# taz.de -- Die Wahrheit: Kinder des Soli | |
> Der Solidaritätszuschlag könnte von einer Jamaika-Koalition abgeschafft | |
> werden. Jung und Alt wehren sich dagegen. Aus Solidarität! | |
Bild: Der Soli hat Champagner für alle erst möglich gemacht | |
Von all den impertinenten Schurkereien, die Unionsparteien, Freidemokraten | |
und Grüne derzeit aushecken, um ihre unheilige Jamaika-Koalition doch noch | |
unter Dach und Fach zu bringen, hat nur eine das Zeug dazu, den sozialen | |
Frieden in Deutschland dauerhaft zu stören: Es ist die Abschaffung des | |
Solidaritätsbeitrags. Seit mehr als 26 Jahren stellt das weithin verehrte | |
finanzpolitische Instrument ein Band zwischen den Bürgern dieses Landes | |
her, das zu zerschneiden den Verlust des letzten Zusammenhalts unter ihnen | |
bedeuten könnte. | |
Zwar erwies sich die Nachricht vom endgültigen Aus für die Abgabe schnell | |
als Nebelkerze der Möchtegernkoalitionäre. Insbesondere die Grünen | |
beeilten sich, den angeblichen Beschluss einer langen, von Champagner | |
befeuerten Verhandlungsnacht, den die Liberalen triumphal verkündeten, | |
lauthals zu widerrufen. Doch vom Tisch ist die von der traditionell | |
solidaritätsfeindlichen FDP angestrebte Pulverisierung der | |
Mitmenschlichkeit hierzulande noch lange nicht, auch wenn sie die | |
bizarrsten Folgen zeitigen würde. | |
Denn in diesem Punkt sind sich nahezu alle Experten einig: Der Abschaffung | |
des Solidaritätsbeitrags wohnt ein enormes Explosionspotenzial inne. „Im | |
Falle des Falles fliegt hier der ganze Laden in die Luft“, sagt zum | |
Beispiel Prof. Friedemann Baltzer, Volkswirt an der Uni Bielefeld. Selbst | |
die wenigen Fachleute, die an seiner These zweifeln, schweigen lieber – aus | |
Solidarität mit allen, die ähnliches prophezeien. Sollten sich deren | |
Befürchtungen nämlich bewahrheiten, wäre Lunte gelegt an die Wurzeln | |
unseres täglichen Miteinanders: „Es käme konstant zu Auffahrunfällen auf | |
den Straßen“, bestätigt Baltzer. „Die Leute würden vermehrt bei ihren | |
Nachbarn klauen und sich ungefragt siezen“. | |
## Frauke-Noelle stört es auch | |
Beim einfachen Volk draußen auf der Straße ist die Stimmung sogar noch | |
düsterer: „Dauernd Auffahrunfälle – bei denen da oben piept’s wohl“, … | |
sich die 45-jährige Frauke-Noelle. „Für mich ist der Soli wie Urlaub von | |
den normalen Steuern, mit denen sich die Politiker nur die eigenen Taschen | |
füllen.“ Auch ihre Freundinnen Stacy-Leanne und Hedwig finden, dass einzig | |
der Soli eine Gewähr gegen die wachsende Vereinzelung in dieser | |
Gesellschaft bietet und die Gefahr von Auffahrunfällen auf das Nötigste | |
beschränkt. | |
Für die drei Freundinnen aus München hat der Soli auch deshalb eine | |
besondere Bedeutung, weil sie ihn als Berufsanfängerinnen zu zahlen | |
begannen. „Wir verdienten das erste eigene Geld und hatten die beste Zeit | |
unseres Lebens – trotz oder wegen der Abzüge“, gibt Stacy-Leanne unumwunden | |
zu. „Bacardi Feeling, Joyride, Let’s Talk About Sex – das ist für mich | |
definitiv der Soundtrack zum Soli.“ Und Hedwig schwärmt: „Ich sehe in ihm | |
das Einhorn unter den Abgabenlasten. Der Spirit des Soli ist für mich der | |
einer verzauberten, umgekehrten Steuernachzahlung.“ Wenn sie am Wochenende | |
ausgehen, nennen sich die drei Frauen beim Zuprosten inzwischen gern | |
„Children of the Soli“. Nicht selten stößt die ganze Gaststätte mit an. | |
Freilich gibt es weitaus mehr Gründe für die Anhänglichkeit. Als der | |
Solidaritätszuschlag 1991 eingeführt wurde, hatte sich das Land soeben | |
wiedervereinigt. Die Freude über die unverhoffte Nationenbildung war mit | |
Händen zu greifen, allein der Kosename „Soli“ für die verfassungsrechtlich | |
wacklige Konstruktion sprach Bände. Binnen kürzester Zeit schlossen die | |
Werktätigen in Ost und West den kostspieligen Abzug vom Lohnzettel in ihr | |
Herz – sie erinnerten sich der alten Weisheit, derzufolge Solidarität die | |
Zärtlichkeit der Völker verkörpere. | |
## Unerschütterliche Solidarität | |
Und so meint auch Jochen, der 67-jährige Kohlearbeiter aus dem Ruhrpott, | |
dass der unerschütterliche Glaube an die Solidarität die wichtigste Lehre | |
ist, die er aus 26 Jahren Soli gezogen hat: „Es gab mal diese Zeit, als der | |
eine für den anderen einstand, daheim, in der Fabrik, im | |
Taubenzüchterverein. Als alle gemeinsam anpackten, wenn es galt, einem | |
reichen jungen Schnösel seinen Porsche zu verbeulen, ohne zum äußersten | |
Mittel greifen zu müssen – dem Auffahrunfall.“ | |
Wie viele andere in diesem Land erträgt er den Gedanken nicht, dass jene | |
Zeit des Zusammenhalts vorüber sein soll, nur weil ein paar durchgedrehte | |
Liberale es so wollen. „Wenn der Soli stirbt, stirbt auch der | |
Sozialismus“, zeigt sich Jochen überzeugt. „Die Jamaikaner dürfen damit | |
nicht durchkommen!“ | |
Auch Prof. Baltzer hört nicht auf, vor der Attacke auf die | |
gemeinschaftsstiftende Abgabe zu warnen: „Fast 17 Milliarden Euro wurden | |
daraus im vergangenen Jahr eingenommen“, gibt er zu bedenken. „Wer soll das | |
ersetzen – etwa ich?“ Seine Forschungen zum Thema, so der Wissenschaftler, | |
habe er übrigens unter dem erkenntnisleitenden Schlagwort „Generation Soli“ | |
begonnen. Jetzt aber wisse er: „Der Solidaritätszuschlag ist Deutschlands | |
Mehrgenerationenhaus – in ihm fühlen sich Jung und Alt zu Hause.“ | |
10 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Mark-Stefan Tietze | |
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