| # taz.de -- Filmdrama über Paarbeziehung: Wenn sein Toast knirscht | |
| > Beginnt diese Liebe gerade oder ist sie schon vorbei? Paul Thomas | |
| > Andersons „Der seidene Faden“ erzählt von einer mysteriösen | |
| > Partnerschaft. | |
| Bild: Daniel Day-Lewis spielt ohne jede Attitüde einen Mann mit viel Attitüde | |
| Man sagt es oft über einen schlechten Film, aber es kann auch das höchste | |
| Lob für einen guten Film sein: dass man nicht weiß, worum es darin | |
| eigentlich geht. Paul Thomas Andersons „Der seidene Faden“ beginnt mit dem | |
| Gesicht einer jungen Frau (Vicky Krieps). Einem zunächst unsichtbar | |
| bleibenden Gegenüber scheint sie Fragen zu beantworten. Ein Mann namens | |
| Reynolds habe all ihre Träume wahr gemacht, sagt sie ernst. Fast glaubt man | |
| sich als Zuschauer in einer Satire, wenn als Nächstes in einer | |
| Szenenmontage dieser Reynolds, gespielt von Daniel Day-Lewis, bei seiner | |
| Morgentoilette vorgestellt wird: Der grauhaarige, hagere Mann, der da | |
| morgens in seine Hosen steigt, sich mit Gusto das Kinn rasiert und mit | |
| löblicher Sorgfalt das Nasenhaar schneidet – soll die Träume einer jungen | |
| Frau erfüllen? | |
| Am liebsten würde man auflachen, aber da ist die Musik, die Drama anmahnt, | |
| da ist der Rhythmus der Bilder, der dem Mann und seiner Körperpflege | |
| getragenen Respekt erweist, und da ist das verhaltene Lächeln von Daniel | |
| Day-Lewis, das einen in Bann schlägt. Er spielt völlig ohne Attitüde einen | |
| Mann, der fast nur aus Attitüde zu bestehen scheint. | |
| Reynolds ist Couturier – ob die junge Frau die schönen Kleider meint, die | |
| er ihr entworfen hat? Immerhin erfährt man bald, wie sie sich begegnet | |
| sind. Um den Nachwehen einer Trennung zu entkommen, ist Reynolds aufs Land | |
| gefahren. Seiner mit ihm zusammenlebenden Schwester Cyril (Lesley Manville) | |
| hat er den Auftrag gegeben, die entsprechende Frau mit dem „Oktoberkleid“ | |
| abzufinden. | |
| Nun also sitzt er in einem Gasthaus an der Küste Yorkshires und beobachtet | |
| eine der Serviererinnen, wie sie kurz aus dem Tritt gerät. Über die | |
| gedeckten Tische hinweg kommt es zum Blickwechsel, die junge Frau errötet | |
| lächelnd und nimmt kurz darauf seine Bestellung auf. Sie flirten über | |
| pochierten Eiern und Scones. Später lädt er sie zum Abendessen ein, sie | |
| legt ihm einen Zettel hin, den sie in der Schürze versteckt hatte: „Für den | |
| hungrigen Jungen – mein Name ist Alma“ steht darauf. Als Zuschauer ist man | |
| noch einmal verwirrt. Wer verführt hier wen? Ist das der Beginn einer | |
| großen Liebe – oder ein großes Missverständnis? | |
| Vielleicht müsste man es neutral formulieren: „Der seidene Faden“ erzählt | |
| eine Beziehungsgeschichte, aber er erzählt sie nicht herkömmlich als Auf | |
| und Ab der Gefühle, sondern mehr als ein Hin und Her der Machtverhältnisse. | |
| Die wiederum drücken sich in profanen, sprechenden Details aus, wie der | |
| Laune am Frühstückstisch: Wenn einen der andere damit nervt, dass sein | |
| Toast beim Bestreichen knirscht und sein Löffel beim Umrühren klimpert, ist | |
| es vorbei, oder? „Von einem schlechten Frühstück erholt er sich manchmal | |
| einen ganzen Tag lang nicht“, sagt warnend Cyril über ihren Bruder | |
| Reynolds. | |
| ## Jede Szene liefert neue Indizien – und neue Rätsel | |
| Die Geschichte des eitlen Narzissten, der nicht richtig lieben kann, weil | |
| er seine Arbeit und sich selbst zu wichtig nimmt, hat man schon oft | |
| gesehen. Die Story der jungen Frau, die mit „Natürlichkeit“ und „Unschul… | |
| diesen Starrsinn durchbricht, ist fast schon Rosamunde-Pilcher-Stoff. | |
| Anderson aber erzählt etwas Eigenartiges, gegen den Strich Laufendes, das | |
| mit dem vertrauten Geschlechterdiskurs irritierend wenig zu tun hat. | |
| Dazu trägt die cineastisch aufgeladene Unwirklichkeit bei, in die alles | |
| getaucht ist. Zwar weisen Mode und Automarken auf die 50er Jahre hin, aber | |
| nie fällt eine konkrete Jahreszahl. Der Gasthof an der Bucht, das | |
| verwinkelte Haus, in dem Reynolds und seine Schwester leben und arbeiten – | |
| es liegt mehr als nur ein Hauch von Hitchcocks „Rebecca“ über dem Ganzen. | |
| Hinzu kommt besagte Unsicherheit: Was tun sich die Figuren hier an? Ist es | |
| Hass? Ist es Hingabe? Ist es Hinterhalt? Jede Szene liefert neue Indizien – | |
| und neue Rätsel. | |
| „Der seidene Faden“ ist ein Film voller verzwickter Hinweise, die Anderson | |
| mit fast trügerisch flüssiger Eleganz arrangiert. Die glatte Oberfläche und | |
| das Modethema locken mit 50er-Jahre-Üppigkeit, aber darunter drohen Mystery | |
| und – Leere. Aber genau das macht den Film auf besonders intensive Weise | |
| sehenswert: Der Zuschauer kann immer wieder Neues darin entdecken, Muster | |
| ausmachen – ohne das Gefühl zu haben, vom Autor auf Schnitzeljagd geschickt | |
| zu werden. | |
| Noch auf einer anderen Ebene erweist sich „Der seidene Faden“ als Film | |
| voller Überraschungen: So spielt die Luxemburgerin Vicky Krieps hier den | |
| großen Meister Daniel Day-Lewis fast an die Wand – der wiederum in seinem | |
| angekündigt letzten Filmauftritt mit geradezu geschäftsschädigender | |
| Zurückhaltung glänzt. Und dann wäre da noch Lesley Manville, die ihrer | |
| Cyril mit strenger Fasson und wenigen trockenen Sätzen eine Präsenz | |
| verleiht, die einem Regiment gleichkommt. Alle drei hätten sie Oscars | |
| verdient, Day-Lewis und Manville sind nominiert. | |
| 1 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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