# taz.de -- Kampf gegen Kündigung: Jugendclub macht mobil | |
> In Neukölln soll ein Jugendtreff geschlossen werden. Jugendliche und | |
> Anwohner reagieren empört und wollen für den Erhalt kämpfen. | |
Bild: Auch das Sprühen von Graffiti konnte man im „Sunshine Inn“ lernen | |
Noch vor einem halben Jahr schien die Welt rund um den Neuköllner | |
Jugendtreff „Sunshine Inn“ in Ordnung. Anfang Mai feierten die Bewohner der | |
Weißen Siedlung unweit der A100-Baustelle das zehnjährige Jubiläum der | |
sozialen Einrichtung in ihrem Kiez. Auch einige Politiker waren damals | |
gekommen, der grüne Bezirksstadtrat Jochen Biedermann hielt eine Laudatio. | |
Die Weiße Siedlung, zwischen Sonnenallee und Dieselstraße gelegen, ist eine | |
dieser typisch westdeutschen Plattenbauten, die in den 1970er Jahren | |
entstanden. 4.000 Menschen, mehr als zwei Drittel der Bewohner, haben einen | |
Migrationshintergrund, 27 Prozent sind unter 18 Jahren alt, leben in den | |
Hochhäusern. Trist wirken die weißen Gebäuderiesen in der Stadtsilhouette, | |
manch einer nennt die Gegend „Brennpunkt“. | |
Am vergangenen Freitagabend, weht der Novemberwind scharf um die Häuser. | |
Niemandem im Jugendclub ist mehr nach Feiern zumute. Am Fußgängerweg vor | |
dem Club fangen zwei Jungs mit Klemmbrett unterm Arm die Vorbeigehenden ab. | |
„Die wollen uns den Club hier dichtmachen“, sagen Serdin und Yusef. Dagegen | |
sammeln die Teenager Unterschriften. Auf dem Boden liegen frisch gemalte | |
Plakate. „Outreach muss bleiben! Nein zur Schließung!“ steht darauf. | |
„Outreach“, so heißt der Träger des „Sunshine Inn“: Die durch öffent… | |
Mittel finanzierte gemeinnützige Gesellschaft bietet mobile, soziale | |
Jugendarbeit an, unterhält 28 Jugendeinrichtungen in der ganzen Stadt. | |
Im „Sunshine Inn“ können die Jugendlichen aus dem Viertel Hilfe bei | |
Hausaufgaben erhalten, kickern, im Internet surfen oder einfach | |
beisammensitzen und Musik hören. Einmal in der Woche wird gemeinsam mit den | |
Betreuern in der kleinen Küche gekocht. | |
## Kündigung ohne Grund zum Jahresende | |
Doch mit alldem soll bald Schluss sein: Ohne Nennung von Gründen wurde dem | |
Jugendclub seitens des Vermieters zum Jahresende gekündigt. | |
Wie so häufig im Berliner Immobilien-Labyrinth sind die Strukturen des | |
Unternehmens verschachtelt. Eigentümer des Hauses, in dem sich der | |
Jugendclub befindet, ist die „Brandenburg Properties 10 B.V.“, ein in | |
Amsterdam registrierter Immobilienfonds. Deren Haus- und | |
Grundstücksverwaltung ist telefonisch jedoch nicht zu erreichen. | |
„Shore Capital“, eine britische Investmentbank, die beratend für | |
„Brandenburg Properties“ auftritt, weist in einer Mail, die der taz | |
vorliegt, darauf hin, dass die Räume des „Sunshine Inn“ bisher nur für ei… | |
Nebenkostenpauschale zur Verfügung gestellt wurden. Nun wolle der | |
Eigentümer sie „anderweitig nutzen“, heißt es auf Anfrage. | |
Beim Krisentreffen am vergangenen Freitag sind viele Anwohner über die | |
drohende Schließung des Jugendclubs erschüttert. Sie erzählen, dass auch | |
der benachbarte Familientreff „Sonnenblick“ von der Kündigung betroffen | |
ist. Beide Einrichtungen seien nicht bloß Anlaufpunkte für Jugendliche | |
gewesen, vielmehr Treffpunkte, zu denen jeder habe kommen können. | |
## Hiobsbotschaft an die Jugendlichen | |
Hamza El-Khalaf, Sozialarbeiter im „Sunshine Inn“, erzählt, wie er und die | |
drei anderen Sozialarbeiter die jugendlichen Stammgäste am Vortag | |
zusammengerufen hätten, um ihnen die Hiobsbotschaft von der drohenden | |
Schließung zu überbringen. Mehr als 40 Jugendliche hätten sich in den | |
kleinen Aufenthaltsraum gequetscht, viele reagierten geschockt. | |
Keine vierundzwanzig Stunden später scheint der Schock überwunden, „Die | |
wissen gar nicht, mit wem sie sich angelegt haben“, sagt El-Khalaf, er | |
klingt jetzt kämpferisch. „Wir werden jetzt alle Hebel in Bewegung setzen.“ | |
Innerhalb eines Tages haben Jugendliche und Bewohner rund um den Jugendclub | |
mehr als 500 Unterschriften für dessen Erhalt gesammelt. Ein Blick auf die | |
Liste der Unterzeichner verrät: Egal, ob Jahrgang 1942 oder 2009, viele | |
Anwohner halten nichts von den Plänen des Immobilienunternehmens. | |
Eine Rentnerin ist erbost: „Was sollen die Kids denn sonst machen? Im | |
Winter auf der Parkbank rumlungern?“Sie habe bereits morgens | |
unterschrieben, sagt sie. | |
Von der Kündigung, so sagt Hamza El-Khalaf, wussten die Betreiber des | |
„Sunshine Inn“ schon länger. Fieberhaft habe man versucht eine Lösung zu | |
finden, auch das Quartiersmanagement und Lokalpolitiker hätten sich | |
eingeschaltet. Erst als eine Möglichkeit, den Mietvertrag übergangsweise zu | |
verlängern, aussichtslos erschien, habe man den Jugendlichen Bescheid sagen | |
wollen. | |
## Bedeutsam für Viertel und Lebensläufe | |
Paradox scheint da: Noch vor wenigen Monaten wurden die Räume des „Sunshine | |
Inn“ aufwendig und mithilfe der Jugendlichen renoviert. Für knapp 35.000 | |
Euro, Steuergeld, wie El-Khalaf betont, sei die Holzdecke, unter der | |
Schimmel zum Vorschein kam, komplett herausgenommen, neu verputzt und | |
gestrichen worden. Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar: Geschah dies | |
doch mit ausdrücklicher Genehmigung des Eigentümers, der dem Club kurz | |
darauf die Kündigung einreichte. | |
Später am Abend sitzen fünf junge Männer im gemütlichen Aufenthaltsraum des | |
Jugendclubs. Sie erzählen von der Bedeutung des Ortes für das Viertel – und | |
auch für ihren Werdegang. Zehn Jahre ihres Lebens, so sagen sie, haben sie | |
selbst hier verbracht. Durch den Club hätten sie es geschafft, ihrem Leben | |
eine bessere Richtung zu geben. „Auch ich würde noch Drogen nehmen“, sagt | |
einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Ich konnte | |
damit aufhören, eben auch, weil es diesen Ort hier gab.“ | |
Marki, ein 23-Jähriger mit Basecap und Bomberjacke, prognostiziert düster: | |
„Ich weiß ganz genau: Wenn das hier zumacht, werden sich die Jugendlichen | |
in schlechtere Kreise begeben. Dann kommen die auf miese Gedanken.“ Viele | |
der jetzigen Besucher seien an demselben Punkt, wie die Männer es vor | |
einigen Jahren waren. Deshalb wollen auch sie sich engagieren: für den | |
Erhalt ihres ehemaligen Clubs und für die Jugendlichen. | |
6 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Raphael Piotrowski | |
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