# taz.de -- Soziologe über das Schenken: Die Beziehung am Laufen halten | |
> Es gibt keine reine Gabe, sagt Holger Schwaiger. Mindestens Dankbarkeit | |
> ist notwendig. Der Nutzen des Schenkens liegt letztlich in der | |
> Kommunikation. | |
Bild: Wie funktioniert das mit dem Schenken eigentlich unter Schimpansen? | |
taz am wochenende: Herr Schwaiger, am Sonntag ist Weihnachten, und wir | |
überschütten uns wieder mit Geschenken. Warum schenken wir eigentlich? | |
Holger Schwaiger: Weil wir es müssen. Menschen kommunizieren, wir können | |
gar nicht anders. Und Schenken ist eine Form der sozialen Kommunikation, | |
mit der wir die normale, die verbale Kommunikation unterstützen. So | |
festigen wir unsere sozialen Beziehungen. | |
Wie funktioniert das? | |
Wer etwas schenkt, macht eine Aussage. „Ich hab dich lieb“, zum Beispiel, | |
oder „Ich hab an dich gedacht“. Was bei verbaler Kommunikation die Sprache | |
ist, ist beim Schenken eben das Geschenk. Und der Beschenkte muss | |
reagieren. Mit Dank, mit Überraschung, mit einem Gegengeschenk. Schenken | |
zieht immer Anschlusskommunikation nach sich. | |
Das klingt unromantisch. Wir schenken also nie uneigennützig? | |
Nein, es gibt keine reine Gabe, mindestens Dankbarkeit ist notwendig. Aber | |
letztlich liegt der Nutzen des Schenkens in der Kommunikation selbst. Es | |
hilft, die Beziehung am Laufen zu halten. | |
Ist Schenken besser als Reden? | |
Der Vorteil ist, dass die übertragene Information länger wirkt. Es gibt ja | |
eine Art Souvenircharakter von Geschenken. Der Ring am Finger, der | |
Pullover, das Buch. Wir werden immer wieder an die Botschaft erinnert: „Ich | |
hab dich lieb“, auch wenn der Geber nicht bei uns ist. So bleiben wir in | |
Kontakt. | |
Niklas Luhmann ging davon aus, dass Kommunikation im Normalfall misslingt. | |
Wann misslingt Schenken? | |
Wenn man nicht auf den Empfänger und die Situation angepasst schenkt. Wenn | |
man also einem Freund, der kürzlich erzählte, dass er es am Strand von | |
Spanien furchtbar langweilig fand, einen Bildband über die schönsten | |
Strände Europas schenkt. Dabei ist gelungenes Schenken recht einfach. Wir | |
müssen nur auf die Details achten in unseren sozialen Beziehungen. Wir | |
senden ständig Informationen aus, versteckte Botschaften, Wünsche. Die | |
müssen wir erkennen und dann entsprechend Geschenke auswählen. | |
Trotzdem tun wir uns oft schwer. Kurz vor Weihnachten bricht die Panik aus, | |
weil wir nicht wissen, was wir Mama, dem Freund, der Schwester oder Oma | |
schenken sollen. | |
Das ist schon erstaunlich. Denn wir haben ja 365 Tage Zeit, auf die Signale | |
unserer Mitmenschen zu achten. Das geht natürlich besonders gut bei uns | |
nahestehenden Personen, nur deren Vorlieben können wir erforschen. | |
Wenn ich nicht weiß, was ich schenken soll, weil ich die Person nicht so | |
gut kenne, ist es dann besser, nichts zu schenken, als ein | |
Verlegenheitsgeschenk zu kaufen? | |
Da gibt es keinen Königsweg. Aber wenn man nichts schenkt, sendet man eine | |
grandiose Botschaft aus. Dass mir die Beziehung nicht mal so viel wert ist, | |
etwas Kleines zu schenken. Denn die eigentliche Botschaft des Schenkens ist | |
ja zu sagen: „Ich hab an dich gedacht“. | |
Drückt sich die Stärke der Botschaft im Wert eines Geschenks aus? | |
Das sollte nicht so sein. Denn wir dürfen nicht diesen gigantischen Fehler | |
machen, zu dem uns der Kapitalismus ständig verleitet: den Wert einer | |
Schenkbotschaft am ökonomischen Wert festzumachen. Schenken ist | |
Kommunikation von Emotionen und die lassen sich nicht ökonomisch beziffern. | |
Also sind Geldgeschenke und Gutscheine schlechte Geschenke? | |
Im Grund schon. Denn damit misst man der sozialen Beziehung einen | |
ökonomischen Wert bei. Nicht umsonst machen wir bei Geschenken ja stets das | |
Preisschild ab. Und Geld packen wir dann auch noch in einen Umschlag, um | |
den Wert nicht auf den ersten Blick zu verraten. Gutscheine sind noch mal | |
eine Sonderform, denn ein Teil der Schenkarbeit … | |
… der Schenkarbeit? | |
Ja, also etwa das Nachdenken übers richtige Geschenk, des Kaufens, des | |
Verpackens, das wird an den Beschenkten übertragen. Das heißt zunächst mal: | |
Ich habe keine Ahnung, was ich dir schenken soll, mach das mal selbst. | |
Sie haben sich in Ihrem Buch intensiv mit dem Gabentausch in sogenannten | |
archaischen Gesellschaften beschäftigt, also etwa den Maori in Neuseeland | |
oder Indianerstämmen in Amerika. Dort passierte es durchaus, dass man sich | |
bis an den Rand der Zerstörung beschenkt hat. | |
Ja, im sogenannten Potlatsch, einer Art Geschenkekrieg. Dabei haben sich | |
die Stämme gegenseitig übertrumpft, immer wertvollere Gegengeschenke | |
gemacht, einfach um zu zeigen, dass sie es sich leisten können, und weil | |
man noch wertvollere Gegengeschenke erwartete. Manchmal bis zur materiellen | |
Zerstörung. Manche wertvollen Dinge wurden auch vernichtet, nur um zu | |
zeigen: Ich kann mir das leisten, du nicht. Teilweise wurden auf diese Art | |
Kriege entschieden. Es war eine andere Art des Schenkens, eine | |
Machtkommunikation, die es heute so nicht mehr gibt. | |
Das klingt extrem. | |
War es auch. Im Normalfall aber wurde der Austausch von Gaben vor allem als | |
soziale Kommunikationsform gesehen, um mit anderen Stämmen in Beziehung | |
stehen zu können. Geschenke wurden außerdem ständig weiter geschenkt oder | |
zurückgegeben. Heute wäre das ein Affront, weil wir eine andere Beziehung | |
haben zu Objekten. In unserer kapitalistischen Gesellschaft haben wir | |
gelernt, dass alle Dinge einen ökonomischen Wert haben. In archaischen | |
Gesellschaften, bei den Maori etwa, gab es teilweise die Vorstellung, dass | |
die Gabe ein „hau“ hat. | |
Ein „hau“? | |
Die Vorstellung, dass allen Gaben eine Art Seele innewohnt, dass Gabe und | |
Geber eine Einheit bilden und das Geschenkte deshalb zurückgegeben werden | |
muss – oder ein Äquivalent. | |
Heute sollen die besten Geschenke solche sein, die „von Herzen kommen“. Ist | |
das vergleichbar mit dem „hau“? | |
Da gibt es wohl eine Analogie sprachlicher Art. Aber ich glaube, bei dem | |
Ausdruck geht es vor allem darum, dass man aus sich heraus schenkt, dem | |
anderen eine Freude machen will mit einem persönlichen Geschenk. | |
Sie sagten, dass archaische Gesellschaften mit ihrem Gabentausch vor allem | |
ihre Beziehung aufrechterhalten wollten und sich dessen auch bewusst waren. | |
Anders als heute, oder? | |
Es gibt heute eine sozialromantische Vorstellung des Schenkens, die es | |
damals nicht gab. Heute findet eine Art kollektive Selbsttäuschung statt. | |
Ich tue überrascht, wenn ich an Heiligabend ein Geschenk bekomme. Ich | |
glaube daran, dass Geschenke uneigennützig sind, glaube an die „reine | |
Gabe“, die es nicht gibt. Sondern Schenken ist wie gesagt immer mit | |
Erwartungen verbunden. | |
Seit wann beschenken wir uns eigentlich zu Weihnachten? | |
Seit etwa 200, vielleicht 250 Jahren. Das bürgerliche Schenken zu | |
Weihnachten geht auf ein pädagogisches Konzept zurück: Der Weihnachtsmann | |
kommt und bringt den Kindern Geschenke. Aber weil er gleich wieder | |
verschwunden ist, aus dem Fenster oder dem Kamin, kann das Kind nichts | |
zurückgeben. Das macht das Kind dann eben abstrakt, indem es das ganze Jahr | |
über brav ist. So haben es ihm die Eltern wenigstens eingetrichtert. Ein | |
fragwürdiges Konzept. | |
Wie wurde dann aus diesem pädagogischen Ansatz für Kinder das exzessive | |
Beschenken unter Erwachsenen? | |
Durch unser kapitalistisches Denken. Durch den Glauben daran, dass man viel | |
schenken muss, um zu zeigen, dass man sich sehr gern hat. Diese Art der | |
Übersteigerung halte ich für komplett falsch. Denn es geht, wie gesagt, um | |
Emotionen und Kommunikation, nicht um den ökonomischen Wert. | |
Vor allem Paare sagen sich vor Weihnachten häufig, dass sie sich dieses | |
Jahr aber wirklich nichts schenken. | |
Genau. Und meistens bricht dann einer oder brechen gar beide den Pakt. | |
Wieso? | |
Zunächst beruht eine solche Vereinbarung auf der Einsicht, dass man sich | |
dem Konsumterror nicht unterwerfen will. Dann bespricht man sich, | |
kommuniziert, dass man sich lieb hat, auch wenn man sich nichts schenkt. | |
Aber kurz vor Weihnachten taucht dann eben die Vorstellung auf, dass sich | |
bei diesem traditionellen Anlass doch jeder beschenkt und man selbst nicht | |
ohne dastehen kann. Es gibt eben diesen Druck in sozialen Beziehungen, sich | |
zu beschenken. Eine Art Schenkpflicht. | |
Und manchmal ist man dann plötzlich ja auch enttäuscht, wenn man am Ende | |
wirklich nichts geschenkt bekommt. | |
Genau. Denn Nichtschenken bedeutet letztlich, dass man die soziale | |
Beziehung nicht mehr aufrechterhalten will. | |
Schenken wir uns zu viel? | |
Wir sollten uns jedenfalls häufiger beschenken und uns überraschen. Also | |
nicht nur auf kalendarische Anlässe wie Weihnachten, Geburtstage gucken. | |
Wir kommunizieren ja auch ständig verbal ohne kalendarischen Anlass. Und | |
wenn ich meiner Frau einfach so ein Geschenk mache, vermeintlich ohne | |
Anlass, habe ich eben doch einen. Nämlich die Botschaft zu übermitteln: | |
Schatz, ich liebe dich. Eine überaus sinnvolle Art der Kommunikation. | |
24 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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