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# taz.de -- Die Wahrheit: Die wunderbaren Mumien
> Auf der Suche nach einem Hifi- und Fernsehtechnik-Geschäft kann man schon
> mal ins Halbdunkel einer Wunderschau geraten …
Mit dem Inhaber eines völlig heruntergekommenen Hifi- und
Fernsehtechnik-Geschäfts musste ich dringend etwas besprechen, konnte
jedoch den in einer Seitenstraße gelegenen Laden nicht mehr finden. Ratlos
irrte ich seit Tagen durch die Innenstadt.
Auf dem Marktplatz hatte neuerdings eine „Wunderschau“ ihr Zelt errichtet.
Für jede Ablenkung dankbar, kaufte ich mir an der Kasse eine
Eintrittskarte. Halbdunkel empfing mich in dem großen Zelt. So viel ich
sehen konnte, war ich der einzige Besucher. Ich begann meinen Rundgang und
gelangte als Erstes zu einem abgedunkelten Kabinett. Es enthielt drei große
Glasvitrinen.
In der ersten war eine Mumie ausgestellt. Beim Näherkommen erschrak ich
fast zu Tode und glaubte, eine Halluzination zu haben, denn die erstaunlich
gut erhaltene Mumie sah aus wie ich selbst. Fassungslos starrte ich meinen
leblosen Doppelgänger an.
Im Informationstext zu dem Exponat stand, die Mumie sei von „elenden
Leuten“ irgendwann irgendwo ausgegraben worden. Obwohl sie nicht von ihr
begeistert gewesen seien, hätten sie sie trotzdem einem bösartigen alten
Mann bringen wollen, der über ihr Dorf herrschte. Um sie besser tragen zu
können, hätten die Leute die Mumie in kleinere Teile zerlegt. Der Alte,
hieß es, habe die Einzelteile dann neu zusammengesetzt, so dass eine
„unwiderstehlich attraktive junge Frau“ daraus wurde, die seinem Willen
unterstand. Sie habe er mit dem Auftrag ausgesandt, seine Rivalen
umzubringen.
Ich taumelte zur nächsten Vitrine. Darin lagen die Einzelteile der Mumie
und in der übernächsten die zusammengesetzte „unwiderstehlich attraktive
junge Frau“. In ihr glaubte ich mich ebenfalls zu erkennen, obwohl ich ein
unscheinbarer alter Mann bin. Irritiert erkundigte ich mich bei der
Aufsicht und erfuhr, die Mumien besäßen die Fähigkeit, ihren Betrachtern zu
suggerieren, sie sähen das eigene Ebenbild in ihnen. Niemand könne
erklären, wie dieser Effekt zustandekomme.
Bis jetzt war ich ausgesprochen beeindruckt. Diese „Wunderschau“ hatte
wirklich etwas zu bieten, und ich war gespannt, was noch käme. Um zu den
folgenden Attraktionen zu gelangen, musste ich durch einen dicken, schweren
Vorhang schlüpfen – und fand mich draußen auf der Straße wieder. Direkt vor
mir stand das Haus mit dem heruntergekommenen Hifi- und
Fernsehtechnik-Geschäft, das ich so lange vergebens gesucht hatte.
Ich überlegte nicht, wie das möglich sein könnte, sondern trat schnell ein.
Im Laden war niemand, deshalb sah ich im Hinterzimmer nach. Dort traf ich
niemand anderen als die „unwiderstehlich attraktive junge Frau“ dabei an,
wie sie den anscheinend toten Ladenbesitzer zum Hinterausgang schleifte.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte ich höflich. Die Frau antwortete: „Nein
danke, ich schaffe es schon allein.“ Da mit dem Inhaber des Ladens unter
diesen Umständen nicht zu reden war, ging ich nach Hause.
22 Nov 2017
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Groteske
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Geschwister
Radio
Familie
Miete
Literatur
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