# taz.de -- Ärztin über medizinisches Cannabis: „Viel Aufklärungsarbeit n�… | |
> Neue Zahlen zeigen: Medizinisches Cannabis wird stärker nachgefragt als | |
> gedacht. Was sagt eine Ärztin dazu, die täglich mit Cannabis zu tun hat? | |
Bild: Medizinisches Cannabis wandert in immer mehr Apotheken über den Ladentis… | |
Cannabis auf Rezept wird stärker nachgefragt als erwartet: Seit die Pflanze | |
im März 2017 als [1][Medikament zugelassen] wurde, gingen bei den drei | |
größten gesetzlichen Krankenkassen Techniker, Barmer und AOK-Bundesverband | |
laut einer aktuellen [2][Umfrage] der Rheinischen Post über 13.000 Anträge | |
ein. Im Gesetzentwurf für die Zulassung von Cannabis als Medikament wurde | |
nur mit knapp 700 Patient*innen pro Jahr gerechnet. Die Genehmigungsquote | |
lag bei allen drei Kassen bei über 60 Prozent. | |
taz: Frau Milz, überraschen Sie die aktuellen Zahlen? | |
Eva Milz: Dass 13.000 Patienten in den vergangenen zehn Monaten einen | |
Antrag stellen konnten, zeigt, wie wichtig die Legalisierung war. Was mich | |
überrascht, ist, dass 60 Prozent der Anträge genehmigt werden. Ich erlebe | |
eine deutlich schlechtere Quote. Aus meiner Praxis würde ich schätzen, dass | |
jeder dritte Antrag durchkommt. Allerdings muss man dazu auch sagen, dass | |
ich nur privatärztlich tätig bin und Patienten bei der Antragstellung | |
unterstütze. Als Psychiaterin habe ich es zudem mit Patienten zu tun, die | |
es oft deutlich schwerer haben, einen Antrag auf medizinisches Cannabis | |
genehmigt zu bekommen, denn bei psychiatrischen Patienten wird sehr oft | |
eine Suchterkrankung unterstellt. | |
Seit wann verschreiben Sie Cannabis-Produkte? | |
Ich bin ausgebildete Psychiaterin, habe aber auch als Medizinjournalistin | |
gearbeitet. Ich habe viel Aufklärungsarbeit mit | |
Anti-Stigmatisierungskampagnen gemacht und war in Suchthilfeeinrichtungen | |
tätig. Dabei kam ich immer wieder auch mit Patienten mit Multipler Sklerose | |
in Kontakt, wo das Potenzial von medizinischem Cannabis erkannt wurde. Als | |
ich mich im Mai 2015 mit meiner Praxis niedergelassen habe, habe ich | |
begonnen, für Patienten Ausnahmegenehmigungen zu beantragen. | |
Wer sind Ihre Patient*innen? Gibt es da Gemeinsamkeiten? | |
Das ist ein repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft, also nicht die | |
typischen Kiffer-Junkie-Klischees. Wenn ich unter 100 Menschen 10 | |
Cannabis-Patienten verstecke, würde die keiner erkennen. | |
Wie lauten denn die häufigsten Beschwerden, mit denen Patient*innen zu | |
Ihnen kommen? | |
Es kommen Patienten mit der gesamten Palette an psychiatrischen und | |
psychosenahen Erkrankungen zu mir. Aber auch Menschen mit | |
Auto-Immunerkrankungen wie Morbus Crohn, Multipler Sklerose, | |
Schlafstörungen, Krebspatienten in der Chemotherapie, Unfallpatienten, | |
Querschnittslähmungen. Unter den psychiatrischen Patienten liegt der | |
Schwerpunkt auf ADHS-Erkrankungen, ansonsten vorrangig Schmerzpatienten. | |
Als vor rund zehn Monaten beschlossen wurde, medizinisches Cannabis zu | |
legalisieren, wurde prognostiziert, dass das Gesetz missbraucht werden | |
könnte, um den Konsum von Kiffern zu finanzieren. Was sind Ihre | |
Erfahrungen? | |
Versuchen tun das viele. Aber die beißen sich die Zähne aus, denn es gibt | |
ja einige Hürden, um Cannabis auf Rezept zu erhalten. Ohne Grunderkrankung | |
und ohne leitlinientreue Vorbehandlung stelle ich kein Rezept aus. Nur, | |
wenn ich eine Vorbehandlung sehe, die Sinn macht, also wenn verschiedene | |
zugelassene Substanzen ausprobiert wurden und nicht entsprechend gewirkt | |
oder zu viele Nebenwirkungen gezeigt haben. Nur in diesem Fall zeige ich | |
Wege auf, wie der jeweilige Patient einen entsprechenden Antrag stellen | |
kann. | |
Wie hat sich die Nachfrage in ihrer eigenen Praxis seit der | |
Gesetzesänderung verändert? | |
Es gab einen ziemlichen Ansturm, der bis heute anhält. Es gibt sicherlich | |
viele Patienten, die schon sehr lange warten und jetzt durch das Gesetz in | |
der Lage sind, ihre Behandlung zu finanzieren. Langsam kommen auch immer | |
mehr Patienten, die zunächst abgewartet haben, wie das Gesetz in der Praxis | |
funktioniert, ob es zu Kostenübernahmen kommt. Allerdings erlebe ich auch | |
sehr viel Frustration, weil es bei vielen Ärzten immer noch nicht | |
angekommen zu sein scheint. | |
Wie macht sich das bemerkbar? | |
Die Krux ist, dass ein Großteil der Gesellschaft immer noch glaubt, | |
Cannabis sei gleichzusetzen mit THC. Der vermeintliche Kritikpunkt, | |
Cannabis könne Psychosen auslösen, ist zum Beispiel inhaltlich komplett | |
falsch. THC, also der Anteil der Pflanze, der eine berauschende Wirkung | |
hat, kann zwar ein propsychotisches Potenzial haben. Doch CBD, was häufig | |
zur Behandlung genutzt wird, hat das nicht. Auch bei Ärzten gibt es da oft | |
große Berührungsängste und Unwissenheit. Gesetzlich versicherte Patienten | |
benötigen aber ein kassenärztliches Rezept, darum kann ich sie nur dabei | |
beraten, wie sie mit ihren jeweiligen Ärzten argumentieren können. | |
Was sind Ihre Verbesserungsvorschläge? | |
Das Gesetz ist nicht schlecht, wenn es denn so umgesetzt würde. Das weit | |
verbreitete Unwissen über Behandlungsmöglichkeiten und Erfolge mit Cannabis | |
ist das Problem. Da muss noch viel aufgeklärt werden. Krankenkassen müssten | |
besser begründen, warum sie eine Behandlung mit Cannabis ablehnen und | |
insbesondere mehr Behandlungsversuche von gesetzlich versicherten Patienten | |
ermöglichen. Wenn es in jedem Bundesland fünf bis zehn Ärzte gäbe, die sich | |
mit Cannabis auskennen, wäre schon vielen geholfen. | |
11 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Cannabis-im-Berliner-Apothekenverkauf/!5432791 | |
[2] http://www.rp-online.de/leben/gesundheit/medizin/cannabis-auf-rezept-seit-m… | |
## AUTOREN | |
Gundula Haage | |
## TAGS | |
Cannabis | |
Legalisierung Marihuana | |
Krankenkassen | |
Arzneimittel | |
Sozialgericht | |
Cannabis | |
Cannabis | |
Cannabis | |
Cannabis | |
Cannabis | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Medizinischer Gebrauch von Cannabis: Kein Cannabis für ADHS-Patient*innen | |
Nach einem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen haben | |
ADHS-Patient*innen keinen Anspruch auf eine Therapie mit Cannabis. | |
Kommentar Freigabe von Cannabis: Sinnlose Jagd auf Kiffer | |
Die Verfolgung von Kiffern hat nichts mit wirksamer Kriminalitätsbekämpfung | |
zu tun. Das hat man jetzt offenbar auch bei der Polizei begriffen. | |
Bund Deutscher Kriminalbeamter: Polizei fordert Cannabis-Freigabe | |
Repression sei keine Lösung, sagt der Vorsitzende des Bundes Deutscher | |
Kriminalbeamter. Er fordert das Ende des Cannabis-Verbots. | |
Frauen und Cannabis: Netzwerken gegen das Patriarchat | |
Frauenpower in der Hanfbranche: Unternehmerinnen wollen weg vom trägen | |
Kiffer-Image und machen die Szene vielfältiger. | |
Cannabis-Magazin in den USA: Ein bisschen Gras muss sein | |
Verstaubte Kifferklischees werden in Portland über den Haufen geworfen – | |
mit Gras als Inspiration eines Lifestyle-Magazin. | |
Der Berliner Wochenkommentar II: Es muss nachgebessert werden | |
Cannabis gibt es seit fünf Monaten auf Rezept. Doch Krankenkassen stellen | |
sich bei der Kostenübernahme des ärztlich verschriebenen Cannabis quer. |