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# taz.de -- Regierungsbildung in Tschechien: Prager Postenschacherei
> Der designierte Ministerpräsident Babiš organisiert Unterstützung für
> eine Minderheitsregierung im Tausch gegen Einfluss.
Bild: Ganz allein: Mit Babiš' ANO will niemand koalieren – außer der rechte…
PRAG taz | „Schande, Schande“, hallte es durch die Prager Innenstadt, als
Tschechiens Vorzeigepopulist Tomio Okamura am Samstag dort der Prager
Studenten gedachte. Am 17. November feiern die Tschechen ihre jungen
Helden, die sich 1939 gegen die Nazis und 50 Jahre später gegen die
Kommunisten erhoben. Ein Pflichttermin auch für jeden Politiker des Landes.
Das Lachen dürfte dem tschechisch-japanischen Politunternehmer trotz der
Rufe nicht vergangen sein: Okamura, der mit seiner rechtsradikalen Partei
der direkten Demokratie (SPD) knapp elf Prozent der Stimmen und 22 Mandate
errang, gilt als graue Eminenz bei den derzeitigen Regierungsverhandlungen.
Die laufen auf eine Minderheitsregierung von Tschechiens designiertem
Ministerpräsidenten Andrej Babiš und seiner Bewegung ANO hinaus, die mit 78
von 200 Sitzen die größte Fraktion im Abgeordnetenhaus stellt. Okamuras SPD
ist die einzige der neun Parlamentsparteien, die bereit ist, eine Regierung
mit Andrej Babiš zu bilden. Die anderen stören sich am Vorwurf des
Subventionsbetrugs und der Akkumulation von wirtschaftlicher, medialer und
politischer Macht in den Händen des Milliardärs. Abgesehen davon konnte er
sich bislang nicht vom Vorwurf reinwaschen, für die tschechoslowakische
Stasi gespitzelt zu haben. Doch für eine offene Koalition mit Okamura, der
den Islam verbieten und aus der EU austreten will, ist Babiš viel zu
pragmatisch.
Welche Absprachen daher hinter den Kulissen getroffen wurden, wurde am
Montag ersichtlich, als das neugewählte Abgeordnetenhaus erstmals
zusammenkam. Tomio Okamura wurde der Posten des stellvertretenden
Vorsitzenden des Hauses versprochen, seine Partei darf die Ausschüsse für
Wirtschaft und nationale Sicherheit leiten.
Neben Okamura setzt Babiš bei der Regierungsbildung auf sein
Verhandlungsgeschick. Er werde allen Parteien anbieten, Teile ihres
Wahlprogramms mit ins Regierungsprogramm aufzunehmen. Ein Gesetz über
Volksabstimmungen, wie es die SPD fordert, kann sich Babiš zum Beispiel
sehr gut vorstellen. Genauso lehnt Babiš, wenn auch nicht so lauthals und
radikal wie Okamura, die Aufnahme von Flüchtlingen aus islamischen Ländern
in Tschechien ab.
## Erster Trumpf in der Tasche
Einen wichtigen ersten Trumpf für seine Minderheitsregierung hat Babiš
dabei schon in der Tasche. Nicht nur Okamuras SPD, sondern auch die
Kommunisten und die hippen, urbanen Piraten haben zugestimmt, mit Radek
Vondráček einen Vertreter von Babiš’ ANO mit dem Vorsitz des
Abgeordnetenhauses zu betrauen. Das kann wichtig werden, wenn Babiš’
Regierung in den ersten zwei Anläufen mit der Vertrauensfrage scheitert.
Denn beim dritten Versuch ist es Sache des Chefs des Hauses, eine Regierung
zu ernennen. Die könnte laut Verfassung auch ohne Vertrauen des Parlaments
regieren, weil die Verfassung in diesem Fall keinen konkreten Termin für
Neuwahlen vorschlägt. Babiš hat aber schon im Vorfeld abgelehnt, ohne
Zustimmung des Hauses zu regieren.
Die traditionellen Parteien haben sich zu einem Demokratischen Block
zusammengeschlossen, durch den sie Babiš in Schach halten wollen. Die
Opposition ist aber schwach, sie kommt auf nur 38 Mandate, das ist weniger
als die Hälfte der Sitze der ANO. Allen Buh-Rufen zum Trotz wird niemand
Babiš und seine politischen Wasserträger aufhalten können.
21 Nov 2017
## AUTOREN
Alexandra Mostyn
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