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# taz.de -- Rechte „Identitäre“ zeigen Präsenz: Das unheimliche Haus von …
> Die Nummer 16 hat neue Bewohner. Sie kommen von den „Identitären“. Der
> Protest ist laut. Aber was soll man machen?
Bild: Das Haus der Identitären während einer Protestdemonstration am vergange…
HALLE taz | Heute fliegen hier mal keine Steine, ätzt keine Buttersäure,
werden keine Nachbarn bedroht, nichts brennt, keiner schreit. An diesem
Herbstabend stehen lediglich einige Männer auf beiden Seiten der
Adam-Kuckhoff-Straße in Halle herum. Sie markieren Reviere.
Die einen wirken auffällig sportlich, haben viele Tattoos und die Haare
schön. Sie machen sich direkt vor der Hausnummer 16 breit, einem mit roter
Farbe beschmierten viergeschossigen Altbau. Die anderen harren vor dem
geisteswissenschaftlichen Campus der Martin-Luther-Universität aus. Sie
sind älter, ihr Haar ist schütter, es verdeckt kaum die Mikros und
Kopfhörer, die sie benutzen.
Die rechten Aktivisten der „Identitären Bewegung“ auf der einen
Straßenseite, die Zivilbeamten – nur etwa 20 Meter entfernt – auf der
anderen. Dazu kommen noch viele uniformierte Polizisten, deren
Mannschaftswagen nahe Altstadtgassen verstopfen. Radikale
Anti-rechts-Aktivisten sind diesmal nicht da, es ist nicht ihr Abend, zu
viel präsente Staatsgewalt. Die Farbe am Haus erinnert an sie. Dafür sind
Studierende zahlreich zugegen, denn heute wird an der Uni debattiert.
Thema: „Identitäre Bewegung in Halle. Wie umgehen mit dem neuen
Rechtsextremismus?“
Im Sommer dieses Jahres haben die Identitären das Haus Nr. 16 bezogen, vier
von ihnen sollen aktuell dauerhaft darin leben. Es könnte laut dem
völkischen Vordenker und Verleger Götz Kubitschek „ein Leuchturm“ der
rechten Szene werden. Der Besitzer des Hauses ist ein Mäzen aus Kubitscheks
Umfeld. Schon die Existenz dieses Projekts gilt als eine offene
Machtdemonstration einer rechtsextremen, bis dahin ohne sichtbares
Hauptquartier agierenden Organisation. Ein Haus als Dammbruch.
## Wie sich der Diskurs in Halle verändert
Die Präsenz der Identitären hat die gesellschaftliche Statik in Halle
verändert. Am Abend der Diskussion ist das Interesse so groß, dass die
Veranstaltung zusätzlich in einen weiteren Hörsaal übertragen werden muss.
Auf der Bühne warnt ein Diskutant, die Identitären nicht mit herkömmlichen
Nazis zu verwechseln, erläutert, dass sie Symbole und Aktionstechniken
linker Gruppen verwenden würden. Ein Verfassungsschützer erklärt, warum
diese bundesweit bis zu 500 Personen umfassende Gruppierung
verfassungsfeindlich ist. Etwa jeder Zehnte sei aus Sachsen-Anhalt – und
die aktivste Zelle eben die „Kontrakultur“ aus Halle. Bei all diesen Worten
stehen die Fenster im Vorlesungssaal weit offen, als sollten auch die von
der anderen Straßenseite alles mitbekommen.
Am Ende stellen die Experten fest, keine „Experten für die Lage um die
Identitären in Halle selbst“ zu sein. Viele Studenten gehen sichtlich
ernüchtert nach Hause. Die Rechtsextremen haben sich breitgemacht, und
niemand scheint eine Antwort zu wissen. Später in der Nacht zieht auch die
Polizei ab. Die Identitären bleiben.
Experten für alles rund um das Haus Nummer 16 sind dagegen Wanja Seifert
und Valentin Hacken vom Bündnis „Halle gegen rechts“. Sie empfangen in
einem Café am Rande der Altstadt, das so wirkt wie ganz Halle tagsüber:
bedächtig und gut durchgefegt.
## Warnung vor der neurechten Elite mit militanter Schlagseite
Seifert ist 34, studiert Politik und Wirtschaft. Er hat selbst erlebt, wie
die Identitären 2015 zum ersten Mal in Halle aufgetaucht sind und in der
Marktkirche Flyer verteilt haben. „Dort war auch Mario Müller schon dabei“,
sagt Seifert. Müller ist Gründer und Anführer von Kontrakultur, ein
einschlägig bekannter und verurteilter Neonazi, der „sich jetzt zur
neurechten Elite ausbildet, ohne seine militante Seite abzulegen“, erklärt
Seifert.
Seifert und Hacken wollen klar machen, dass die Identitären „zu weiten
Teilen aus militanten Neonazi-Kadern der alten Schule bestehen“. Die
Stilisierung als „kreative Sturmtruppe“ der Patrioten sei nichts als
„Maskerade“.
Der 26-jährige Hacken, Student der Rechtswissenschaften, findet es
bedenklich, „dass die sich jetzt sicher genug fühlen, um offen
aufzutreten“. Problematisch sei, dass es nun „Zuzug von Rechten“ in die
Stadt gebe. Hacken ist selbst Zugezogener, aus Freiburg, er sei auch
gekommen, „weil hier politisch mehr los ist“. Sagt es und muss selbst
schmunzeln. So viel Aufregung wie jetzt um die Identitären hätte er sich
wohl doch nicht gewünscht.
Während Hacken das sagt, springt Seifert plötzlich auf, hastet um eine
Ecke. Er kommt kurz darauf wieder. „Das war Jan Scharf, einer von den
Identitären“, erklärt er. „Ich wollte nur gucken, ob da etwas passiert.“
Halle ist zu klein, als dass Energie leicht entweichen könnte. Sie bleibt
in dem überschaubaren Städtchen da, sie verdichtet sich.
## Die Opferhaltung nährt die Identitären
Wie die Identitären auch bundesweit ins Gespräch kommen, hat zuletzt die
Frankfurter Buchmesse gezeigt. Dort gab es Tumulte rund um den
Antaios-Verlag. Dessen Chef ist Götz Kubitschek. Einer seiner Autoren:
Mario Müller. Bei der Buchmesse wollte er zusammen mit dem Österreicher
Martin Sellner auftreten, dem bekanntesten Identitären im deutschsprachigen
Raum. Dazu kam es nicht, weil linke Gegendemonstranten auftauchten. Es
folgten Sprechchöre, Handgemenge, wüste gegenseitige Beschimpfungen.
Am nächsten Tag gab Kubitschek Interviews über die Vorfälle. Juergen Boos,
der Direktor der Frankfurter Buchmesse, sei der Böse, die Linken sowieso.
Die Opferhaltung nährt die Identitären. Und der Medienrummel.
Müllers Buch ist eine Art popkulturelles Nachschlagewerk, in dem er
gedanklich recht plump versucht, alle möglichen Filme, Personen und
Ereignisse auf rechts zu polen. Sogar Rudi Dutschke, erscheint bei Müller
als ein national bewegter Aktivist.
International sind die deutschen Identitären vor allem mit Österreich und
Frankreich vernetzt, wo die aktivsten Zellen in Europa zu finden sind.
National betrachtet klettern sie vor allem auf Dächer, um Transparente zu
spannen. Zuletzt verschafften sie sich in Cottbus illegal Zugang zum Dach
der Stadthalle und spannten dort ein zweigeteiltes Transparent mit der
Aufschrift „Grenzen schützen – Leben retten“. Zuvor hatte einer der
Aktivisten eine Hebebühne gemietet, um diese angeblich für die Reparatur
von Dachschäden zu verwenden. Die bisher medienwirksamste Aktion dieser Art
gelang den Identitären in Berlin, am Brandenburger Tor.
## Gewaltfreiheit? „Eine Lüge!“
Zurück nach Halle. Dort arbeitet Torsten Hahnel in einem von Flyern,
Zetteln und Aufklebern gesäumten Büro von Miteinander e.V., einem Verein,
der sich unter anderem um Opfer rechter Gewalt kümmert. „Wenn die
Identitären behaupten, gewaltfrei zu sein, ist das eine Lüge, der wir uns
entschieden entgegenstellen müssen“, sagt er. Hahnel wurde selbst aus einer
Gruppe heraus angegriffen, in der Identitäre dabei waren, das Verfahren
läuft. „Es geht darum zu zeigen: Wir nehmen eure Selbstdarstellung nicht
hin!“
Im Gegensatz zu dem bedachten Auftreten von Seifert und Hacken wirkt Hahnel
etwas aufgekratzt, er redet sich fast in Rage, wenn er sagt: „Es ist nicht
zu fassen, wie manche nicht sehen wollen, dass es alles reine Strategie
ist!“ Dann erläutert er ruhiger, was er damit meint. Die Rechtsextremen
hätten sich nur ein neues Etikett draufgeklebt, um sich als neue,
alternative Rechts-Elite zu zelebrieren. Darunter aber würden sich nach wie
vor die bekannten militanten rechtsradikalen Strukturen finden.
Und noch eine Sache ist Hahnel wichtig: „Man kann die Identitären nicht
losgelöst von den Burschenschaften und von der AfD betrachten. Da findet
gerade ein Zusammenschluss am äußersten rechten Rand statt.“
Anhand der Hausnummer 16 zeigt sich auch der Zusammenschluss verschiedener
Strukturen von rechts außen. Zwar existiert ein Beschluss der AfD, nicht
mit der Identitären Bewegung zusammenzuarbeiten. Wohl vor allem deshalb
wurde „Einprozent“ gegründet. Dabei handelt es sich um eine Art
rechtsextreme Briefkastenfirma, die nach Meinung von Experten als Scharnier
zwischen der AfD und den Identitären fungiert. Dank dieses juristischen
Taschenspielertricks mietet mit Hans-Thomas Tillschneider ein
AfD-Landtagsabgeordneter im Haus ganz offen ein Büro. Tillschneider sagt
dazu: „Einprozent ist etwas völlig anderes als die Identitäre Bewegung.“
Und: „Ich achte genau darauf, den Beschluss des Bundesvorstands, dass es
keine Zusammenarbeit mit der IB gibt, nicht zu verletzen.“ Aber: „Das
ändert nichts daran, dass ich diesen Beschluss für falsch halte.“
## Eine Hand wäscht die andere
Im Verlauf der Recherche rund um das Haus Nummer 16 passiert dann etwas
Interessantes. Ein Mann, der seine Identität nicht preisgeben möchte,
überreicht einen leicht zerknitterten Zettel, der mit „Tagesordnung 19.09.
2017“ überschrieben ist und offensichtlich von einer Versammlung in dem
Haus stammt. Es finden sich zahlreiche Veranstaltungen der Identitären
darauf, auch ein Hinweis auf die geplante „Ersti-Woche“, bei der sie
Agitationsmaterial an Studienanfänger verteilt haben. Unter Punkt 4 steht:
„Im Gegenzug dazu, dass MDL Tillschneider sich im Haus untermietet, sollen
vier Identitäre dem AfD-KV Saalekreis beitreten.“
Vor der Tür, von deren Klingelschild die Namen der IB-Aktivisten
einträchtig neben einem AfD-Logo prangen, ist Hausbewohner Mario Müller
bereit zu reden. Seine Haare sind akkurat nach hinten gegelt. Fester Blick,
fester Händedruck. „Wir wollen noch in diesem Jahr auch Veranstaltungen
anbieten“, sagt er. Zur AfD sagt er, dass es „einzelne freundschaftliche
Beziehungen“ gebe, aber natürlich keinerlei Zusammenarbeit. Er erklärt dann
noch, dass die Nachbarn das Haus „gut annehmen“, auch wenn es natürlich
„solche und solche“ geben würde. Sich selbst und seine Mitstreiter erhebt
er zu einer „komplett gewaltlosen Disziplin“. Dann geht er wieder rein.
Draußen bleiben nur die am Regenrohr befestigten Aufkleber wie „Merkel muss
weg“ und „Defend Europe“. Und Studenten, die, um am Haus vorbeizulaufen,
die Straßenseite wechseln.
Am nächsten Tag veröffentlichen 120 Anwohner einen offenen Brief. „Wir
wünschen ausdrücklich keine Nachbarschaft mit Ihnen“, heißt es darin.
## Quarzhandschuhe und verdeckte Drohungen
Dass die Identitären jeglicher Gewalt abhold sind, daran bestehen
begründete Zweifel. Einem IB-Aktivisten wird gerade wegen Nötigung und
Körperverletzung der Prozess gemacht, er soll einen Gegendemonstranten in
einer Straßenbahn angegriffen haben. Der Vorfall, von dem Studenten in
Halle am meisten erzählen, geschah in der Uni-Mensa. Dort sollen im Juni
mehrere Identitäre Studenten beleidigt und bedroht haben. Als die Polizei
eintraf, stellte sie bei den Tätern Pfefferspray, Quarzhandschuhe und ein
Messer sicher.
Wer weiter herumfragt, stellt fest, dass so manche Studenten unangenehme
Erfahrungen mit Identitären gemacht haben. Eine von ihnen ist Leonie, die
ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. „Eine Freundin, mit der ich
unterwegs war, hat sich ein kurzes Rededuell mit Melanie Schmitz
geliefert“, erzählt sie. Schmitz ist das Postergirl der IB und durch ihre
eifrige Selbstinszenierung in den sozialen Netzwerken bekannt. „Fünf
Minuten später ist dann Mario Müller aufgetaucht. Der hatte so einen irren
Gesichtsausdruck. Der Blick total entgleist. Und er hat Handschuhe
getragen. Da haben wir direkt vermutet, dass es Quarzhandschuhe sind. Es
war ja September.“ Leonie und ihre Freundin flüchteten vor Müller dann in
ein Café.
Ein anderer Student, der in linken Zirkeln aktiv ist, erzählt, wie einmal
abends acht Schlägertypen von den Identitären und aus deren Umfeld bei ihm
an der Wohngemeinschaft aufgetaucht sind. „Die haben nach mir gefragt, dann
Flyer von Einprozent in den Briefkasten geworfen. Die wollen, dass man sich
nicht mehr sicher fühlt.“ In seinem Fall hatte die Strategie Erfolg, er zog
daraufhin weg. „Ja, schon auch deswegen“, sagt er etwas zerknirscht.
Es scheint schon so, dass der Widerstand gegen die Identitären in Halle
bunt und gut organisiert ist. Die Rechtsextremisten sind deutlich in der
Minderheit. Aber sie schaffen es, dass so viele Studenten nicht mit offenem
Visier gegen sie antreten wollen.
Manchmal kippt der Widerstand gegen das Haus. Ende Oktober ist es mit
Pflastersteinen und Buttersäure attackiert worden. Zuvor gab es schon
Farbbeutelwürfe.
Mehrfach protestierten Demonstranten aber auch friedlich unweit der Nummer
16. Ein Nachbar sagt auf Nachfrage: „Hier wird viel gegen die Identitären
gemacht, viel demonstriert. Aber am Ende bleiben sie doch da.“ Dann geht er
schnell weiter. Ein etwas flaues Gefühl bleibt, wie nach der
Diskussionsveranstaltung an der Uni. Viele wollen etwas tun, aber kaum
jemand hat ein Mittel, und so gut wie niemand glaubt, dass die
Rechtsextremen bald verschwinden.
## Pflastersteine für den eigenen Opfermythos
Der Verleger Götz Kubitschek sprach anlässlich des dreijährigen Jubiläums
von Pegida. Er sprach in Dresden nicht nur – er holte auch Pflastersteine
hervor. Es sollen dieselben sein, die schon gegen das Haus Nummer 16
geschleudert worden waren. Kubitschek improvisiert eine Art Versteigerung
der Steine. Der rechte Zusammenschluss steht. Der Opfermythos lebt.
Im Internet kündigt Kubitschek dann noch etwas anderes an: Er werde mit
seinem Antaios-Verlag ein neues Büro mieten. In der Adam-Kuckhoff-Straße
16.
1 Nov 2017
## AUTOREN
Nik afanasjew
Eva Kienholz
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