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# taz.de -- Ikone der Frauenbewegung über Karriere: „Immer langsam mit der B…
> Barbara Schaeffer-Hegel ist Feministin. Eine, die Frauen nicht als Opfer
> sieht, sondern sie in Führungsfunktionen sehen will. Darüber hat sie nun
> ein Buch geschrieben.
Bild: „Ich habe nicht das System kopiert – ich wollte es verändern!“: Sc…
taz: Frau Schaeffer-Hegel, Sie bezeichnen sich selbst als Feministin. Haben
Sie das von Ihrer Mutter?
Barbara Schaeffer-Hegel: Meine Mutter war keinesfalls eine Feministin. Die
Frage trifft aber eines meiner biografischen Probleme. Meine Mutter hatte
die Idee, dass ich es besser haben sollte als sie. Als einziges Mädchen
sollte ich Hausfrau und Mutter werden, mit Ehemann und Kindern und
Klavierspiel und Plätzchenbacken. Sie selber war schon ab ihrem 19.
Lebensjahr berufstätig. Sie konnte dann meinen Vater zunächst nicht
heiraten, weil sie als Beamtin bei einer Heirat ihren Beamtenstatus und
ihre Stelle als Lehrerin verloren hätte.
Frauen konnten keine Beamtinnen sein, wenn sie verheiratet waren?
Konnten sie nicht, weil man ja doch nicht zwei Herren dienen kann (lacht).
Das hat lange in Deutschland Gültigkeit gehabt. Mein Vater hatte als
Regisseur der Landesbühne immer nur Jahresverträge. Da blieb Mutter eisern:
Solange mein Vater keine feste Stelle hatte, wurde nicht geheiratet.
Nachdem mein Vater 1933 Geschäftsführer in einem Kasseler Kino wurde, war
sie dann für etwa zehn Jahre Hausfrau. Aber als wir 1944 ausgebombt wurden,
musste meine Mutter in den Beruf zurück, um eine Wohnung für sich und ihre
drei Kinder zu bekommen. Und dann war sie bis zu ihrem Lebensende
berufstätig. Sie hat die Familie durch den Krieg und die Nachkriegszeit
gebracht, sie hat die Familie ernährt. Mein Vater hatte seine berufliche
Existenz verloren, als er aus dem Krieg zurückkam, und musste sich eine
neue aufbauen. Mutter hat das Geld verdient und war bis zur Rückkehr meines
Vaters Chef der Familie.
Und das war Ihr Vorbild?
Ja, aber meine Mutter hat meine beruflichen Erfolge lange nicht anerkannt.
Sie war nie zufrieden mit mir, weil ich nicht das gemacht habe, was sie
sich für mich vorgestellt hatte, nämlich nur Hausfrau und Mutter sein.
Waren Sie denn damals schon Feministin?
Nein, mit politischen Themen kam ich in Berührung, als ich mit 21 Jahren
zum ersten Mal erfuhr, was in Deutschland zwischen 1933 und 1945 passiert
ist. Das war für mich ein furchtbarer Schock! Zu Hause hat niemand darüber
geredet und in der Schule hat niemand darüber geredet. Ich habe es erst
erfahren, als ich in meinem dritten Studiensemester als Tutorin bei einer
Fortbildungsveranstaltung zur „Re-Education“ assistiert habe und dort der
Film „Nacht und Nebel“ gezeigt wurde. Von da an war klar, dass mein Leben
der Aufgabe gewidmet sein würde, dazu beizutragen, dass in Deutschland so
etwas nie wieder passieren kann. Von da ab bin ich ein politischer Mensch
gewesen.
Und ein frauenpolitischer?
Das wurde ich erst im Alter von 30 Jahren, als ich eine sehr belastende
persönliche Krise hinter mir hatte. Meine erste Ehe war gescheitert, ich
landete allein mit zwei Kindern als Assistentin an der Hochschule in
Münster. Ich war 30, sah nicht gerade schlecht aus, alle Kollegen – und es
gab nur Kollegen – wollten mit mir ausgehen; aber keiner kam auf die Idee,
mich mit meinen Kindern nach Hause einzuladen. Als eine „Geschiedene“ mit
Kindern war ich Freiwild und Outcast zugleich.
Das hat Sie zum Frauenthema gebracht?
Das nicht. Aber zum Glück habe ich durch die Arbeit in Uni-Gremien Karin
Schrader-Klebert kennengelernt. Die älteren Feministinnen werden sich an
sie erinnern, denn Karin Schrader, später Schrader-Klebert, hat 1969 im
„Kursbuch 17“ die erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Grundlegung der
feministischen Wissenschaft und der Frauenforschung vorgelegt. Ich war
damals links, aber keine Feministin. Wir haben viel diskutiert und
natürlich hat mich Karin dann voll und ganz überzeugt.
Wie denn?
Es gab ja so viele Beweise! Ich hatte Geschichte studiert – und nie etwas
von der deutschen Frauenbewegung, nie etwas von historisch bedeutsamen
Frauen gehört. Ich hatte auch nie darüber nachgedacht, ob die Einführung
des allgemeinen, gleichen Wahlrechts in Deutschland wirklich ein
allgemeines und gleiches Wahlrecht war …
… oder ob da nicht doch eine Gruppe vergessen worden war?
Ja, da wurde doch glatt die Hälfte der Bevölkerung vergessen! Das ist mir
alles nach und nach aufgegangen in den Gesprächen mit Karin. So wurde ich
eine absolut überzeugte Frauenforscherin und dann auch Frauenpolitikerin.
1972 wurden Sie Professorin an der damaligen Pädagogischen Hochschule (PH)
in Berlin: Die Zeit der Kinderläden, Frauengruppen, der sexuellen
Selbstbestimmung von Frauen begann. Wann haben Sie gemerkt, dass dieser
„klassische“ Feminismus nicht Ihr Weg ist?
Was der klassische Feminismus ist, ist ja eine Definitionsfrage. Ich habe
mich immer der Frauenbewegung zugehörig gefühlt, habe dann aber Erfahrungen
gemacht, die mich stutzig gemacht haben, was einige Positionen und
Praktiken der sogenannten autonomen Frauenbewegung anbelangt. Zum Beispiel
habe ich 1980 die „Arbeitsstelle Frauenforschung“ an der PH gegründet. Es
gab eine ganze Reihe von Kolleginnen, die auch frauenbewegt waren. Aber sie
weigerten sich, mitzumachen. Mit dem Argument, dass man an einer so
patriarchalen Organisation wie der Hochschule keine emanzipatorische
Frauenpolitik machen könne! Das war das Erste.
Und das Zweite?
Es gab Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre vom Bundesforschungsministerium
Sondermittel für Universitäten, unter anderem für Frauenforschung. Mein
Antrag für ein „Women’s Studies“-Projekt an der Technischen Universität
wurde bewilligt. Das Vorhaben war nicht schwierig: die Studenten mussten
ohnehin verschiedene Fächer belegen, und überall gab es Angebote zu
Frauenthemen. Die Idee war, dass, wenn Studentinnen und Studenten zum
Beispiel sowohl in Psychologie als auch in Soziologie als auch in ihren
Fächern Seminare zu Frauenthemen oder zum Geschlechterverhältnis belegen
würden, sie einen Nachweis bekommen könnten, dass sie für Frauen- und
Geschlechterfragen besonders qualifiziert sind.
Das alles klingt doch nach einer guten Idee.
Das wurde auch gemacht. Aber als ein Jahr später die ersten Studenten das
Programm durchlaufen hatten und es darum ging, ein Zertifikat für diese
Qualifikation zu erstellen, sagten meine lieben Kolleginnen: Zertifikat?
Das geht überhaupt nicht! Das würde doch alle diejenigen diskriminieren,
die nicht an den Kursen teilgenommen haben!
Merkwürdig.
Ja, nicht? Aber das waren einige der fundamentalistischen, frauenbewegten
Positionen damals. Keine Prüfungen, keine Zertifikate und keine Zeugnisse.
Da habe ich mir gesagt: In dieser Umgebung kann ich politisch nichts
Nachhaltiges bewirken, und habe 1995 meinen eigenen Verein gegründet, die
Europäische Akademie für Frauen in Wirtschaft und Politik, kurz EAF.
In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, Sie hätten damit „einen markanten Bruch
mit der bisherigen feministischen Denktradition“ vollzogen. Erklären Sie
das bitte mal!
Ich habe mit der EAF gegen mehrere Positionen und Einstellungen der
autonomen Frauenbewegung verstoßen. Es ging mir nämlich nicht in erster
Linie darum, Sozialarbeit bei geschlagenen, verstoßenen und benachteiligten
Frauen zu machen, sondern darum, Frauen zu stärken. Sie zu befähigen,
Führungspositionen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu übernehmen,
damit sie gesellschaftliche Veränderung zugunsten aller Frauen in Gang
setzen würden. Das war damals überhaupt nicht beliebt: Frauen waren Opfer,
um die musste man sich kümmern. Elitefrauen für Führungspositionen stark
machen und dann auch noch mit der Wirtschaft, den Kapitalisten,
zusammenarbeiten – das ging doch gar nicht!
Die meisten Feministinnen wollten damals eben mit dem „männlichen System“
brechen. Sie haben es quasi kopiert und für Frauen nutzbar gemacht.
Ich habe nicht das System kopiert – ich wollte es verändern! Meine
Mitstreiterinnen und ich haben außerdem damit argumentiert, dass wir ein
Bevölkerungsproblem haben; einen Geburtenrückgang, der uns langfristig
echte Probleme bescheren würde, zum Beispiel bei der Rekrutierung von
Fachkräften. Meine Position war: Wir müssen Frauen die Möglichkeit geben,
Beruf und Familie zu vereinbaren! Und zwar auch den weiblichen
Führungskräften.
Also Frauen an die Macht bringen, um familienpolitische Veränderungen zu
bewirken?
Viele Veränderungen, alle möglichen Veränderungen: in der
Arbeitszeitgestaltung, in der Förderung von Frauen für Führungspositionen,
in der Schule, im Bildungswesen, aber auch in der Einbeziehung von Männern
in die Familienarbeit. Alle diese Dinge wollten wir unter anderem mithilfe
von Frauen in Führungspositionen vorantreiben. Aber die Frauen aus der
Frauenbewegung sagten mir: „Wir lassen uns doch nicht als Gebärmaschinen
missbrauchen! Wir wollen nicht mehr Kinder gebären, sondern Gerechtigkeit!“
Dass die negative Bevölkerungsentwicklung ein gesamtgesellschaftliches
Problem war und dass gerade ausgebildete Frauen, die ihren Kindern auch
etwas vermitteln können, zu dieser Zeit sehr häufig keine Kinder hatten,
weil sie das nicht vereinbaren konnten, war vielen Frauen egal. Aber mir
nicht.
Heute gilt es als selbstverständlich, dass Frauen ehrgeizige Berufspläne
haben. Aber genauso selbstverständlich ist immer noch, dass sie den
Löwenanteil der Familienarbeit zu tragen haben.
Die Doppelbelastung ist ein ganz großes Problem. Frauen können und wollen
manchmal einfach nicht mehr Karriere machen, weil sie das psychisch oder
physisch nicht verkraften. Das ist richtig. Aber kollektive
Verhaltensveränderungen sind notgedrungen ein ganz allmählicher Prozess –
insbesondere, wenn es sich um Verhalten handelt, das so eng mit der
persönlichen Identität als Frau oder als Mann zusammenhängt. Das geht
einfach nur langsam. Aber ich lebe ja schon lange genug, um zu sehen, dass
sich auch in diesem Bereich, der so nahe ans Eingemachte geht, Dinge
verändern. Wenn ich heute durch die Straße gehe, sehe ich jedes Mal
mindestens einen Mann, der ein Baby vor den Bauch gebunden trägt, und
mindestens drei oder vier, die einen Kinderwagen schieben. Als ich meine
erste Tochter geboren habe 1964, gab es das noch nicht. Und außerdem gab es
so gut wie keine Ganztagsbetreuung für Kinder. Für deren Entwicklung hat
sich die EAF auch mit verschiedenen Projekten eingesetzt.
Sie haben ja vier Kinder. Hatten Sie je Zweifel, ob Sie die mit Ihrer
Arbeit unter einen Hut bekommen?
Aber nein, das war so selbstverständlich. Ich habe ja eigentlich auch nur
zwei Mal zwei Kinder gehabt, weil die Altersabstände zwischen den beiden
älteren und den beiden jüngeren Kindern so groß sind. Außerdem war ich in
einer privilegierten Situation: An der Hochschule konnte ich mir meine Zeit
weitgehend selbst einteilen. Die Entscheidung, wann ich meine
Lehrveranstaltungen, meine Sprechstunden und meine Prüfungen abhalte, lag
weitgehend bei mir.
Hat denn Ihr Mann zur Familienarbeit beigetragen?
Mein Mann hat immer etwas zu Familienarbeit beigetragen. Aber ab 1994, als
ich die EAF gründete und in den ersten Jahren der Aufbauarbeit, hat er
sukzessive fast die ganze Hausarbeit und die Versorgung der Kinder
übernommen. Ohne seine häusliche Unterstützung und ohne die großzügige
Freistellung durch die Uni hätte ich diese Aufbauarbeit wohl gar nicht
leisten können.
Ein weiteres Ärgernis bleibt die berühmte „gläserne Decke“, die Frauen
Karrieren in vielen Bereichen erschwert. Haben Sie eine Idee dazu?
Auch hier gilt, immer langsam mit der Braut. So verdienen etwa die
weiblichen Aufsichtsräte in Deutschland im Moment mehr als Männer. Okay,
das sind immer noch nur 7 Prozent der Aufsichtsräte – aber immerhin! Das
kommt doch einer Revolution gleich. Und die Quotierung der
Aufsichtsratsstellen, die 2015 gesetzliche Pflicht wurde, wird ja
möglicherweise auch auf Vorstände ausgeweitet – so hatte es zumindest vor
der Wahl die letzte Frauenministerin Katarina Barley angekündigt. Jetzt
müssen wir mal sehen, wer auf ihren Platz kommt. Aber dass so etwas
überhaupt als Programm deutlich formuliert wird, ist doch schon ein
ziemlicher Fortschritt. Es gehört ja so viel dazu, dass eine Frau
Vorstandsvorsitzende wird, so viele gesellschaftliche und persönliche
Dinge! Der Mann muss mitziehen oder sie muss alleinstehend oder ohne Kinder
sein! Und sie muss sich gegenüber diesen Männern durchsetzen. Deswegen
zielten unsere EAF-Trainings immer auch darauf, dass die Frauen
selbstbewusst und durchsetzungsfähig werden. Damit sie zum Beispiel bei
einer Gehaltsverhandlung sagen: „Das will ich haben!“, und nicht: „Was
kriege ich denn, bitte schön?“
Lernen die Frauen in Ihrer Akademie auch, wie sie sich wehren können gegen
sexuelle Belästigungen? Die Weinstein-Affäre zeigt ja gerade wieder, dass
so etwas bis in höchste Kreise normal ist.
Expliziter Bestandteil des Programms war das zu meiner Zeit nicht – und ist
es heute meines Wissens auch nicht. Aber ich denke, die Fähigkeit, sich
gegen sexuelle Übergriffe zu wehren, wächst mit dem Selbstbewusstsein – und
genau das fördern wir ja bei unseren Frauen.
Aber diese Affäre zeigt doch, so etwas passiert auch starken Frauen – und
sie können trotzdem in dem Moment oft nicht angemessen reagieren.
Das ist wahr, es ist mir selber auch passiert. Vor Jahren hat mir ein sehr
prominenter Politiker der Bundesrepublik bei einer Podiumsdiskussion auf
meinen Hinweis, dass nur sechs Prozent der Väter von der Möglichkeit,
Erziehungsurlaub zu nehmen, Gebrauch machten, vor einem Publikum von rund
500 überwiegend Männern, die Frage gestellt, wie ich denn „sechs
buchstabieren würde“. Ich war so perplex, fühlte mich so überrumpelt, dass
mir keine angemessene Reaktion gelang.
Kein Wunder, so eine Frechheit!
Ja. Wenn es der falsche Moment ist oder wenn du wirklich down bist, und das
sind ja auch starke Frauen manchmal – dann ist es schwer, richtig zu
reagieren. Inzwischen ist aber auch unsere Wahrnehmung und Sensibilität
viel größer. Wenn uns als jungen Mädchen auf der Straße nachgepfiffen
wurde, haben wir das nicht als sexuelle Demütigung empfunden. Heute ist man
da, vor allem in den USA, viel empfindlicher. Viele Sachen sind dort wohl
auch etwas übertrieben. An manchen amerikanischen Universitäten braucht man
ja fast eine schriftliche Zustimmungserklärung, ehe man sich küssen darf.
29 Oct 2017
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Feminismus
Gleichberechtigung
Frauenquote
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