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# taz.de -- Atommüll-Endlager in Gorleben: Schlafen gelegt, nicht beerdigt
> In Gorleben sind die Lichter aus. Nach 40-jähriger Erkundung ist der
> Betrieb heruntergefahren worden – in den Stand-by-Modus.
Bild: Jetzt im „Offenhaltungsbetrieb“: der Salzstock in Groleben
Gorleben taz | Rebecca Harms erinnert sich noch genau an den 22. Februar
1977. „Wir hörten entsetzt im Radio, dass Gorleben Standort werden sollte“,
erzählt die Europaabgeordnete der Grünen, die im Wendland wohnt und dort
von Anfang an beim Anti-Atom-Protest mitmachte. Niedersachsens damaliger
christdemokratischer Ministerpräsident Ernst Albrecht hatte zur
Überraschung vieler ein Waldstück in dem kleinen Ort im Landkreis
Lüchow-Dannenberg als Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum
benannt. Auf 16 Quadratkilometern sollten eine Wiederaufarbeitungsanlage,
eine Brennelementefabrik, ein Endlager und weitere Atomanlagen errichtet
werden.
Neben Gorleben standen damals noch andere Salzstöcke in Niedersachsen zur
Auswahl. Sie hätten sich nach Ansicht von Geologen besser als Lagerstätte
für strahlende Abfälle geeignet. Der Hamburger Geologe Professor Eckhard
Grimmel urteilte seinerzeit: Der Salzstock Gorleben ist nicht durch eine
hinreichend mächtige und lückenlose Tondecke von den wasserführenden
Schichten abgeschirmt. Weil sich Salz auflöse, habe der Salzstock einen
Teil seiner Substanz verloren und werde noch weiter abgelaugt.
Nicht fachliche Gründe hätten den Ausschlag für Albrechts Entscheidung
gegeben, vermuten seither Kritiker. Vielmehr habe der Ministerpräsident
spekuliert, dass die Leute im strukturschwachen und konservativen Wendland
nichts gegen das geplante Entsorgungszentrum haben würden und gegen die
vielen versprochenen Arbeitsplätze erst recht nicht.
Doch es gab offenbar noch einen anderen Aspekt. Der – inzwischen gestorbene
– Geologieprofessor Gerd Lüttig erinnerte sich in einem taz-Gespräch an
eine Sitzung, in der Albrecht gesagt habe: „Jetzt haben wir dieses
Morsleben direkt an der Zonengrenze. Wenn das mal absäuft, dann haben wir
im Helmstedter Raum die verseuchten Wässer. Ich möchte jetzt die Ostzonalen
mal richtig ärgern, nehmen wir Gorleben als Gegengewicht. Mal sehen, was
herauskommt.“
## Erkundungen bis 2014
Albrecht und sein Kabinett hatten sich zumindest mit Blick auf den
Widerstand verrechnet. Schon am Abend der Standortbenennung versammelten
sich in Gorleben Hunderte empörter Menschen. Drei Wochen später
demonstrierten 20.000 auf dem geplanten Baugelände. Im März 1979 brachen
die Lüchow-Dannenberger Landwirte zu ihrem legendären Treck nach Hannover
auf, sie wurden dort von 100.000 Demonstranten begeistert empfangen. Eine
Wiederaufarbeitungsanlage, telegrafierte Albrecht an Bundeskanzler Helmut
Schmidt (SPD), sei „politisch derzeit nicht durchsetzbar“.
Die Erkundung des unterirdischen Salzstocks aber ging weiter. Mit
Unterbrechungen, wurde dort bis 2014 gebohrt und gebuddelt – nach Ansicht
der Atomgegner viel tiefer, als es für eine Prüfung nötig gewesen wäre.
Erst im Zuge des Neustarts der Endlagersuche war vorläufig Schluss. Um
Gorleben ein wenig aus dem Fokus zu rücken, beschloss der Bundestag, dass
die Erkundungsarbeiten eingestellt werden. Ein Ergebnis der Untersuchungen
gibt es nicht, Bewertungen schon: Während etwa Union und Atomwirtschaft dem
Salzstock eine „Eignungshöffigkeit“ zusprachen, halten Umweltschützer den
Standort für geologisch ungeeignet und politisch verbrannt.
Seit 1. Januar 2018 ist das Bergwerk in den sogenannten
Offenhaltungsbetrieb übergegangen. „Der Erkundungsbereich wird außer
Betrieb genommen und abgesperrt“, so die Sprecherin der Bundesgesellschaft
für Endlagerung (BGE), Monika Hotopp, auf taz-Anfrage. Die neue
Gesellschaft ist seit der Neuordnung der Behörden im Bereich der
Atommüllentsorgung für Gorleben zuständig.
Das Bergwerk wird also schlafen gelegt, nicht aber beerdigt. Die Schächte
sind verschlossen, aber nicht zugeschüttet. Die Atomkraftgegner hatten dies
verlangt, konnten sich aber nicht durchsetzen. Die Regierenden wollen sich
die Option, die Erkundung in Gorleben eines Tages fortzusetzen und doch
Atommüll dort einzulagern, nicht verbauen.
## Noch nicht aus dem Schneider
Die oberirdischen Anlagen- und Gebäudeteile des Bergwerks bleiben bis auf
Weiteres stehen. Mit dem Abbau der symbolträchtigen Betonmauer um das
Bergwerk will die BGE im Frühjahr beginnen. Die Mauer soll dann durch einen
„für Industrieanlagen üblichen Zaun“ ersetzt werden.
Nur etwa 20 der zuletzt rund 120 Mitarbeiter sollen sich um die
Offenhaltung des Bergwerks kümmern und gegebenenfalls auftretende Schäden
beseitigen. Nahezu allen anderen hat die BGE ein Beschäftigungsangebot an
anderen Standorten unterbreitet. Außer dem Bergwerk Gorleben betreibt die
Gesellschaft noch die Atommülllager Morsleben und Asse sowie den Ausbau
des früheren Eisenbergwerks Konrad zum Bundesendlager für schwach- und
mittelradioaktive Abfälle. Mit dem Betriebsrat hat die BGE Sozialpläne für
diejenigen vereinbart, die nicht in Gorleben bleiben können.
Aus dem Schneider bei der Endlagersuche ist der Standort auch im
Stand-by-Modus allerdings noch längst nicht. „Die angebliche weiße Karte
hat mit Gorleben schon einen dicken Fleck“, sagen sie im Wendland. Unweit
des Bergwerks steht das Zwischenlager mit 113 befüllten Castorbehältern.
Sie müssten, würde das Endlager anderswo gebaut, mit großem Aufwand wieder
abtransportiert werden.
2 Jan 2018
## AUTOREN
Reimar Paul
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Atommüll
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