# taz.de -- Alternativpresse in Österreich: Sprachkritik und Recherche | |
> Was in Österreich so alles falsch läuft, erfährt man oft aus dem | |
> „Falter“. Jetzt feiert die Wiener Wochenzeitung ihr 40. Jubiläum. | |
Bild: Eine von Tausenden: Redaktionskonferenz beim „Falter“ | |
Wien taz | Am Anfang waren es ein paar gefaltete A3-Bögen, mit denen die | |
Blattmacher – Blattmacherinnen waren im Gründungskollektiv 1977 noch die | |
große Ausnahme – alle vierzehn Tage regelmäßig selbst loszogen, um den | |
Falter mit viel Überredungskunst in den Zeitungs- und Tabaktrafiken Wiens | |
zu platzieren. Neben Polemiken, Betroffenheitsreportagen und einem | |
Veranstaltungsprogramm bot der Falter alles, was Frauen-, Schwulen-, | |
Lesben- und Studierendengruppen, Umweltinitiativen, selbst verwaltete | |
Radreparaturkollektive, Kindergruppen und Alternativschulen einander zu | |
sagen hatten. | |
Seine Gründung ist jenseits der Anekdoten, die auch der diese Woche | |
erscheinende Jubelfalter selbstironisch pflegt, nichts Ungewöhnliches im | |
Kontext einer Alternativpresse der späten 1970er Jahre. Dass es ihn im | |
Gegensatz etwa zum Frankfurter Pflasterstrand und dem Blatt aus München | |
überhaupt noch gibt, hat wesentlich mit den Verwerfungen des Wiener | |
Medienmarkts und Besonderheiten des politischen Diskurses in Österreich zu | |
tun. | |
Und mit einer Person. Von Gruppenbildern der Anfangsjahre im körnigen | |
Schwarz-Weiß ist nur noch der damalige Anglistikstudent Armin Thurnher (68) | |
übrig geblieben. Andere haben Karrieren gemacht als | |
Stadttheaterdramaturgen, bei der Konkurrenz oder leiteten, wie der kürzlich | |
verstorbene Filmkritiker Hans Hurch, das wichtigste österreichische | |
Filmfestival Viennale. | |
Thurnher ist mittlerweile ganz konventionell Herausgeber, einer der beiden | |
Chefredakteure und GmbH-Gesellschafter. Die Redaktion, die mittlerweile | |
mehrheitlich jünger ist als das Blatt selbst, arbeitet noch immer selben | |
Altbaubüro in der Inneren Stadt. Die Marc-Aurel-Straße war mal so etwas wie | |
ein Zeitungsviertel in Wien. Jetzt hält der Falter einsam die Stellung | |
mitten in der gentrifizierten Umgebung. | |
Der wöchentliche Kommentar ist Thurnhers publizistischer Ausweis. Seine | |
Themen: Medienvielfalt, der Kampf gegen den Populismus in der Analyse der | |
Sprache der Populisten, gegen den Filz von Parteien, Interessenverbänden | |
und Medien. Der beharrliche und über weite Strecken einsame Aufklärer ist | |
seit Karl Kraus eine in Wien vielleicht nicht geliebte, aber durchweg | |
geachtete Figur. | |
## In der Tradition von Karl Kraus | |
Wie sein Vorgänger betreibt Thurnher politische Kritik als Sprachkritik – | |
als Kritik der Floskeln, mit denen die Macht schlechte Wirklichkeit | |
überdeckt. Auch moderierte Thurnher den allmählichen Wandel des Blatts. | |
Mitte der 1980er Jahre wuchs dem Falter aus den inhaltlichen Defiziten der | |
Konkurrenz das Alleinstellungsmerkmal eines „österreichischen | |
Gesamtfeuilletons“ zu. Schriftstellerinnen wie Elfriede Jelinek oder | |
Elfriede Gerstl publizierten hier ebenso wie die Philosophen Rudolf Burger | |
oder Konrad Paul Liessmann. Nach dem EU-Beitritt 1995 waren die | |
Op-Ed-Seiten im Falter der Ort, an dem das Land über seine Rolle im | |
veränderten Europa nachdachte. | |
Thurnher hat mit wechselndem Glück mit stillen Gesellschafter und | |
Anteilseignern einen Verlag aufgebaut, der von Ratgeberbuchreihen bis hin | |
zu Corporate-Publishing-Dienstleitungen diversifiziert. Der Verlag soll dem | |
Falter wirtschaftliche Unabhängigkeit sichern. | |
Eine Sorge nicht ganz ohne Grund: In den 1990er Jahren brachte eine | |
wettbewerbsrechtliche Klage des marktbeherrschenden Boulevardblatts | |
Kronenzeitung die Wochenzeitung mittels Verfahrenstricks kumulierte | |
Prozesskosten an den Rand des Ruins. | |
## Waldheim und Haider | |
Das Blatt wuchs an seinen Beinahepleiten, seinen Spaltungen und seinen | |
Feinden. Die Letzteren hat man nicht gesucht, wie Thurnher beteuert, aber | |
in den österreichischen Verhältnissen unvermeidlich vorgefunden. | |
1988 verlor der Falter fast die gesamte Redaktion an die neu gegründete | |
Tageszeitung Der Standard. Im gleichen Jahr ließ der wegen seiner | |
NS-Vergangenheit umstrittene Bundespräsident Kurt Waldheim über die | |
Radionachrichten stündlich verlautbaren, den Falter wegen einer | |
Titelgeschichte über seine Rolle im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmen zu | |
lassen. Während sich ein Teil der Belegschaft schon von Swat-Teams | |
überwältigt sah, organisierten die anderen den Vertrieb einer der bis dahin | |
erfolgreichsten Ausgaben. | |
Der Rechtspopulist Jörg Haider offenbarte 1999 in einem Falter-Interview | |
sein geschichtsrevisionistisches Weltbild und verglich Hitler mit | |
Churchill, um die Existenz dieses Interviews anschließend im | |
öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu leugnen. Einer der Interviewer damals | |
war der heutige Ko-Chefredakteur Florian Klenk (44). | |
Der promovierte Jurist, zwischenzeitliche Zeit-Redakteur und | |
Wunschnachfolger Thurnhers hat den Falter von dessen eher | |
feuilletonistischen Zugang zu einem zuverlässig recherchierenden Magazin | |
weiterentwickelt, das mittlerweile auch in Netzwerke wie dem in Washington | |
basierten „International Consortium of Investigative Journalists“ | |
eingebunden ist. Von im Polizeigewahrsam tödlich misshandelten | |
Abschiebehäftlingen bis hin zu den österreichischen Aspekten der „Panama | |
Papers“. So ziemlich alles, was in Österreich falsch läuft, erfuhr man in | |
den vergangenen Jahren aus dem Falter. | |
21 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Uwe Mattheiß | |
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