# taz.de -- Neue Regeln für das Finanzsystem: Zwanzig Jahre nach dem Crash | |
> Basel III ist fertig: Die globalen Regeln, die Finanzkrisen verhindern | |
> sollen. Es wurde wieder nur in der Logik des vorhandenen Systems gedacht | |
> und gehandelt. | |
Bild: Die Großbanken jubeln: Die Einführung der Regeln dauert noch etwas | |
Am 1. Januar 2027 wird es endlich so weit sein – fast 20 Jahre nach dem | |
Ausbruch der großen Finanzkrise sollen bis dahin weltweit die letzten | |
Regeln implementiert sein, um die nächste Krise zu verhindern. | |
2027 – das ist einer der Punkte, auf die sich am Donnerstagabend | |
Bankenaufsichten und Zentralbanken weltweit geeinigt haben. Und bevor Sie | |
jetzt angesichts der Sperrigkeit des Themas wegklicken: Dieser Vorgang ist | |
von fundamentaler Bedeutung für die ökonomische und damit politische | |
Stabilität der Welt. | |
Trotzdem ist es dazu gekommen, dass ein globales Gremium sieben Jahre lang | |
an Basel III, den neuen Regeln für das internationale Finanzsystem, | |
arbeitete, ohne die Grundsatzfrage überhaupt zu erörtern: Wie kann das | |
wahnwitzig aufgeblähte internationale Finanzsystem zurückgestutzt werden | |
auf die Größe, die es braucht, um eine dem Mensch und der Natur dienliche | |
Wirtschaft zu schaffen? | |
Natürlich wäre es möglich gewesen, das Stutzen. Den sogenannten „Baseler | |
Ausschuss“ gibt es seit 1974, 1988 verabschiedete er die ersten Regeln über | |
die Kapitalausstattung von Banken – „Basel I“. Angesiedelt ist der | |
Ausschuss bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die | |
„Zentralbank der Zentralbanken“. Da sitzen Notenbanker und Finanzaufseher | |
aus 28 Jurisdiktionen und Ländern – China, USA, Indien, Japan, Deutschland, | |
Mexiko, Hongkong, die EU, um nur einige zu nennen. Die Beschlüsse sind | |
nicht verpflichtend, haben aber eine quasi bindende Wirkung, weil sie, wenn | |
auch oft mit Verzögerung, national umgesetzt werden. | |
Doch der Ausschuss ist leider ein Gremium, das nur in der Logik des | |
vorhandenen Systems denkt und handelt. So hat sich beispielsweise die | |
Deutsche Bundesbank, die Mitglied in dem Gremium ist, vehement für die | |
Interessen von deutschen Privatbanken eingesetzt. Obwohl sie eine | |
staatliche, im Grundgesetz festgeschriebene Institution ist, die Banken | |
beaufsichtigen und nicht vertreten sollte. | |
## Rote Linie beim Schönrechnen | |
Ein zentraler Streitpunkt war zuletzt die Frage, wie viel Risikoabsicherung | |
Banken brauchen. Wenn etwa ein Institut einen Kredit vergibt, dann muss es | |
sich absichern, falls der Kreditnehmer pleite geht – sei es die Daimler AG, | |
der VfL Osnabrück oder ein Häuslebauer. Das Risiko dafür muss die Bank | |
kalkulieren und entsprechend Kapital zurücklegen, so verlangen es die | |
Aufsichtsbehörden. Aber was heißt schon Risiko? Da hat jede Großbank ihre | |
eigene Daumenpeilung. | |
Bis heute tendieren sie dazu, Risiken klein zu rechnen, weil damit weniger | |
Sicherheiten vorgehalten werden müssen und so die Erlöse steigen. Das war | |
einer der Gründe für die Krise ab 2008. Reihenweise entpuppten sich | |
vermeintlich sichere Geldanlagen – etwa auf Immobilienkrediten basierende | |
Finanzprodukte – als wertloser Tand. | |
Mit Basel III bekommen Banken nun eine Rote Linie beim Schönrechnen ihrer | |
Geschäfte. Nehmen wir an, eine Bank vergibt einen Kredit an die fiktive | |
Rüstungsfirma Neckarblech AG. Wie hoch das Ausfallrisiko des Kredits ist, | |
dafür gibt es für alle Banken standardisierte Rechenmodelle. Angenommen, | |
die Bank müsste demnach eine Million Euro Rücklagen an Sicherheiten | |
vorweisen, verwendet aber stattdessen eigene Berechnungen, die ergeben, | |
dass der Kredit an die Neckarblech AG bombensicher ist. In diesem Fall, so | |
die neuen Regeln, kann die Bank die Sicherheit maximal auf 72,5 Prozent des | |
Standardmodells senken. In diesem Fall also auf maximal 725.000 Euro. | |
Zugegeben, das klingt furchtbar detailfetischistisch. Aber um genau diese | |
Prozentzahl, den sogenannten „output floor“, rangen die Bankenaufseher bis | |
zuletzt. | |
Im Prinzip ging es beim output floor darum, die Möglichkeiten von Banken zu | |
beschränken, ihre Risiken kleinzurechnen. Unter den vielen Maßnahmen, die | |
Basel III enthält, gibt es dazu eine zweite wichtige Regel. Sie besagt, | |
dass Banken Eigenkapital gemessen an ihrer Größe vorhalten müssen – | |
unabhängig davon, wie risikoreich ihre Geschäfte sind. | |
## Bewusste Verzögerungstaktik? | |
Herausgekommen sind drei Prozent ihrer Gesamtbilanz, was sehr verkürzt | |
heißt: Eine systemrelevante Bank kann mit 33 mal mehr Kapital spekulieren, | |
als ihre Eigentümer hinterlegt haben. Weil das auch vor der Finanzkrise | |
durchaus üblich war, forderten Kritiker deutlich mehr als drei Prozent. | |
Aus Sicht von Großbanken macht es auch absolut Sinn, die Einführung der | |
Regeln möglichst auf die lange Bank zu schieben. Der Grüne EU-Abgeordnete | |
Sven Giegold sieht sogar eine bewusste Verzögerungstaktik der | |
Bundesregierung und der EU-Kommission, die die Interessen der Großbanken | |
vertreten hätten. „Jahrelang hat die Bundesregierung in einer | |
finanzpolitischen Irrfahrt in Basel neue Regelungen zur Stärkung der | |
Finanzmarktstabilität behindert“, sagt er. | |
Die Deutsche Bank etwa kalkuliert die Risiken ihres Kreditgeschäfts zu 80 | |
Prozent anhand eigener, interner Rechenmodelle – ist also besonders | |
anfällig für die Schönrechnerei. Das abzustellen, dafür hat sie nun aber | |
sehr viel Zeit bekommen: Die Regeln zum „output floor“ werden erst | |
schrittweise von 2022 bis 2027 eingeführt und treten damit rund zwanzig | |
Jahre nach der Finanzkrise in Kraft. Die Aktienkurse von europäischen | |
Banken legten am Freitag dann auch kräftig zu, allen voran profitierte das | |
Papier der Deutschen Bank. | |
8 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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