| # taz.de -- Die Wahrheit: Die Bombe am Brückentag | |
| > Bei Bauarbeiten in Berlin wird ein Blindgänger gefunden. Eine | |
| > Fliegerbombe aus dem 2. Weltkrieg. Tausende werden aus dem Sperrbezirk | |
| > evakuiert. | |
| Bild: Da war sie noch scharf: Mitarbeiter der Feuerwehr posieren mit dem Ding | |
| Den meisten Insassen dieses Landes wird der 2. Oktober 2017 als | |
| gewöhnlicher Brückentag in Erinnerung bleiben. Viele genehmigten sich ein | |
| verlängertes Wochenende. Ich aber musste rund um den Tag der Deutschen | |
| Einheit arbeiten. Und weil die Gattin noch in fernen Landen weilte, war ich | |
| mit der Katze allein. „Ah, Strohwitwer“, meinte jeder, der davon erfuhr, | |
| verschwörerisch, „dann kannst du ja endlich machen, was du willst.“ Kann | |
| ich das sonst nicht? | |
| Es hätte also ein entspannter Tag werden können, doch mittags kam die erste | |
| Meldung: „Fliegerbombe am Innsbrucker Platz gefunden“, berichtete das | |
| Radio. Und ich horchte auf. Das ist doch direkt um die Ecke. Am Innsbrucker | |
| Platz in Berlin-Schöneberg entsteht ein neues Viertel mit tausend | |
| Wohnungen. Berlin baut auf, baut auf … | |
| Bei Bauarbeiten war ein Baggerfahrer auf einen Blindgänger gestoßen. Eine | |
| 250-Kilo-Bombe aus deutscher Produktion, die als Kriegsbeute der Sowjets | |
| mit einem russischen Zünder über dem alten Güterbahnhof abgeworfen wurde, | |
| aber nicht hochgegangen war. Eine deutsch-russische Kooperation – das hat | |
| ja noch nie funktioniert. | |
| Am Nachmittag verdichteten sich die Nachrichten: Es werde ein Sperrbezirk | |
| von 500 Metern eingerichtet. Rund zehntausend Menschen müssten evakuiert | |
| werden. Ich maß auf der Karte nach. Das waren ja nur 300 Meter! Ich war | |
| mitten im abgesperrten Bereich! Und da fuhr auch schon ein | |
| Lautsprecherwagen der Polizei vorbei. „Bombe … krächz, krächz … Verlass… | |
| Sie sofort ihre … krächz, krächz …“ Es war wie im Krieg, nur dass man | |
| damals vermutlich die Ansagen des Volksempfängers besser verstanden hat. | |
| Die alten Leutchen verstanden sofort – wie die Nachbarin aus dem | |
| Erdgeschoss, die vor Aufregung sofort in ihr heimisches bayerisches Idiom | |
| verfiel. Zum Glück verfrachtete sie ihr tatkräftiger Schwiegersohn samt | |
| Familie ins Hotel. Mich riefen sofort gute Freunde an. Ich lehnte ihr | |
| Angebot ab, lieber wollte ich das Spektakel aus der Nähe erleben. Noch | |
| schnell den Napf der Katze gefüllt – und ab an die Polizeisperre. | |
| Der Sperrbezirk reichte exakt bis an die Eckkneipe, wo die freundliche | |
| Wirtin schon alles im Griff hatte. Die Alten bekamen „Teechen“, die Jungen | |
| „Bierchen“, die Polizisten durften aufs „Klöchen“. Wohin sie gern | |
| verschwanden, wenn sie zum hundersten Mal die meistgestellte Frage des | |
| Abends beantwortet hatten: „Wie lange dauert das?“ | |
| Und wenn ein deutscher Polizist etwas auf Englisch erklären soll, dann wird | |
| es diffizil: „A worker wiss a bagger …“ Fremdlinge haben aber auch seltsa… | |
| Verständnisfragen: Was sind „Zivis“? Was ist ein „Blindgänger“? A bli… | |
| walker? No, a dud! | |
| Nach sechs Stunden Evakuierung, sechs Bieren im Bauch und einem jubelnden | |
| Applaus für den heldenhaften Bombenentschärfer, der in nur wenigen Minuten | |
| den russischen Zünder vom deutschen Sprengstoff getrennt hatte, wankte ich | |
| müde meines Weges. Die Katze quäkte zur Begrüßung empört. Fehlte nur noch | |
| ein Nudelholz. Mittlerweile war der Tag der Deutschen Einheit angebrochen. | |
| 4 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Ringel | |
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