| # taz.de -- Gewerkschafterin zu Wahlkampfskandal: „Er hat ohne Ende rumgepöb… | |
| > Im schleswig-holsteinischen TV-Duell behauptete Gabriele Schwohn, | |
| > CDU-Kandidat Daniel Günther habe sie als „Verdi-Schlampe“ beschimpft. Wie | |
| > kam es dazu? | |
| Bild: So ein Arsch? Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) | |
| taz: Frau Schwohn, schon im April beschuldigten Sie Daniel Günther – | |
| inzwischen CDU-Ministerpräsident der Kieler Jamaika-Koalition –, dass er | |
| Sie mal eine „Verdi-Schlampe“ genannt hat. Bleiben Sie bei dieser Version? | |
| Gabriele Schwohn: Ja, denn dafür gibt es ja gleich zwei eidesstattliche | |
| Erklärungen (sie sucht in ihren Unterlagen, kramt ein paar Papiere hervor). | |
| Hierauf ist der ganze Vorfall festgehalten; ich habe das unterschrieben und | |
| eine weitere Zeugin, die direkt betroffen war. | |
| Herr Günther dementierte das damals. Nachfragen an Sie blieben bis heute | |
| unkommentiert – warum? | |
| Ich bin ja jemand, der eigentlich kein Blatt vor den Mund nimmt … | |
| … aber? | |
| Mir ist am nächsten Tag von Verdi ein Medienanwalt zur Seite gestellt | |
| worden. Der hat knallhart gesagt: Egal was passiert, egal wie sehr du | |
| kochst: Füße stillhalten! Nicht nach außen kommunizieren, der ganze Mist | |
| schaukelt sich hoch. Gut, dass ich mich an diese Order gehalten habe. Nach | |
| einer Woche war das Thema dann aber durch. | |
| Wollen Sie noch mal erklären, warum Herr Günther Sie beleidigt haben soll? | |
| Er hat mich beleidigt! Das Ganze kam so: Mit dem Grünen Rasmus Andresen, | |
| der jetzt Vizepräsident des Landtags ist, und ein paar weiteren | |
| Mitstreitern setzte ich mich dafür ein, dass es an Universitäten in | |
| Schleswig-Holstein keine Werkverträge mehr geben dürfe. Sie müssen wissen: | |
| Werkverträge waren an Hochschulen der Trend. Man stellte keine | |
| wissenschaftlichen Mitarbeiter mehr ein, man schuf Werkverträge. Das ging | |
| bis in den technisch-administrativen Bereich rein. Uns Gewerkschafter hat | |
| das maßlos geärgert. Über einen Landtagsabgeordneten – Wolfgang Baasch – | |
| starteten wir schließlich eine kleine Anfrage zu Werkverträgen an | |
| Hochschulen. Bei den Zahlen, die da rauskamen, wäre jedem schlecht | |
| geworden. Das ist versteckte Leiharbeit! | |
| Ein Hochschulgesetz, das sogenannte Stiftungsgesetz, befand sich in der | |
| Ausarbeitung. Sie setzten sich also für eine gewerkschaftliche Handschrift | |
| ein – und Herr Günther war Ihr Gegenspieler? | |
| Genau so war es. Herr Günther hatte seinem Freund und Kanzler der | |
| Stiftungsuniversität zu Lübeck – Dr. Oliver Grundei – ganz andere | |
| Versprechungen gemacht; die haben wir im Bildungsausschuss zerschlagen. Wir | |
| haben unter anderem erreicht, dass Stiftungsvermögen nicht freihändig | |
| verteilt werden darf, sondern vom Finanzministerium verwaltet wird. Viel | |
| wichtiger war uns aber die Mitbestimmung: Ein Mitglied der Uni-Personalräte | |
| muss in den Stiftungsrat entsendet werden, und die Personalräte bleiben | |
| auch im Hauptpersonalrat vertreten. Zudem gelten für die Kolleginnen und | |
| Kollegen der Hochschule weiterhin die Tarifverträge. Das war harte | |
| Lobbyarbeit. Herr Günther ist da natürlich geplatzt … | |
| … und es kam zum persönlichen Angriff. | |
| Erst als alles vorbei war, beim Hinausgehen. Herr Günther lief an meiner | |
| Kollegin und mir vorbei und zischte uns das quasi ins Ohr: | |
| „Verdi-Schlampe.“ | |
| Wie haben Sie reagiert? | |
| Als er das zu uns gesagt hat, überwog noch die Freude, dass wir das Gesetz | |
| in unserem Sinne durchbekommen hatten. Da waren wir einfach mächtig stolz. | |
| Sie dachten also: Lass den mal reden, mir doch egal? | |
| So ein Arsch, dachte ich bloß. Was soll das? Rasmus Andresen sagt ja, er | |
| habe das nicht gehört. Kann auch gut sein. Wie gesagt: Günther raunte uns | |
| das im Vorbeigehen zu, sehr subtil eben. Im Ausschuss zuvor wäre er beinahe | |
| geplatzt und hat ohne Ende rumgepöbelt. | |
| Das war im September 2014. Am 25. April 2017 fand das TV-Duell des NDR | |
| zwischen SPD-Ministerpräsident Torsten Albig und Herausforderer Günther | |
| statt. Zuschauer durften Fragen stellen, Sie saßen im Publikum. Wann kam | |
| Ihnen die Idee, diesen Rahmen für Ihre Botschaft zu nutzen? | |
| Das Thema wurde von mir am falschen Ort und zur falschen Zeit kommuniziert. | |
| Das war ein Fehler, das hat da nicht hingehört. | |
| Aber irgendwann entschieden Sie ja, dass es doch in die Livesendung gehört. | |
| Förmlich geplatzt bin ich die ganze Zeit schon – besonders in dem Moment, | |
| als Herr Günther mit Privatisierung und Werkverträgen beim Straßenbau | |
| anfing. Ich decke ja nicht nur den Hochschulbereich ab. Ich kämpfe seit | |
| über zehn Jahren auch für die Jungs vom Straßenbau. Und Werkverträge | |
| gehören nicht in den öffentlichen Dienst. Punkt. Da knallt es bei mir, da | |
| werde ich sauer. Als Günther in der Sendung damit anfing, habe ich die | |
| Fassung verloren. Ich weiß, wie er mit Gewerkschaften umgeht – nicht eben | |
| nett. | |
| Den Vorwurf haben Sie eher fein kommuniziert. Das wirkte wenig | |
| temperamentvoll, fast schon ein bisschen hinterlistig. | |
| Ich kann sehr cool sein und kenne das Geschäft schon zu lange, als dass ich | |
| die Contenance verlieren würde. Nur in meinen Innern hat es gebrodelt. Aber | |
| noch einmal: Es war ein Fehler, in diesem Rahmen vorzupreschen; ich hab | |
| nicht nachgedacht. | |
| Sie sagten in der Sendung, man könne die Beleidigung in den | |
| Landtagsprotokollen nachlesen – was aber nicht so war. | |
| Ein weiterer Fehler, der zeigt, dass der Vorwurf, ich hätte diesen Auftritt | |
| geplant, Quatsch ist. Hätte ich das geplant, hätte ich nicht so einen | |
| Blödsinn erzählt. | |
| Warum haben Sie das dann behauptet? | |
| Ich wollte damit ausdrücken, dass man die Vorwürfe von Herrn Günther an die | |
| Gewerkschaften nachlesen könne, Sätze wie: Das ist ein Kniefall vor den | |
| Gewerkschaften. Die Beleidigung – Verdi-Schlampe – stand natürlich nicht in | |
| den Protokollen. | |
| Wie haben Sie die Tage nach dem TV-Duell erlebt? | |
| Ich bin professionell damit umgegangen, habe keine Presse gelesen und nicht | |
| TV geschaut. Meinem Mann hat es wegen der Wucht der Berichterstattung die | |
| Schuhe ausgezogen, der war erschüttert. Meine Kinder waren schockiert und | |
| wütend. Ich wurde als Täterin dargestellt, dabei bin ich diejenige gewesen, | |
| die beleidigt worden ist. Die Presse hat es sogar fertiggebracht, bei | |
| meiner Schwester – sie wohnt nahe Hannover – im Vorgarten zu stehen. Da | |
| flog dann aber ein Blumenkübel. | |
| Der SPD-Spitze schrieben Sie zwei Wochen vor dem TV-Duell eine E-Mail, in | |
| der Sie auf Günthers Fehlverhalten hinwiesen. Landeschef Ralf Stegner | |
| behauptete, es sei Wahlkampfzeit gewesen – man hätte sich nicht um | |
| persönliche Auseinandersetzungen kümmern können. Vermissten Sie die | |
| Rückendeckung? | |
| Das hat mich so was von geärgert! Ich habe mehrmals versucht, mit Daniel | |
| Günther in den Dialog zu gehen, wenn ich ihn in der letzten | |
| Legislaturperiode getroffen habe. Er hat das vollkommen boykottiert und | |
| ignoriert. Das habe ich auch in der SPD angesprochen, auch bei Herrn | |
| Stegner. | |
| Und da kam nichts zurück? | |
| Herr Stegner gehört zu denen, die mit Frauen Probleme haben – massiv. Das | |
| Thema wurde immer wieder abgetan, nach dem Motto, das sei meine persönliche | |
| Geschichte; das Gleiche bei Verdi. Die Verdi-Jugend hier im Bezirk Nord-Ost | |
| forderte in einem Antrag nach dem TV-Duell sogar, dass ich alle meine Ämter | |
| niederlegen soll! Das hat mir ein bisschen den Boden unter den Füßen | |
| weggezogen. Der Antrag kam von einem Felix Sommerfeldt, ohne dass der sich | |
| überhaupt mit mir befasst hatte. Er stellte keine Fragen, nichts. Da war | |
| ich echt erschüttert. Mit meiner Doppelrolle – Gewerkschafterin und Frau – | |
| kommen einige Herren anscheinend nicht klar. Das gilt für Verdi, für die | |
| SPD, für andere Parteienvertreter sowieso. | |
| An wen denken Sie noch? | |
| Wolfgang Kubicki ist ein großer Macho, der das auch lebt. Gregor Gysi | |
| ebenfalls. Bei einer Grillparty in meinem Garten hat er eine Kollegin | |
| schwer angebaggert. Aber auf eine charmante Art, manchmal ist das | |
| vielleicht auch dem Alter geschuldet. | |
| Wollen Sie jetzt relativieren? | |
| Ich relativiere deswegen, weil er das vergleichsweise charmant | |
| rübergebracht hat, und weil ich ihn auch schätze, ich mag ihn sehr, auch | |
| privat, ein netter Mensch. | |
| Stichwort #MeToo: Täuscht der Eindruck oder benehmen sich Männer, die sich | |
| daneben benehmen, noch genauso daneben wie vor 20, 30 oder 40 Jahren? | |
| Die Angriffe, die Attacken, die Erniedrigungen haben sich überhaupt nicht | |
| verändert. Die Methoden im Berufsalltag sind aber subtiler geworden, man | |
| macht das heute versteckter, feiner. Ein Kollege hat mich mal gefragt: Hast | |
| du keine Familie, dass du dich als Frau noch um Gewerkschaftsarbeit kümmern | |
| kannst? Solche Sachen laufen, das ist so nebenbei. | |
| Sie stehen schon seit über 40 Jahren im Berufsleben. Früher war man(n) also | |
| direkter? | |
| Als junge Frau wurde man gefragt, ob man einen schlechten Tag hätte, ob | |
| dies mit den Hormonen zusammenhinge. „Zickenalarm“ oder andere | |
| fürchterliche Begriffe wurden verwendet, wenn den Herren was nicht passte. | |
| Oder es hieß: „Hast du wieder deine Tage?“ Leider zog ich dann nur die | |
| Augenbrauen hoch. Vielleicht auch, weil ich ein großes Selbstbewusstsein | |
| hatte. Über die Jahre gewöhnt man sich als Frau an sowas, ich jedenfalls. | |
| Und heute? | |
| Ich beobachte im Flensburger SPD-Kreisvorstand, dass es Frauen schwerer | |
| haben. Sie müssen nicht nur hübsch aussehen, sie müssen einfach besser | |
| sein. Klüger, rhetorisch mehr drauf haben. Das sind so Kleinigkeiten. In | |
| manchen Runden fallen Sätze wie: Ach, jetzt sei mal still. Zu mir sagt das | |
| keiner, ich werde da gleich laut. Deshalb gelte ich ja als so unbequem. | |
| Haben Sie Männer auch schon direkt auf deren Verhalten angesprochen? | |
| Ich muss gestehen, dass ich nicht die große Verfechterin der Emanzipation | |
| bin, weil ich mich immer emanzipiert gefühlt habe; das lag auch an meiner | |
| Mutter, einer starken, selbstbewussten Frau. Einen Verdi-Kollegen habe ich | |
| mal zurechtgewiesen, weil er mich und eine Kollegin beleidigt hat. | |
| Wie hat der reagiert? | |
| Er war beleidigt und meine Kollegin war erstaunt. Sonst habe ich eher den | |
| Mund gehalten. Und andererseits habe ich nie ins Beuteschema der Herren | |
| gepasst. Groß und dick… (lacht) | |
| Die eidesstattlichen Versicherungen liegen vor. Muss Daniel Günther noch | |
| mit einem Nachspiel rechnen? | |
| Nein, das ist mir zu albern. Herr Günther muss das mit sich selbst | |
| ausmachen. Ich wünsche mir, dass er aus dem Fall seine Lehre gezogen hat, | |
| dass er Frauen und Gewerkschafterinnen nicht mehr beleidigt. | |
| Kommt es noch zu einem Treffen zwischen Ihnen und dem Ministerpräsidenten? | |
| Wenn er das möchte, können wir uns gerne austauschen. Das Angebot steht. | |
| Ich würde ihm gerne erklären, dass mich das schon betroffen gemacht hat. | |
| Und dass ich mich drei Jahre lang über die Beleidigung geärgert habe. Aber | |
| ob das Treffen zustande kommt? Ich glaube es nicht. | |
| 23 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| David Joram | |
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