# taz.de -- Shorttrack bei den Winterspielen 2018: Hier schmilzt das Eis | |
> Beim Shorttrack zeigt Südkorea olympische Gefühle: Die einheimische | |
> Siegerin weint, eine Konkurrentin wurde sogar bedroht. | |
Bild: Trotz Attacken auf dem Weg zu Silber: Kim Boutin aus Kanada | |
GANGNEUNG taz | Das Herz von Olympia, ganz klar, schlägt in der Eisarena | |
von Gangneung. Erfolge der südkoreanischen Shorttracker sorgen regelmäßig | |
für Extrasystolen. Hier ist die Stimmung prächtig, manchmal schwappt sogar | |
eine Welle der Begeisterung durchs Rund. Die Ränge sind voll, weswegen die | |
deutsche Läuferin Anna Seidel auch sagt, dass sie es mit ihrer Sportart bei | |
diesen Spielen gut erwischt hat. | |
Die Dresdnerin befindet sich im olympischen Epizentrum. Andere Sportstätten | |
kennt sie nur vom Hörensagen, denn ihr Sportdirektor, Robert Bartko, hat | |
verfügt, dass Athleten der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft keine | |
anderen Wettkämpfe besuchen dürfen, solange sie selbst noch nicht durch | |
sind. | |
Sie bewegt sich also par ordre du mufti in einem engen Korridor der | |
Wahrnehmung. Ihre Neugier wird kuratiert von einem Verband, der | |
offensichtlich nicht verstanden hat, was Olympische Spiele ausmachen. | |
Athletinnen und Athleten von der Vielfalt des Sports und dem bunten Treiben | |
auszuschließen, damit sie dann Platz zehn, zwölf oder 16 belegen, das ist | |
kleinkariert – und typisch deutsch. Anna Seidel hat sich damit abgefunden. | |
Die 19-Jährige ist schlau genug, nicht direkt gegen den Verband zu | |
opponieren. Aber was sie von Bartkos Vorgabe hält, das kriegt man auch so | |
mit. | |
Der Shorttrack-Abend beginnt mit einem Auftritt der Band No Brain. Der | |
Sänger fühlt sich anscheinend als Wiedergänger von Johnny Rotten, er | |
kreischt animalisch, und ein paar koreanische Mädchen finden diese Variante | |
des K-Punk total abgefahren. Später dann tritt eine HipHop-Blaskapelle samt | |
Tuba auf, die ihre Coolness-Attitüde nicht weniger ambitioniert in die | |
Ränge trötet. Als dann der unvermeidliche Psy mit seinem Gangnam Style | |
gespielt wird und die besten Tanzeinlagen auf dem Videowürfel gezeigt | |
werden, da johlt das Publikum nur noch. Ob das dem südkoreanischen | |
Präsidenten Moon Jae-in gefällt, der extra in die Halle gekommen ist und | |
vom Publikum sehr freundlich willkommen geheißen wurde? Warum nicht. | |
## Morddrohungen | |
Dass ein Staatspräsident uneingeschränkt positiv aufgenommen wird, das ist | |
ja bei den Olympischen Spielen und auch anderswo keine | |
Selbstverständlichkeit mehr, man denke nur an den Auftritt des | |
brasilianischen Präsidenten Michel Temer bei der Eröffnungsfeier der | |
Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro. Der Politiker wurde | |
ausgepfiffen. So etwas ist in Südkorea wohl undenkbar, in einem Land, in | |
dem Freundlichkeit und Selbstbeherrschung zu den obersten Tugenden gehören, | |
weswegen auch die kanadische Läuferin Kim Boutin nett beklatscht wird, als | |
sie zum ersten Mal aufs Eis tritt, um am Vorlauf über 1.500 Meter | |
teilzunehmen. | |
Kim Boutin hat über 500 Meter zu Beginn der Spiele eine Bronzemedaille | |
gewonnen. Aber diese Tatsache hat die Gemüter in Südkorea natürlich nicht | |
erregt, sondern die Disqualifikation ihres Shorttrack-Stars Choi Min-jeong. | |
Sie hatte sich mit der Kanadierin in der Kurve eine Rangelei geleistet. | |
Beide hatten mit den Armen gearbeitet, aber die gestrenge Jury hatte nur | |
die Südkoreanerin disqualifiziert. Silber war futsch, das Land in Trauer. | |
Anstatt die Wut an der Jury auszulassen, wurde der Instagram- und | |
Twitter-Account von Kim Boutin zugespamt. | |
Ein Shitstorm ging auf sie nieder. Sie wurde beschimpft, wie das in den | |
sozialen Netzwerken ja nicht so selten vorkommt. Das kanadische | |
Olympiakomitee leitete wegen Morddrohungen sogar eine Untersuchung ein. | |
„Die Gesundheit und Sicherheit aller unserer Teammitglieder hat höchste | |
Priorität“, hieß es in einer Stellungnahme. IOC-Sprecher Mark Adams sagte: | |
„Keiner von uns kann die sozialen Medien kontrollieren, die Öffentlichkeit | |
hat das Recht zu sagen, was sie möchte – aber wir möchten jeden bitten, | |
Athleten zu respektieren.“ | |
Die Kanadierin schloss ihre Accounts und trat zum nächsten Rennen an, als | |
sei nichts geschehen. Die 23-Jährige wurde über 1.500 wieder Dritte. Und | |
zur Freude der Südkoreaner lief Choi diesmal zum Sieg – in einer Weise, die | |
spektakulär war. Die 19-Jährige hatte im Ziel locker zehn Meter Vorsprung | |
vor der Chinesin Jinyu Li, 17. So ein erfolgreicher Ausreißversuch ist in | |
einem Shorttrack-Finale in etwa so selten wie der Sieg einer Snowboarderin | |
in einem olympischen Super-G (siehe Ester Ledecká). | |
„Das waren doch nur ein paar Koreaner, die das gemacht und mich attackiert | |
haben“, beschwichtigte Boutin nach den Drohungen gegen sie, „das lässt sich | |
nicht verallgemeinern.“ Der Sport sei so interessant, „da sollten wir uns | |
nicht wegen solcher Dinge heiß machen“. Aber wenn das Wohl und Wehe einer | |
Sportnation davon abhängt, dann kann man schon mal die Nerven verlieren, | |
wie zum Beispiel Lokalmatadorin Shim Suk-hee, Staffel-Olympiasiegerin von | |
Sotschi, die bereits im ersten 1.500-Vorlauf ohne Fremdeinwirkung in die | |
Bande rutschte. Aus und vorbei. | |
Das passierte im Halbfinale auch Anna Seidel. Die Deutsche schob es aufs | |
„brüchige Eis“, Shim könnte freilich auch ein Opfer ihrer Anspannung | |
geworden sein. Ein Skandal um ihre Person hatte noch vor den Spielen den | |
koreanischen Shorttrack-Verband durchgeschüttelt. Shim war von einem | |
Trainer geschlagen worden. Der Coach, der sagte, er habe die widerspenstige | |
Athletin mit einer Schelle zu mehr Leistung anstacheln wollen, wurde | |
suspendiert. Weil Shim sich im Rennen selbst schlug, lief Choi ins | |
Rampenlicht, eine Athletin, von der es heißt, sie scheue auch vor einem | |
Achtstunden-Trainingstag nicht zurück. | |
## Pressekonferenz mit Streberbrille | |
Wie die Musterschülerin eines Eliteinternats saß Choi dann auf dem Podium | |
vor der Presse, kerzengerade und mit Streberbrille, beherrscht bis in die | |
Haarspitzen. Zu ihrer Linken eine grinsende Kanadierin, von der man nicht | |
so genau wusste, worüber sie sich lustig macht – über die superkurzen | |
Antworten der jungen Chinesin oder das ebenso stocksteife wie coole | |
Auftreten der Südkoreanerin. Choi, die – großen Sensation! – nach dem Sieg | |
sogar geweint haben soll, gab immerhin zu Protokoll, dass sie im | |
500-Meter-Rennen zu aggressiv gewesen sein, was man als ein teilweises | |
Schuldeingeständnis werten darf. Beide, Choi und Boutin, lächelten sich | |
dann auch noch sehr nett zu. Die Sache ist also vergessen. Südkorea hat eh | |
Gold, das zweite nach Lim Hyo-juns Sieg über 1.500 Meter bei den Männern. | |
Und das nächste Gold kommt sogleich: Am Dienstag ist 3.000-Meter-Staffel, | |
ein besonderes Spektakel mit den Damen Kim, Shim, Choi und Lee. No Brain | |
wird hoffentlich auch wieder spielen. | |
18 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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