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# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Hamburg kann wirtschaften. Ich nicht
> Die Stadt Hamburg hat einen Überschuss von 960 Millionen Euro
> erwirtschaftet. Ob sich davon etwas für Leute ohne Überschuss abzweigen
> lässt?
Bild: Hamburg, meine Perle: Sonnenuntergang hinter den Elbbrücken
Jedes Jahr, ganz am Anfang, passe ich meine Daueraufträge an und es fühlt
sich so an, als ob ich jedes Jahr, Stück für Stück, ein wenig mehr
untergehe. Denn mein Einkommen bewegt sich nicht in dieselbe Richtung. Es
stagniert eher.
In meinem Umfeld leben viele Menschen ähnlich wie ich. Sie haben ältere
Kinder und sie sind oft geschieden. Sie sind zwischen vierzig oder fünfzig
und wohnen in kleinen Wohnungen. Sie haben ihr Auto abgeschafft und die
Idee aufgegeben, sich eine Eigentumswohnung zu kaufen. Sie haben weniger
Geld zur Verfügung als noch vor zehn Jahren. Sie wollen nicht darüber
nachdenken, wie es sein wird, wenn sie zu alt zum Arbeiten sind.
Natürlich gibt es andere, die in sehr großen Wohnungen leben, die ihnen
sehr wohl gehören. Aber von diesen Leuten kenne ich nicht besonders viele.
Das ist nicht mein Umfeld. Mein Umfeld sind Leute, die schreiben,
fotografieren, zeichnen, die oft freiberuflich arbeiten, und in diesem
Bereich gibt es seit vielen Jahren weniger Geld.
Man kommt schon immer mit weniger Geld aus in diesen Bereichen. Man braucht
gar nicht so viel, aber jedes Jahr, am Anfang des Jahres, wenn ich die
Daueraufträge anpasse, dann schlucke ich ein bisschen. Dann wird es mir
klar, dass es nicht immer so weitergehen kann.
Ich bin am Sonntag von Österreich nach Hamburg zurückgekommen. Wie jedes
Mal, wenn ich nach Hamburg zurückkomme, mit dem ICE über die Elbbrücken
fahre und am Hauptbahnhof aussteige, dann bin ich sehr froh, wieder hier zu
sein. In der Natur ist es schön, aber in der Stadt, in einer Stadt wie
Hamburg, kann man freier atmen. Auch wenn die Luft schlechter ist. Und
diese Stadt ist eine so schöne, so prächtige Stadt.
Ich lebe gerne hier. Ich bin sogar stolz auf die Elbphilharmonie. Darauf,
dass die Stadt sich dieses Bauwerk geleistet hat. Es ist unsere
Elbphilharmonie, wir haben sie bezahlt, sie ist viel zu teuer gewesen, aber
sie sieht toll aus. Hamburg ist reich. Hamburg kann sich sogar eine
Elbphilharmonie leisten, die viel zu teuer ist.
Hamburg kann sich sehr vieles leisten. Wir haben eine sozialdemokratische
Regierung und einen Überschuss erwirtschaftet. 960 Millionen Euro. Ich bin
beeindruckt.
Ich habe leider im letzten Jahr keinen Überschuss erwirtschaftet. Ich kann
nicht so gut wirtschaften wie die Stadt Hamburg. Ich kann keine höheren
Rechnungen schreiben. Das geht leider nicht, weil das nicht bezahlt wird.
Ich habe nur Kinder, die immer teurer werden, weil sie immer größer werden.
Meine Miete erhöht sich. Die Nebenkosten, sie werden teurer. Die Kosten für
die Monatskarte, sie sind gestiegen. Jedes Jahr steigen die Kosten für den
Nahverkehr. Jedes verdammte Jahr muss ich für drei Menschen mehr Geld für
den Nahverkehr bezahlen.
## U-Bahn kann man sich kaum leisten
Ich bin stolz auf die Elbphilharmonie. Ich finde sie ganz großartig. Ich
zeige sie allen meinen Besuchern. Aber ich verstehe nicht, warum ich jedes
Jahr mehr Geld für den Nahverkehr bezahlen muss. Der Nahverkehr in Hamburg
ist einer der teuersten in ganz Deutschland. Gibt es irgendwo noch einen
derart teuren Nahverkehr?
Wer kann denn, verflixt noch mal, überhaupt noch mit der U-Bahn fahren?
Und jetzt komme ich also zu dem Punkt dieses Textes: Fällt denn von diesem
Überschuss, diesen 960 Millionen Euro, auch für mich etwas ab? Habe denn
nicht auch ich etwas beigetragen zum Erfolg dieser Stadt?
Ich habe nichts gegen Schuldenabbau, das muss sein, ich habe auch nichts
gegen Zukunftsprojekte, wie es etwas kryptisch heißt.
Aber ich lebe jetzt und ich hätte gerne ein bezahlbares Leben für Familien
mit Kindern, für Rentner und prekär Beschäftigte, ich hätte gerne einen
Nahverkehr, der nicht in den Preisen den Fernverkehr übersteigt, ich hätte
gerne Radwege, die nicht lebensgefährlich sind, eine bezahlbare Wohnung für
meinen Freund, unsere drei Kinder und mich, damit wir endlich
zusammenwohnen können. Ich hätte gerne mehr Soziales von der
Sozialdemokratie. Ob sich dafür etwas abzweigen lässt?
17 Jan 2018
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Steuereinnahmen
Hamburg
Soziales
Steuereinnahmen
Nachhaltigkeit
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