| # taz.de -- Die Wahrheit: Das Radiomysterium | |
| > Es war einer dieser seltsamen Zufälle, aber seit einiger Zeit wiederholte | |
| > die Moderatorin im Radio genau das Wort, das ich eben erst gedacht hatte | |
| > … | |
| Eines Vormittags wurde von einer Stimme in meinem Radio exakt das Wort | |
| wiederholt, das ich eine Sekunde vorher gedacht hatte. Zunächst hielt ich | |
| das für einen „seltsamen Zufall“, doch während der nächsten Tage geschah… | |
| immer wieder. Einmal erwähnte eine Moderatorin sogar ganz persönliche | |
| Dinge, die nur mir bekannt sein konnten. | |
| Fast täglich ging ich zu Fuß in den nahen Ortskern, um etwas zu erledigen. | |
| Auf meinem Weg kam ich an einem seit Jahren verlassenen Einfamilienhaus | |
| vorbei. Inzwischen war das gesamte Grundstück stark verwahrlost. Hinter dem | |
| lückenhaften Gartenzaun wucherten Gras und Wildkräuter, die Rollläden vor | |
| den Fenstern waren bis auf einen Spalt heruntergelassen. | |
| Als ich einmal kurz vor Einbruch der Dunkelheit dieses Haus passierte, fiel | |
| mir auf, dass Rauch aus dem Schornstein aufstieg. Es schien wieder jemand | |
| dort zu wohnen. Doch es gab keinerlei Veränderungen. In den Spalten, den | |
| die Rollläden freiließen, war kein Licht zu sehen. | |
| Neuerdings kam es vor, dass der Rundfunksender, den ich zu hören pflegte, | |
| nicht sauber eingestellt war. Beim Justieren stieß ich auf einen anderen, | |
| der vorher nie auf dieser Frequenz zu empfangen gewesen war. Wie ich sofort | |
| begriff, wurde über mich und das verkommene Haus gesprochen. Doch schon | |
| nach zwei, drei Sätzen ging es um etwas ganz anderes. Zwischen meinem Radio | |
| und dem Haus musste eine Verbindung bestehen. | |
| Bei Nacht schlich ich über eine stillgelegte Bahnlinie von hinten auf das | |
| verwilderte Grundstück. Auf der Rückseite des Hauses waren die Rollläden | |
| vollständig heruntergelassen, nichts verriet die Anwesenheit irgendwelcher | |
| Bewohner. Ich lauschte an den Fenstern und an der Haustür, ohne einen Laut | |
| zu vernehmen. Enttäuscht brach ich die Aktion ab. | |
| Am nächsten Tag kam ich auf meinem Weg in den Ort erneut an dem Haus | |
| vorbei. Es bot das gewohnte Bild, kein Rauch stieg aus dem Schornstein auf. | |
| Auf dem Bürgersteig gegenüber fegte ein Nachbar Laub zusammen. Ich grüßte | |
| ihn in der Absicht, durch ein oberflächliches Gespräch etwas zu erfahren. | |
| Tatsächlich gelang es mir. Viel wusste mein Gewährsmann allerdings nicht. | |
| Die Bewohner des Hauses seien vor fast zehn Jahren verschwunden, sagte er. | |
| Seither habe sich kein Mensch mehr auf dem Grundstück blicken lassen. | |
| „Könnte sich da nicht jemand heimlich einnisten?“, fragte ich. Der Mann | |
| antwortete: „Bis jetzt ist nichts davon zu bemerken. Das würde auffallen.“ | |
| „Ja“, meinte ich, „etwa wenn Rauch aus dem Schornstein käme.“ Der Mann | |
| erwiderte: „Das wäre allerdings sehr auffällig! So unvorsichtig ist | |
| niemand.“ Ich argwöhnte, mein Gesprächspartner verheimliche mir etwas, | |
| schwieg aber. | |
| Als ich auf meinem Heimweg wieder vorbeikam, qualmte der Schornstein. Aus | |
| einem mich überholenden Auto rief mir eine Frauenstimme zu: „Gehen Sie | |
| schnell nach Hause, Ihr Radio hat eine wichtige Nachricht für Sie!“ | |
| 19 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Eugen Egner | |
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