# taz.de -- Opferanwalt über Loveparade-Prozess: „Entschuldigungen fast unm�… | |
> Zweiter Tag im Loveparade-Prozess: Opferanwalt Thomas Feltes über | |
> politische und moralische Verantwortung, Ermittlungspannen sowie Grenzen | |
> des Strafrechts. | |
Bild: 24. Juli 2017: Gedenkveranstaltung in Duisburg | |
taz: Herr Feltes, im Loveparade-Prozess vertreten Sie Manfred Reißaus – | |
seine Tochter Svenja ist bei der Massenpanik des 24. Juli 2010 gestorben. | |
Wie hat er den ersten Prozesstag verkraftet? | |
Thomas Feltes: Herr Reißaus war sehr nervös und aufgeregt. Er wusste, dass | |
es viele Anträge der Verteidigung, viele Unterbrechungen geben wird. Doch | |
als die Anklageschrift mit dem Namen seiner Tochter verlesen wurde, hat er | |
gezittert. Der Prozess holt die ganzen schrecklichen Erinnerungen wieder | |
hoch. | |
Warum tut er sich das an? | |
Herrn Reißaus geht es nicht um Rache. Er fordert keine möglichst hohen | |
Strafen für die Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Veranstalters | |
Lopavent, denen fahrlässige Tötung und Körperverletzung durch fehlerhafte | |
Planung vom Schreibtisch aus vorgeworfen wird. Aber er will verstehen, was | |
diese Katastrophe mit 21 Toten und über 650 Verletzten möglich gemacht hat | |
– und dadurch verhindern, dass sich so ein Desaster jemals wiederholen | |
kann. | |
Die Vorwürfe verjähren in zweieinhalb Jahren. Setzt die Verteidigung mit | |
ihren vielen Anträgen auf Prozessverschleppung? | |
Juristisch waren die Anträge nicht zu beanstanden. Schöffen, deren eigene | |
Kinder bei der Loveparade dabei waren, können tatsächlich befangen sein. | |
Selbst der Antrag auf Nichtverlesung der Anklageschrift war nicht völlig | |
abwegig: Sie stammt von 2014 – und danach sind Nebenkläger ausgeschieden, | |
andere dazugekommen. Damit hat sich der Gegenstand der Hauptverhandlung | |
geändert. | |
Also hat die Staatsanwaltschaft geschlampt? | |
Die Staatsanwaltschaft hat jedenfalls nicht alles getan, um das Verfahren | |
zu beschleunigen. Obwohl ein erstes Gutachten schnell fehlerhaft schien, | |
wurde ein zweites erst sehr spät in Auftrag gegeben. Außerdem wurde nicht | |
in Richtung der Polizei ermittelt. | |
Wie kann das sein? | |
Ich verstehe das auch nicht. Jeder weiß, dass die Polizei bei solchen | |
Großveranstaltungen eine wichtige Rolle spielt. Bei der Loveparade sind | |
Polizeiketten überrannt worden. Trotzdem wurden der Funkverkehr und die | |
Entscheidungen der Leitstelle nicht analysiert. Die Fehler, die am Tag der | |
Loveparade selbst gemacht wurden, sind nicht ermittelt worden. | |
Auch gegen Duisburgs Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland und | |
Lopavent-Besitzer Rainer Schaller wurde nicht ermittelt – dabei haben sie | |
mit massivem Druck überhaupt erst dafür gesorgt, dass die Loveparade | |
genehmigt wurde. Stehen die falschen Angeklagten vor Gericht? | |
Das Strafrecht taugt nicht dazu, politische Fehler aufzuklären. Sauerland | |
und Schaller waren an der konkreten Planung nicht beteiligt und damit zu | |
weit weg, um ihnen Schuld im strafrechtlichen Sinn nachzuweisen. Wären sie | |
angeklagt worden, hätte das mit Freisprüchen geendet – und auf die hätten | |
sich beide berufen können. Ohne Anklage, ohne Freispruch bleibt die | |
politische, moralische, ethische Verantwortung bei Sauerland und Schaller – | |
und damit müssen sie leben. | |
Weil allein Verantwortliche aus der zweiten Reihe vor Gericht stehen, sind | |
selbst zum ersten der bisher angesetzten 111 Prozesstage nur wenige | |
Zuschauer gekommen. Warum waren auch viele Nebenkläger nicht da? | |
Viele haben Probleme, die Reise- und Übernachtungskosten zu finanzieren. | |
Das gilt nicht nur für Angehörige und Opfer aus China oder Australien – | |
sondern auch für Herrn Reißaus, der seit dem Tod seiner Tochter | |
arbeitsunfähig und seit Jahren in psychologischer Behandlung ist. | |
Beim Prozess kann nur dabei sein, wer es sich leisten kann? | |
Klar ist bisher: Nebenkläger bekommen ihre Reisekosten nicht erstattet. | |
Deshalb überlegen viele genau, wann sie zur Verhandlung kommen, welcher Tag | |
mit welchen Inhalten ihnen besonders wichtig ist. | |
Was fordern Sie? | |
Es wäre ein wichtiges Signal, wenn mittellose Nebenkläger wenigstens an | |
zehn bis zwölf Tagen nicht nur durch ihre Anwälte vertreten wären, sondern | |
auch persönlich anreisen könnten. Für die Gesamtkosten dieses | |
Mammutverfahrens würde das kaum eine Rolle spielen: Allein die Miete für | |
den Gerichtssaal in der Messe Düsseldorf, in dem wegen der großen Zahl an | |
Angeklagten mit ihren 32 Anwälten und den 65 Nebenklägern verhandelt wird, | |
kostet täglich 14.000 Euro – und die Gutachten sechsstellige Beträge. | |
Die Loveparade-Opfer erwarten nicht nur die Aufklärung der Katastrophe, | |
sondern auch Entschuldigungen der Angeklagten. Kann der Prozess diese | |
Ansprüche überhaupt erfüllen? | |
Ein Strafprozess kann nie dafür sorgen, dass Opfer tatsächlich mit | |
schrecklichen Ereignissen, die ihr Leben für immer verändert haben, | |
abschließen können. Sie werden nie erfahren, was Täter gedacht, motiviert, | |
zur Tat getrieben hat – denn dazu müssten sich die Angeklagten selbst | |
belasten. Die Strafprozessordnung macht für die Opfer wichtige | |
Therapiegespräche, in denen sich die Täter aufrichtig entschuldigen, nahezu | |
unmöglich. So wird es auch im Loveparade-Prozess sein: Schon heute ist | |
klar, dass die unterlegene Seite in Revision gehen wird – und danach folgen | |
noch die zivilrechtlichen Schadenersatzprozesse. | |
13 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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