| # taz.de -- Feminismus in Saudi-Arabien: Freudentränen bei Aktivistinnen | |
| > Der Thronfolger Mohammed bin Salman ist die Hoffnung für Vorkämpferinnen | |
| > in Saudi-Arabien. Dabei ist er für Kriegsverbrechen verantwortlich. | |
| Bild: Frauen stehen hinter ihm: Thronfolger Mohammed bin Salman | |
| Für die Feministinnen (so nannten sie sich selbst), die ich in | |
| Saudi-Arabien traf, war der fürchterliche Krieg im Nachbarland Jemen kein | |
| Thema. Sie waren damit beschäftigt, sich selbst und andere Frauen aus den | |
| Fesseln eines absurden Vormundschaftssystems zu befreien, in dem ein | |
| weibliches Wesen lebenslang das Mündel eines Mannes bleibt. Die | |
| Vorkämpferinnen setzten ihre Hoffnung dabei – außer auf die eigene Kraft – | |
| auf jenen Mann, der für zahlreiche Kriegsverbrechen auf dem jemenitischen | |
| Schauplatz haftbar zu machen wäre: Kronprinz Mohammed bin Salman, | |
| Verteidigungsminister und Saudi-Arabiens starker junger Mann. | |
| Der 32-jährige Thronfolger wird im globalisierten politischen Jargon als | |
| Reformer bezeichnet – ein Umstand, der vor allem zeigt, wie wenig dieser | |
| Begriff aussagt. Nach landläufiger Vorstellung gibt es in außereuropäischen | |
| und insbesondere islamischen Ländern eine Art Paket, das mit dem R-Wort | |
| etikettiert wird und in dem sich routinemäßig Folgendes befindet: mehr | |
| Rechte für Frauen und Minderheiten, Marktliberalismus, Bereitschaft zur | |
| Kooperation mit dem Westen. Wird dieses Paket ausgepackt, nennt man das | |
| Modernisierung. Da die Moderne aber bekanntlich von uns erfunden wurde, | |
| machen Reformen die islamischen Länder uns, dem Westen, zwangsläufig | |
| ähnlicher. | |
| So weit der Irrglaube. Tatsächlich entwickelt im 21. Jahrhundert jedes Land | |
| seine eigene Moderne, und Saudi-Arabien ist dafür gerade eine Parabel. Noch | |
| ist nicht ausgemacht, ob die Moderne-Variante von Mohammed bin Salman nicht | |
| doch hauptsächlich zum Fürchten ist. | |
| Was in den vergangenen Monaten unter seinem direkten oder indirekten | |
| Einfluss geschah, lässt sich in drei Kategorien fassen. Erstens: Frauen | |
| sollen mehr zur nationalen Wirtschaft beitragen; dazu wird ihnen das | |
| Autofahren erlaubt und das ominöse Vormundschaftswesen so weit | |
| eingeschränkt, dass es weibliche Berufstätigkeit nicht behindert. Zweitens: | |
| Der Prinz will die ganze Macht; Konkurrenten werden kaltgestellt, Gegner | |
| arretiert. Drittens: Seine Außenpolitik ist provokativ und nationalistisch. | |
| ## Frauenrechte zusammen mit Repression | |
| Während saudische Aktivistinnen also Freudentränen in den Augen hatten, als | |
| sie von der Aufhebung des Fahrverbots erfuhren, ging die humanitäre | |
| Katastrophe im Jemen ihren Gang; diese Formulierung muss man wohl wählen, | |
| wenn Hungersnot, Elend und Cholera nur noch von jenen Hilfsorganisationen | |
| verzeichnet werden, die seit Monaten vergeblich nach einer neuen | |
| politischen Initiative zur Beendigung des Kriegs rufen. | |
| Es ist nicht ganz neu, Frauenrechte zusammen mit Repression, gar Folter auf | |
| einem politischen Menü zu finden. Erinnert sei etwa an den Autokraten Ben | |
| Ali in Tunesien, wo sich ein sogenannter Staatsfeminismus entwickelte. Auch | |
| Mubarak liebte die Frauen, Baschar Assad nicht minder, und der Schah von | |
| Iran hatte eine kleine gebildete weibliche Oberschicht zum Brillieren. | |
| Manche Frauenrechtlerinnen ließen sich korrumpieren, verschlossen die Augen | |
| vor den Verbrechen eines Staates, dem sie den eigenen Aufstieg verdankten. | |
| In Tunesien wirkt das bis heute nach. | |
| Um nicht missverstanden zu werden: Jeder Zentimeter mehr Freiheit für | |
| saudische Frauen ist gut. Aber dass der Kronprinz die Macht einer misogynen | |
| Geistlichkeit zurückdrängt und man ihm nachsagt, er spreche die Sprache der | |
| Jugend, darf über anderes nicht hinwegtäuschen. Hier wächst in Windeseile | |
| ein aggressiver Jungherrscher heran, dem im Königreich bereits jetzt kaum | |
| jemand mehr in den Arm fallen kann. | |
| ## Israel und Saudi-Arabien rücken zusammen | |
| Saudi-Arabiens Bindung an den Westen wird seit Jahrzehnten mit einer | |
| chronisch beschönigenden Berichterstattung belohnt. Einst fanden | |
| Journalisten, wenn es um Panzerankäufe ging, auf dem Nachtschrank in Riad | |
| schon mal eine goldene Rolex als Betthupferl. Wie lange hat es gedauert, | |
| bis die Öffentlichkeit zögerlich zur Kenntnis nahm, dass unser | |
| strategischer Partner den weltweit kulturlosesten Islam praktiziert? Und | |
| kein einziges Kirchlein erlaubt für seine ausgebeuteten christlichen | |
| Gastarbeiterinnen? In jüngster Zeit schließt jede Nachricht über die | |
| erratische saudische Außenpolitik mit dem Satz, das Königreich kämpfe mit | |
| Iran um die Vorherrschaft in der Region. Die Floskel erklärt nichts, sie | |
| wickelt das Unverständliche nur in Pseudo-Plausibilität. | |
| Deutschland merkte erstaunlich wenig auf, als Mohammed bin Salman jüngst | |
| den obersten Führer Irans, Ali Chamenei, einen „neuen Hitler“ nannte. Für | |
| welchen Echoraum war das gedacht? Kaum für die Straßen der arabischen Welt; | |
| dort haben (leider) immer noch zu viele eine gute Meinung von Hitler. Der | |
| Prinz zielte vielmehr auf den Westen, und er benutzte dafür die Sprache von | |
| Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Der hatte Iran schon öfter | |
| unterstellt, einen „weiteren Holocaust“ zu planen. | |
| In der Tat rücken Israel und Saudi-Arabien im nahöstlichen Machtpoker | |
| gerade zusammen. Die Saudis erkennen den Staat Israel nicht an? Ist doch | |
| wurscht. Wenn der iranische Revolutionsführer der neue Hitler ist, dann | |
| darf es ihm gegenüber kein Appeasement geben – das könnte auch ein Tweet | |
| von Trump sein. | |
| ## Entgiftungsworkshop in Mekka | |
| In der Tehran Times befand der iranische Journalist Mohamed Haschemi, der | |
| saudische Prinz habe für seinen Hitler-Vergleich womöglich einen deutschen | |
| Inspirator: den Staatsrechtler Carl Schmitt. Dessen Idee, ein Souverän | |
| könne den Ausnahmezustand selbst herbeidefinieren, um daraus dann die | |
| Legitimität diktatorischer Notstandsvollmachten abzuleiten, motiviere auch | |
| Mohammed bin Salman. | |
| Spinnt man diesen Gedanken weiter, dann macht es womöglich auch Sinn, dass | |
| sich ausgerechnet Saudi-Arabien nun an die Spitze des Kampfes gegen | |
| islamistischen Terror setzen will. Denn es handelt sich dabei um eine neue | |
| Militärallianz mit Sitz in Riad; ein weiteres Machtinstrument für den | |
| Prinzen. | |
| Eine andere Möglichkeit wäre, all jene Stipendiaten, Muslime vieler Länder, | |
| die in Saudi-Arabien extremes Denken lernten, zu einem großen | |
| Entgiftungs-Workshop nach Mekka zu rufen. Davon wurde indes nichts bekannt. | |
| 17 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Charlotte Wiedemann | |
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