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# taz.de -- UN-Mission in Haiti: Skandale und Korruption
> 13 Jahre nach ihrer Entsendung verlässt die letzte Einheit der Blauhelme
> am Sonntag Haiti. Stabilität haben die Soldaten dem Land nicht gebracht.
Bild: Ein Salut brasilianischer UN-Soldaten zum Abschied der Mission von Haiti
Berlin taz | „Haut ab“, schreien Frauen ein paar 100 Meter von der Stelle
entfernt, an der abgeschirmt von Blauhelmsoldaten und haitianischer Polizei
die blaue Fahne mit der Weltkarte und dem Lorbeerkranz eingeholt wird.
Tausende Protestierer haben sich versammelt, um den abziehenden Soldaten
der Mission des Nations Unies pour la Stabilisation en Haïti (Minustah) zu
zeigen, was sie nach 13 Jahren Anwesenheit im Armenhaus Lateinamerikas von
ihnen halten. Lorbeeren hat sich die Truppe keine verdient. Korruption und
Sexskandale, geschwängerte Jugendliche: Die Liste der Vorwürfe gegen
Minustah-Mitglieder ist lang.
„In Bezug auf die Sicherheit ist die Präsenz von Minustah ein Fluch für das
Land“, urteilt der Soziologe Ilionor Louis. Im AlterRadio beklagte der
Professor an der Université d’État d’Haïti (UEH) in Port-au-Prince, dass
die zeitweise rund 9.000 Soldaten aus 18 Nationen und 3.500 Polizisten aus
40 Ländern nicht zur Stabilität im Lande beigetragen hätten. Weder das
Klima der Gewalt noch der strukturellen und wirtschaftlichen Unsicherheit
sei beseitigt worden.
Am Donnerstag auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrats zog die Leiterin von
Minustah in Port-au-Prince, Sandra Honoré, eine andere Bilanz: „Das
haitianische Volk genießt ein beträchtliches Maß an Sicherheit und
Stabilität. Die politische Gewalt hat sich verringert“, feiert Sandra
Honoré in ihrem Abschlussbericht die UN-Mission.
## Stärkung der Justiz
Auch wenn sie einräumt, dass die „Lebensbedingungen von einem Großteil der
Bevölkerung nicht verbessert“ worden seien und „staatliche Institutionen
Schwächen“ hätten. In den kommenden Wochen soll sich deshalb ein
UN-Kommando auf die Stärkung der Justiz und der staatlichen Verwaltung
konzentrieren.
Es gibt viel zu tun. In Haiti mit seinem fast elf Millionen Einwohnern
leben nach wie vor vier von fünf Menschen am Rande beziehungsweise
unterhalb der Armutsgrenze. Seit Tagen protestieren die Menschen gegen
Steuererhöhungen, wodurch vor allem den Armen aufgebürdet wird, die leere
Staatskasse zu füllen.
Erst seit Februar hat das Land wieder einen gewählten Präsidenten. Gerade
mal sieben Prozent der Einwohner haben Jovenel Moïse ihre Stimme gegeben.
Im Korruptionsranking steht das „Land der Berge“ mit Platz 159 ganz weit
unten.
Die UN-Minustah-Mission sollte 2004 Haiti befrieden. Das Land stand am
Rande eines Bürgerkriegs. Besser situierte Bürger und Unternehmer
bekämpften den ehemaligen Armenpriester Jean-Bertrand Aristide, der ihnen
mit seiner angeblich linken Politik ein Dorn im Auge war.
## Ins Exil abgeschoben
Auf den Straßen demonstrierten militante Mitglieder der von Aristide
gegründeten Basisbewegung Fanmi Lavalas, der „Erdrutsch“-Familie.
Bewaffnete Banden von ehemaligen Soldaten und Polizisten drohten die Macht
zu übernehmen. Erst flogen die USA GIs ein, dann folgten
UN-Blauhelmtruppen. Aristide wurde nach Südafrika ins Exil abgeschoben.
Die Soldaten unter dem Mandat der UN-Mission zur Stabilisierung Haitis
machten sich bald unbeliebt. Haitianische Menschenrechtsaktivisten
beklagten Übergriffe von UN-Soldaten bei Kontrollen, Mitglieder von
bewaffneten Banden in Elendsvierteln der Hauptstadt wurden regelrecht
niedergekämpft, mit Billigung Washingtons, des UN-Hauptquartiers und des
brasilianischen Vorortkommandos.
Ungeklärt ist bis heute der Tod des ersten militärischen
Minustah-Kommandeurs Urano Teixeira da Matta Bacellar, der 2006 erschossen
in einem Hotelzimmer aufgefunden wurde.
Die Ausbreitung der Cholera nur wenige Wochen nach dem schweren Erdbeben im
Januar 2010 kostete die UN-Truppe die letzte Reputation. Denn die
Erkrankung von fast einer Viertel Million Menschen und der Tot von über
10.000 Personen geht auf infizierte UN-Mitglieder aus Nepal zurück, deren
Fäkalien im Fluss entsorgt worden waren.
## Entschädigung verweigert
Erst 2016 gestanden die Vereinten Nationen ihre Verantwortung für die
Cholera-Epidemie ein. Aber bis heute weigert sich die UN-Führung, das Land
und die Opfer sowie ihre Familien zu entschädigen.
Hart geht Rechtsanwalt Mario Joseph mit den UN-Blauhelmen ins Gericht. Der
wohl bekannteste Menschenrechtsanwalt des Landes vertritt die
Cholera-Opfer. Mit der Schaffung von Sicherheit und der Umsetzung der
Menschenrechte könnten die UN dadurch beginnen, indem sie das „Gesetz
respektieren“ und „Land und Cholera-Opfer entschädigen“.
15 Oct 2017
## AUTOREN
Hans-Ulrich Dillmann
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Haiti
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UN-Blauhelme
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