# taz.de -- Roman von Nobelpreisträgerin Han Kang: Die Schande, überlebt zu h… | |
> „Die Vegetarierin“ machte Han Kang berühmt. Ihr Roman „Menschenwerk“… | |
> 2017 führt in die jüngere Geschichte Südkoreas. | |
Bild: Han Kang im Interview 2017 | |
Dieser Text erschien in der gedruckten Ausgabe der taz am 7. Oktober 2017. | |
Wirre und brutale Zeiten. Proteste, die um 1980 in Südkorea stattfanden und | |
so überaus rücksichtslos von der Staatsmacht beendet wurden, dass es Tote | |
gab, hat die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang zum Thema ihres | |
Romans „Menschenwerk“ gewählt. Han Kang wurde weltweit bekannt durch ihren | |
Roman „Die Vegetarierin“. Aus sieben Perspektiven dekliniert sie nun in | |
„Menschenwerk“ die Fragen durch: Was ist der Mensch? Ist er „von Natur aus | |
grausam?“ und ist damit Gewalt „eine ganz normale Erfahrung?“ Und wie | |
umgehen, wie leben mit der „Schande, überlebt zu haben“. | |
In Südkorea hat der Roman einiges ausgelöst. Endlich war das Schweigen | |
gebrochen, das um dieses „Massaker von Gwangju“ herrschte. Han selbst ist | |
noch als Mädchen aus Gwangju weggezogen, wo die Proteste stattfanden, hat | |
aber bereits als Zwölfjährige von dem Massaker erfahren, indem sie heimlich | |
einen Bildband ihres Vaters anschaute. Dieses eigene Erlebnis legt sie der | |
Erzählerin im Epilog in den Mund. Tatsächlich ist es das Verdienst von | |
„Menschenwerk“, den Bildern Stimmen beigefügt zu haben. Hier wird Han nie | |
pathetisch, im Gegenteil, diese Passagen lesen sich akribisch, fast | |
sachlich. Wie Auszüge aus Folterberichten. „Nässende Wunden, dickflüssiger | |
Eiter, stinkender Speichel, Blut, Tränen und Rotz, Urin und Kot in der | |
Unterwäsche.“ | |
Auf der „authentischen Ebene“ ist Han vielleicht lediglich vorzuwerfen, | |
dass sie es meist bei der Beschreibung dieses Grauens bewenden lässt; nur | |
selten beleuchtet sie den gesellschaftlichen Hintergrund oder zeigt – | |
obwohl die erzählte Zeit sich bis 2010 spannt – Kontinuitäten auf, so | |
beispielsweise wenn eine Frau von einer teils stummen Theateraufführung | |
berichtet, mit der 1985 die Zensur ausgetrickst werden soll. | |
Genau das macht das Manko des Romans aus. Er schwächelt literarisch, auf | |
dieser Ebene ist er arg pathetisch, die Dialoge sind hölzern, zu vieles | |
wird explizit gesagt, das Bild nahezu ohne jeden Grauton gezeichnet. Über | |
eine Frau wird festgehalten: „Sie hat kein Vertrauen in die Menschheit. Sie | |
vertraut keinem Gesichtsausdruck, keiner Wahrheit, keinem Wort“, ein Mann | |
verfügt über die „Furcht erregendste Waffe, die es überhaupt auf der Welt | |
gibt“, das Gewissen, und kann daher sein Gegenüber fragen, ob denn auch er | |
das Gefühl kenne, „sein Gewissen mitten auf der Stirn zu tragen?“ Alle sind | |
einsam, einen Ausbruch aus dem Dilemma gibt es nicht einmal nach dem Tod, | |
wie ein erschossener Junge zeigt, der als Ich-Erzähler auftritt: „Ich | |
spürte, wie etwas lautlos meinen Astralleib berührte, und schloss daraus, | |
dass es sich um eine andere Seele handelt.“ | |
Die im Roman beschriebene Gewalt ist erschütternd. Der Bruder eines Toten | |
verlangt von der Erzählerin aus dem Epilog, „anständig“ zu schreiben, dam… | |
niemand „gedemütigt wird“. Das ist Han gelungen. Sie hat versucht, sich in | |
die damalige Zeit einzufühlen, das lässt sich auch textlich festmachen, | |
wenn sowohl dem ermordeten Teenager als auch der Erzählerin auf dem | |
Friedhof die Knöchel „eiskalt“ werden. Bei aller formalen Vielstimmigkeit | |
haben die Figuren jedoch kaum einen eigenen Ton, kaum Ecken und Kanten. In | |
ihrem Roman gibt es einen jungen Forscher, der mit – oder an? – | |
Überlebenden des Gwangju-Massakers eine „psychologische Autopsie“ | |
durchführt. Eine Autopsie – und keine Anamnese. | |
10 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Christiane Pöhlmann | |
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