# taz.de -- Kunstfälscher vor Gericht: Eine schöne Traumwelt gesucht | |
> Wut auf alles: Matthias W. hat auf ganz eigene Weise mit der DDR | |
> abgerechnet. Am Montag hat sich der 46-Jährige vor dem Berliner | |
> Landgericht erklärt. | |
Bild: Auch Bilder von Jeanne Mammen hat der Kunstfälscher W. reproduziert, hie… | |
Mit Werner Tübke begann die Karriere des Kunstfälschers Matthias W. „Es war | |
niemals meine Absicht, Kunst zu fälschen. Ich wusste gar nicht, dass ich | |
malen kann. Aber Tübke war der größte Paladin der DDR-Geschichte“, erklärt | |
der Angeklagte. Wie besessen kopierte er den Stil von Honeckers | |
Lieblingsmaler – getragen vom Wunsch, besser zu sein als dieser, um ihn am | |
Ende zu zerstören. Tübkes Witwe konnte er schließlich von seiner Behauptung | |
überzeugen, dass ihr Mann nicht nur Sozialisten porträtiert, sondern sich | |
mit seinen Bildern auch über sie lustig gemacht hätte. Da schien Matthias | |
W. der Zeitpunkt gekommen, um die Fälschung offenzulegen. | |
Doch wozu all die Mühe? Mit einem beeindruckenden Geständnis versucht der | |
46-Jährige am Montag (19. Februar 2018), dem Berliner Landgericht zu | |
erklären, warum er 47 gefälschte Skizzen und Zeichnungen erfolgreich an | |
Sammler und Auktionshäuser verkaufte. „Es war der einzige Weg, um auf die | |
Probleme in meinem Leben hinweisen zu können.“ | |
Die Stimme, mit der der breitschultrige Mann spricht, klingt tief und | |
traurig. Ruhig schildert er seine Kindheit in der DDR, die mit knapp zwölf | |
Jahren endete. 1983 kam er mit dem Einverständnis seiner Mutter und seines | |
Stiefvaters in ein Spezialkinderheim im brandenburgischen Pritzhagen, | |
später dann in diverse Jugendwerkhöfe. In diesen Einrichtungen lebten | |
Kinder und Jugendliche, die als schwer erziehbar galten, die sich nicht an | |
das DDR-System anpassen mochten. Mit harter Arbeit und militärischem Drill, | |
mit Freiheits- und Essenentzug und einem System der Selbstjustiz unter den | |
Insassen sollten sie zu wertvollen Mitgliedern der sozialistischen | |
Gemeinschaft erzogen werden. Am Ende waren sie psychisch gebrochen. | |
Matthias W. musste sechs Jahre dort verbringen – bis 1989 die politische | |
Wende kam. | |
Die Wut auf alles, was politisch links einzuordnen ist, führte ihn zu den | |
politisch Rechten. Er wurde straffällig, fiel mit Raub, Körperverletzung | |
und immer wieder wegen Fahren ohne Führerschein auf, bis er schließlich die | |
Kunst für sich entdeckte: „Ich habe wahrscheinlich eine schöne Traumwelt | |
gesucht.“ Er beschäftigte sich mit deren Geschichte und Berühmtheiten, bald | |
kannte er sich aus. Er stieg in die Villen der reichen Westberliner ein und | |
stahl das, was deren Bewohner seiner Meinung nach in solchem Überfluss | |
besaßen, dass sie es ungenutzt in ihren Kellern lagerten. | |
## Für die Vergangenheit geschämt | |
2009 wurde Matthias W. das vorletzte Mal verurteilt, zu fünfeinhalb Jahren | |
Haft. Es war seine 14. Verurteilung. In der Haft besuchte er eine Therapie | |
und beschäftigte sich erstmals mit seiner Vergangenheit, für die er sich | |
zuvor nur geschämt hatte. Er kümmerte sich um seine Entschädigung aus dem | |
Fonds für ehemalige DDR-Heimkinder. Seine Unterlagen habe er sich bei den | |
brandenburgischen Behörden besorgt. In den Büros traf er auf seine | |
ehemaligen Peiniger. „Wie kann das sein?“, fragte sich Matthias W. | |
Als er 2014 aus dem Gefängnis entlassen wurde, lagen mehr als 18 Jahre Haft | |
hinter ihm. W. wollte sich zum Bürokaufmann ausbilden lassen. „Mein Ziel | |
war es, in der Stasi-Unterlagenbehörde zu arbeiten und dort den Betroffenen | |
zu helfen.“ Er meldete sich bei der Union der Opferverbände kommunistischer | |
Gewaltherrschaft, besuchte Veranstaltungen und sprach mit vielen Menschen. | |
Mit Wimpelzeichen markierte er die Eingangsschilder von Orten, in denen | |
Kinder und Jugendliche leiden mussten. Bis er plötzlich ein Foto von Angela | |
Merkel erblickte. | |
Auf diesem überreichte die Bundeskanzlerin einen Scheck der | |
Henry-Maske-Stiftung. Das Geld war für das Jugendheim Gerswalde bestimmt, | |
das von einer Frau repräsentiert wurde, „die mir zu Ostzeiten das Leben | |
schwer gemacht hatte“, sagt W. Auf Facebook kommentierte er diese Aufnahme | |
damals: „Als würde Konrad Adenauer für eine lachende Aufseherin eines | |
ehemaligen Konzentrationslagers 5.000 Mark spenden und somit das ehemalige | |
KZ in ein Jugendwohnhotel verklären, um weitere brutale Aufseher beruflich | |
zu sichern.“ | |
Die namentlich benannte ehemalige „Aktivleiterin“ zeigte W. daraufhin | |
wegen übler Nachrede an, das Opfer erhielt einen Strafbefehl. „Da habe ich | |
meinen Glauben an die Gesellschaft und den Staat verloren“, so der | |
Angeklagte. „Es ging mir nichtum Rache, aber ich wollte mit meinen Mitteln | |
die Dinge an die Öffentlichkeit bringen.“ | |
## Fast 50 Werke gefälscht | |
Er fälschte Tübke, den er nicht verkaufte, und schließlich Künstler, die | |
unter der faschistischen Diktatur zu leiden hatten. „Ich sah in meinem | |
Problem einen Zusammenhang mit ihrem Problem. Ich wollte, dass man sich | |
durch meine Fälschungen noch mal mit den Künstlern befasst.“ Und er wollte | |
seinem Vater ein Denkmal setzen: Dieser Mann, der ebenfalls am DDR-System | |
gescheitert und mit 36 Jahren gestorben war, sollte der angebliche Besitzer | |
der 47 gefälschten Werke von Maximilian Lenz, Jeanne Mammen, Albert | |
Weisgerber, Emil Orlik, Eduard Thöny, Karl Schmidt-Rottluff und Thomas | |
Theodor Heine und der über 100 August-Sander-Fotos gewesen sein und stets | |
als Sammler genannt werden, darauf bestand W. beim Verkauf. | |
Im Februar 2017 flog der Schwindel auf: Händler hatten sich mit ihren | |
Zweifeln über den neu aufgetauchten Nachlass an die Polizei gewandt. W. | |
gestand alles. „Ich hatte das Gefühl, er wollte wirklich einen | |
Schlussstrich ziehen“, bekundete der Ermittlungsführer am Montag im | |
Zeugenstand. | |
Doch W.s Traurigkeit blieb. Er trank und brach wieder in Villen ein. Aus | |
einer stahl er Geld und Autoschlüssel, in einer weiteren fand er | |
Kunstgegenstände und 20 Gemälde, die er verkaufte. Anschließend drapierte | |
er am Tatort eine Art Bekennerschreiben. | |
„Das hält einen in Atem“, bekannte der Ermittlungsführer. Er hatte die | |
Verhaftung von W. veranlasst. „Ich kann Sie immer noch sehr gut leiden“, | |
sagte Matthias W. zu dem Beamten. Mit einem freundlichen Lächeln antwortete | |
dieser: „Machen Sie was aus Ihrem Talent!“ | |
19 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Uta Eisenhardt | |
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