| # taz.de -- Gentrifizierung: Kampf um den Pappelpark | |
| > Die Freireligiöse Gemeinde braucht Geld, denn sie kämpft ums Überleben. | |
| > Darum will sie einen Teil ihres Friedhofs bebauen. Es formiert sich | |
| > Widerstand. | |
| Bild: Noch ist alles schön friedlich hier: Im Friedhofspark in der Pappelallee | |
| An diesem grauen Montagvormittag ist keine Menschenseele unterwegs auf dem | |
| kleinen, verwunschenen Friedhofspark zwischen Pappelallee und Lychener | |
| Straße in Prenzlauer Berg. Anke Reuther, Vorstand des Vereins der | |
| Freigeistigen Gemeinschaft, der zur Freireligiösen Bewegung gehört, steht | |
| vor dem Grabstein Wilhelm Hasenclevers und unterstreicht mit forscher | |
| Geste, welches Erbe es hier zu pflegen gilt. Der Journalist und | |
| SPD-Politiker Hasenclever wurde bekannt, weil er mit Wilhelm Liebknecht | |
| den Vorwärts gründete. | |
| „Hasenclever hat die kleinen Leute aus den Arbeiterbildungsvereinen in die | |
| Partei geholt“, erzählt Reuther, die selbst in einem sozialdemokratischen | |
| Elternhaus groß geworden ist und zu Wendezeiten bei der Gründung der | |
| Sozialdemokratischen Partei der DDR aktiv war. Aber Hasenclever und die | |
| anderen prominenten BerlinerInnen, die hier liegen, sind nicht der einzige | |
| Grund, warum Anke Reuther der Friedhofspark am Herzen liegt. Weshalb sie | |
| ihn unbedingt erhalten will. | |
| Warum sie ihn dafür sogar teilweise bebauen würde, wenn die | |
| Gemeindemitglieder das so beschließen sollten. | |
| Und weshalb sie sich so über eine Bürgerinitiative ärgert, die sich nun | |
| gegen diese Bebauungspläne starkmacht. | |
| ## Geschenk vor der Märzrevolution | |
| Diese 6.000 Quadratmeter stillgelegter Friedhof mit den hohen Bäumen, dem | |
| kleinen Spielplatz in der Ecke, der offenen Tür zur Pappelallee und der | |
| verschlossenen zur Lychener Straße hin gehören der Freireligiösen Bewegung | |
| seit 170 Jahren. Kurz vor der Märzrevolution schenkte der Gutsbesitzer | |
| Wilhelm Griebenow der Gemeinde das Land. Die Bewegung hatte sich gerade | |
| eben erst aus reformorientierten Kreisen der katholischen und evangelischen | |
| Kirche gegründet. Der Religionsbegriff der Freireligiösen heute beinhaltet | |
| pantheistische und auch atheistische Positionen. Manche bezeichnen sich als | |
| Humanisten. | |
| Doch das 20. Jahrhundert war keine leichte Zeit für die Freireligiöse | |
| Bewegung. Zur Nazizeit wurde sie verboten – und auch die DDR setzte sie | |
| nicht wieder in ihre Rechte ein. Erst 1998 erhielt die Gemeinde den | |
| Friedhof und angrenzende Gebäude zurück, in denen heute unter anderen das | |
| Ballhaus Ost mietet. Die Gebäude waren völlig runter, so Reuther, man | |
| musste schnell verkaufen. Man hätte es sich damals nicht einmal leisten | |
| können, wenn die Mieter neue Durchlauferhitzer verlangt hätten. | |
| Die Freireligiöse Gemeinde in Ostberlin besteht aus gerade mal 30 Personen. | |
| Vom Verkauf der Gebäude in der Pappelallee mitsamt Feierhalle aus rotem | |
| Backstein, die ebenfalls vom Ballhaus Ost genutzt wird, lebt die Gemeinde, | |
| so Reuther, bis heute. Unter anderem mietet man einen Büroraum sieben | |
| Häuser weiter, in dem sich auch ein Zentrum zur Erforschung der | |
| Freireligiösen Bewegung mitsamt Bibliothek und Archiv befindet. Geld für | |
| die Instandsetzung des Friedhofs sei aus dem Verkauf nicht übrig geblieben. | |
| Dass die Gemeinde und ihr Kampf um den Friedhof es immer wieder in die | |
| Presse schafften, hat viel mit diesem Überlebenskampf zu tun. Als die | |
| Gemeinde 1998 den Park übernahm, war er gerade von EU-Geldern instand | |
| gesetzt worden, waren noch beide Türen offen, es gab viel Transitverkehr | |
| von Fußgängern, die den Park als Abkürzung nutzten und viel Müll | |
| hinterließen. | |
| ## Es kam zu Streit | |
| Darum schloss die Gemeinde die Tür an der Lychener Straße und überließ nur | |
| ein paar Kitas Schlüssel. Es kam zu Streit. Kinder wie Eltern traten immer | |
| fordernder auf. Reuther gibt freimütig zu, dass das alles auch viel mit | |
| jener berüchtigten neuen Klientel im Kiez zu tun hat, die sich nicht nur | |
| laut dem Klischee gern mal nach Gutsherrenart benimmt. | |
| Und nun die Bürgerinitiative. Laut Anke Reuther wurde sie von einem | |
| Anwohner aus den eigenen Reihen namens Thomas Reimer ins Leben gerufen, | |
| der, wie zu vermuten ist, nur Vereinsmitglied wurde, um diesen Bau zu | |
| verhindern. Sie fühlt sich ausspioniert. In einem Gründungsaufruf wirft | |
| Reimer der Gemeinde vor, mehr an einem lukrativen Geschäft als an dem | |
| Gartendenkmal Friedhofspark interessiert zu sein. Am Montag war er bis | |
| Redaktionsschluss nicht zu erreichen. | |
| Auch die resolute Kämpferin Anke Reuther könnte sich Schöneres vorstellen, | |
| als einen Teil des Parks zu bebauen – selbst wenn es „nur“ auf eine | |
| Häuserreihe an der Lychener Straße hinauslaufen würde. Aber für sie geht es | |
| ums Überleben der Gemeinde. Vor wenigen Jahren machte der Bezirk das | |
| Angebot, den Park instand zu setzen, wenn er öffentlich werde. Die | |
| Gemeinde, der Enteignung und Marginalisierung noch in den Knochen stecken | |
| lehnte ab. | |
| Reuther wusste, dass auf diese Art kein Leise-Park entstehen würde. Der | |
| Leise-Park, kaum drei Kilometer weiter südlich in Prenzlauer Berg, wird oft | |
| als bestes Beispiel für ein harmonisches Nebeneinander von öffentlicher | |
| Nutzung und Gedenkkultur genannt – das Nebeneinander von Spielplatz und | |
| Grabsteinen funktioniert wunderbar. Allerdings war der Vertragspartner des | |
| Bezirks beim Leise-Park die evangelische Kirche. Und die hat eben andere | |
| Mittel als eine Gemeinde mit 30 Mitgliedern. | |
| ## Geschichten über Geschichten | |
| Viel über ihren Park zu berichten weiß Anke Reuther an diesem grauen Morgen | |
| im Park: Über ein Massengrab für 150 Menschen, die bei der Schlacht um | |
| Berlin im April und Mai 1945 ums Leben kamen. Über die Gräber von Heinrich | |
| Roller, Agnes Wabnitz, Robert Brauner. Über die Stilllegung 1970, die | |
| Verwahrlosung um 1990. | |
| Es wäre schön, wenn der Park eines Tages die Geschichten erzählen könnte, | |
| die sie zu erzählen weiß. Und sei es zum Preis der Bebauung. | |
| 30 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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