# taz.de -- Kinofilm „Inherent Vice“: Alles einfach nehmen, wie’s kommt | |
> Die Thomas-Pynchon-Verfilmung von Paul Thomas Anderson ist so stoned wie | |
> ihr Held. Enjoy the ride. Straight is hip. Go with the flow. | |
Bild: Vernebelter Blick, prächtige Koteletten: Joaquin Phoenix als Doc Sportel… | |
Es geht nicht darum, bekifft Filme, sondern bekiffte Filme zu drehen. | |
Schönes, bewunderungswürdiges Ziel. Und Paul Thomas Anderson hat es | |
geschafft: „Inherent Vice“ ist so stoned wie sein Held, Private Eye Doc | |
Sportello, von Joaquin Phoenix mit Joint, vernebeltem Blick und prächtigen | |
Koteletten gespielt. | |
Ein Privatdetektiv, wie er im Buch steht, wenngleich es ein merkwürdiges | |
Buch ist, nicht Raymond Chandler, sondern Thomas Pynchons Versuch, Los | |
Angeles an dem Punkt, an dem es vom Hippie-Love-in der Sechziger in den | |
finsteren Charles-Manson-Alptraum gekippt ist, weniger zu erinnern und | |
festzuhalten, denn als Genre-Phantasmagorie herauf- und in einen | |
labyrinthischen Plot hinein zu beschwören. | |
Es fehlt darum nichts. Ist nur viel zu viel. Ein Ausstattungsfilm, der | |
seine Vergangenheit mit Absicht übermöbliert. Der auch, wie sich das für | |
Pynchon gehört, ein Sortiment begnadet durchgeknallter Namen für seine | |
Figuren erfindet, die nicht Schall und Rauch sind, sondern von ihrer | |
eigenen Fiktionalität zeugen, aber auch der Erfindungslust ihres Autors, | |
der nicht in Telefonbüchern nachschlägt, sondern an allen Ecken und Enden | |
seiner Welt etwas Schönes oder Verrücktes platziert (kurze Liste: Sauncho | |
Smilax, Esq.; Petunia Leeway; Adrian Prussia; Dr. Lily Hammer; Agent | |
Borderline und Agent Flatweed; etc. pp.). | |
Es beginnt mit einer Frau, Shasta Fay Hepworth (Katherine Waterston), die | |
zurückkehrt, weil der Mann, für den sie Doc Sportello verließ, nicht mehr | |
da ist. Womöglich entführt. In der Irrenanstalt. Oder schon tot. Vielleicht | |
hat eine Neonazi-Motorradrockerbande etwas damit zu tun. Das weiß Doc | |
Sportello doch nicht, der tapfer ermittelt, der aus einer ganz anderen Ecke | |
einen Hinweis auf dieselben dunklen Zusammenhänge erhält (Notiz an sich | |
selbst: Paranoia?), der bei der Ermittlung in einem Bordell mit sehr | |
expliziten Pussy-Menus einen Schlag auf den Hinterkopf bekommt, was ihn zum | |
einen unter Mordverdacht bringt und zweitens seinem Geisteszustand nicht | |
unbedingt zuträglich ist. Andererseits: auch schon egal. | |
## Man kennt sich, man schlägt sich, man verträgt sich | |
Doc Sportello hat eine Nemesis im Polizeirevier, Lieutenant Detective | |
Christian F. „Bigfoot“ Bjornson, Brutalo und arme Sau, mit Nebenjobs als | |
Darsteller in TV und Werbung. Man kennt sich, man schlägt sich, man | |
verträgt sich. Josh Brolin spielt ihn als verletzlich-mordsgefährlichen | |
straight man gegen Joaquin Phoenix’ bekifften Privatdetektiv, der | |
dauerverwundet waidwund laid-back durch diesen Späthippie-Themenpark | |
schleicht, stolpert oder in einer Slapstickszene sich auch einmal am | |
Scheibenwischer eines Autos verfängt. (Das gibt Ärger.) | |
Gelegentlich, so zum Beispiel am Anfang, ist eine Stimme zu hören, eine | |
Erzählerin spricht, sie scheint den Durchblick zu haben, aber wer weiß, sie | |
spricht nicht sehr oft, aber in etwas hochgestochenem Ton, zugeordnet ist | |
sie einer Nebenfigur dieses Films, Sortilège, und sie wird – eigenwilliges | |
und begnadetes Casting – von der Weird-Folk-Musikerin Joanna Newsom | |
gespielt. | |
Wo es der Erzählung an Binnenlogik gebricht, übernimmt die immer tolle | |
Musik – der Soundtrack wieder vom Radiohead-Gitarristen Johnny Greenwood, | |
daneben viel Zeitgenössisches, reichlich Neil Young. Aber was heißt schon | |
„Logik“, was heißt schon „gebricht“. „Inherent Vice“ ist ein Film … | |
Geisterhaus, in dem jeder Gang irgendwohin führt, auf einen weiteren Abweg, | |
vielleicht gar ins Zentrum, das dann aber auch wieder nur eine Klapse in | |
den Outskirts gewesen sein wird mit dem wunderbaren Motto „Straight is hip“ | |
über der Tür. | |
Dabei gibt es einen Schlüssel, der alles aufsperrt, aber wenn dann eine | |
nach der anderen alle Türen aufgesperrt sind, wird man feststellen müssen, | |
dass sich hinter jeder von ihnen vor allem eins wieder findet: eben der | |
Schlüssel, darauf steht „Golden Fang“. Das ist der Name einer Gang, eines | |
Schiffs, das einmal fünfzig Jahr im Bermudadreieck gesteckt hat, oder | |
einfach von allem, was im Krimiplot des Films überhaupt eine Rolle gespielt | |
hat. | |
Guter Rat ist also billig: Auf Auflösung gar nicht hoffen, oder wissen, | |
dass alle Auflösung Schall und Rauch ist. Alles einfach nehmen, wie’s | |
kommt. Die Kamera filmt mit einer Art antizipiertem Zuschauerblick alles | |
immer von unten nach oben. Da blickt man halt nach Möglichkeit mit. Enjoy | |
the ride. Straight is hip. Go with the flow. | |
11 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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