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# taz.de -- Aufstieg und Fall eines Youtubers: Asoziale Medien
> Logan Paul war jung und brauchte das Geld, also gründete er einen
> Youtube-Kanal. Es lief gut für ihn – bis er einen Selbstmörder filmte.
Bild: Da hatte er noch gut lachen: Logan Paul beim Teen Choice Award in Los Ang…
Und die Gottheit sprach: [1][Logan Paul]! Für deine Sünden gegen meine –
vollkommen vagen, aber darum auch nach Gutdünken durchgesetzten – Community
Standards erlege ich dir folgende Strafen auf. Ich nehme dir die Teilnahme
an YouTube Red und „Foursome“. Die Sache mit der Filmhauptrolle kannst du
vergessen. Aber vor allem bist du aus dem Reich von „Google Preferred“
verbannt.
Für alle, die gerade erst eingeschaltet haben, muss erklärt werden, worum
es geht. Die Gottheit ist YouTube – der Kanal, in dem man lebt oder stirbt,
wenn man den Rest der Welt mit seinen Videos beglücken will. YouTube ist
kein ungnädiger Gott. Normalerweise lässt er seine Gemeinschaft tun, was
sie will – auch IS-Enthauptungs-Videos oder Alt-Right-Propaganda
veröffentlichen. Die Gottheit wird nur ärgerlich, wenn sich jemand laut
aufregt. Und laut aufgeregt haben sich im Fall von Logan Paul zu viele.
Der 22-jährige Amerikaner ist [2][einer der erfolgreichsten „Influencer“
auf YouTube], dessen Kanal mehr als 15 Millionen Follower abonniert haben.
Dann fuhr er nach Japan, um dort einmal mehr zu tun, was ihm solche
Abonnentenzahlen beschert haben – nämlich vor laufender Kamera Scheiße zu
bauen. Zu den „Pranks“, die er in Tokio zur Aufführung brachte, gehörte
unter anderem ein Besuch in einem Tempel, in dem er mit Weihwasser
herumplanschte.
Eine Runde Pokémon im „Real Life“, bei dem er Autos und Fahrrädern die
Fahrt verstellte. Nichts davon erzürnte YouTube. Bis er in einem Wäldchen
nahe Tokio einen erhängten Selbstmörder filmte. Nach einem kollektiven
Aufschrei des Entsetzens wurde das Video gelöscht – eine Entschuldigung
sahen am Tag der Veröffentlichung 24 Millionen Menschen. Seither ist Logan
Paul verstummt.
## Aus asozialem Verhalten Profit machen
Ende letzter Woche reagierte YouTube nach einer Kunstpause: Logan Paul
verlor seine Rolle in der Webserie „Foursome“ und seine Show bei dem
YouTube-Kanal Red. Die Fortsetzung des Films „The Thinning“ wurde auf Eis
gelegt. Und vor allem verlor er seinen „Google Preferred“-Status, der in
dem intransparenten YouTube-Entlohnungsmechanismus mehr Teilhabe an den
Werbeeinnahmen sicher stellt als die eines normalen „Creator“. Das ist
ungefähr so, als würde man einem hochdekorierten General die Rangabzeichen
von der Uniform reißen und ihm dann noch die Kreditkarte abnehmen.
Logan Paul, sein Bruder Jake, ihre deutschen Nachmacher wie Apored haben
aus asozialem Verhalten ein kommerzielles Modell gemacht, mit dem sie viel
Geld verdienen. Neben den Werbeeinnahmen von YouTube verdient er mit einer
eigenen Kleidermarke und Auftritten, bei denen ihm zum Teil Tausende
Teenager zujubeln. In seinen Videos prahlt Logan Paul mit seiner Villa,
seinen Autos, seiner Rolex. In einem der deprimierendsten Videos bei
YouTube muss man mitansehen, wie er seine Mutter zu Weihnachten mit 10.000
Dollar in kleinen Scheinen überhäuft.
Letztlich operieren Prankster wie Logan Paul so wie die Unternehmen des
Plattformkapitalismus. So wie Amazon, das in Deutschland keine Steuern
bezahlt, aber seine Transporter trotzdem den mit öffentlichen Mitteln
gebauten Bürgersteig zuparken lässt. So wie Facebook und Twitter
Hassbotschaften jeder Couleur eine Plattform boten, bis sie durch
politischen Druck dazu gezwungen wurden, ihre Inhalte zu moderieren. So wie
Airbnb eine unregulierte Schattenwirtschaft von privaten Vermietern
geschaffen hat, die Mieten in die Höhe treibt und ganze Großstadtviertel
dem Billigheimer-Tourismus ausliefert.
Diese Art der „disruption“ regulierter Geschäftsmodelle findet ihr
Gegenstück in dem unverschämten und gelegentlich gesetzeswidrigen Verhalten
von YouTubern wie Logan Paul, die aus ihren Grenzverletzungen Profit
schlagen. Paul ist – mit seiner bescheuerten Föhnwelle vor dem Selfie-Stick
– das Gesicht unser algorithmengesteuerten Gegenwart, in der Clicks und
Likes das Dunkelste unserer Kultur basisdemokratisch in die Sichtbarkeit
befördern.
## Billigst produzierendes Medienprekariat
Trottel wie Logan Paul kommen und gehen. Hoffentlich. Er wäre nicht der
erste YouTuber, der sich durch einen dramatischen Fauxpas ins Nirwana
katapultiert. Irgendwann rächt sich dann eben doch, dass solche Leute – im
Grunde ein billigst produzierendes Medienprekariat – ohne Redaktion
ungebremst vor sich hin wursteln. Aber die Maschinerie, die Trottel wie
Logan Paul hervorbringt, wird weiter funktionieren.
Das ganze Debakel ist keine bedauerliche Fehlleistung der Sozialen Medien à
la YouTube, sondern ihre logische Konsequenz. YouTube wurde von einigen der
Besten und Schlausten ihrer Generation genau zu dem Zweck entwickelt, immer
noch mehr Clicks und Views zu generieren. So ist eine Dynamik der
gegenseitigen Unterbietung entstanden, die irgendwann damit endet, dass
man die Leiche eines japanischen Selbstmörders filmt.
YouTube hat Logan Paul einen Teil seiner Einnahmen – aber nicht seinen
Kanal – weggenommen. Und promoted die Videos vom nächsten
Influencer-Trottel als „empfohlen“. Bis der es wieder zu weit treibt.
16 Jan 2018
## LINKS
[1] https://twitter.com/loganpaul
[2] https://www.youtube.com/channel/UCG8rbF3g2AMX70yOd8vqIZg
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
## TAGS
Youtube
Soziale Medien
Japan
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Margaret Atwood
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