheinbar uhrwerkhaft abrollende Zeit. Über „1984–1999. | |
Das Jahrzehnt“ vermag infolgedessen das Arte-Magazin zu berichten, weil | |
sich Zeit nach persönlichem Belieben dehnen lässt. | |
Einen Künstler, ja Rechenkünstler, beschäftigt dagegen C&A in Wuppertal. | |
Dort lockte die Firma mit einer Karo-Bluse für 12 Euro und „2 für 15,–“, | |
ergo: „Sie sparen 3,–“. Warum auch nicht? Drei Euro sind die gefühlte | |
Wahrheit, neun wären brutale, kalte Wirklichkeit. | |
Der Dreisatz ist bekanntlich höhere Mathematik und nicht für jedermann. | |
Jetzt böte sich, um endlich was Gutes über uns Kultur- und Geschmacksträger | |
zu sagen, eine Überleitung zum dialektischen Dreischritt an, für den es | |
keine Logik braucht, sondern mehr als sie. Dank ihm kann man prima | |
philosophieren, reden, schreiben! Noch besser: schweigen. | |
21 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
## TAGS | |
Journalismus | |
Mathematik | |
Sprachkritik | |
Sprachkritik | |
Gesellschaftliches Miteinander | |
Sprachkritik | |
Humor | |
Sprachkritik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Von warum, weshalb, wieso? | |
Zeit und Raum vermischen sich in der richtungslosen Rede und Schreiberei | |
von heute. Eine Sprachkritik. | |
Die Wahrheit: Das ist Fäkt, Digger! | |
Bitches brauchen keine Muschis, wenn das Englische ins Deutsche einreitet. | |
Eine Sprachkritik. | |
Die Wahrheit: Ein Tod dem Spaltung! | |
Die Gesellschaft braucht mehr Zusammenhund und besonders Schwillung. Eine | |
Analyse von Verhältnisse. | |
Die Wahrheit: Diese jene hier wie dort | |
Diesmal in der Sprachkritik: Irreführungen durch hinweisende und andere | |
Fürwörter sind keine Seltenheit. | |
Die Wahrheit: „Satire spaltet unser Wir!“ | |
Das Wahrheit-Interview: Ein Gespräch mit Linus Schwerdtfeger, Gründer des | |
Vereins „Schluss mit lustig“, über Satire und Humor. | |
Die Wahrheit: Welche Tiere Mieter halten | |
Sprachkritik der Wahrheit: Wer die Reihenfolge Subjekt, Prädikat, Objekt im | |
Satz nicht will, kann vergurken schon einmal etwas. |