# taz.de -- Strategien der Meinungsforschung: Macht und Ohnmacht | |
> Die beiden Demoskopen Gerrit Richter und Matthias Jung streiten um das | |
> bessere Konzept. Richter gilt als Newcomer, Jung als Kanzlerinflüsterer. | |
Bild: Sehen wir so in den Augen der Demoskopen aus? | |
Die erste Nummer ist unbrauchbar. Ein Mann, der gerade Auto fährt. Die | |
zweite auch – „keine Lust“, so die knappe Antwort. Michael Niedermayr gibt | |
in den PC ein: „Unwirsch, verweigert alles.“ Die Nummer wird die | |
Forschungsgruppe Wahlen (FGW) trotzdem nochmal kontakten. Telefonnummern, | |
bei denen jemand antwortet, sind wertvoll. Sie sind der Rohstoff, mit dem | |
die Forscher aus Mannheim erkunden, was die Deutschen am Sonntag wählen | |
wollen. | |
Niedermayr macht den (Neben-)Job als Interviewer seit zwölf Jahren. „Ich | |
bin hier der Dino“, sagt er. Er sitzt in einem kleinen Zimmer in den | |
Büroräumen der FGW in Mannheim. Weiße Wände, ein Dutzend Interviewer vor | |
Bildschirmen, alle mit Headphones. Ein summendes, an- und abschwellendes | |
Gemurmel füllt den engen Raum. Niedermayr spult immer wieder den gleichen | |
Text ab. „Wir bereiten das ZDF-Politbarometer vor. Ich möchte mit dem | |
Wahlberechtigten sprechen, der als letzter Geburtstag hatte.“ Damit die | |
Auswahl auch wirklich zufällig ist. Doch auch der Dritte will nicht. | |
„Manche“, sagt er, „fürchten, dass ihnen etwas verkauft werden soll.“ … | |
dem Nächsten redet er fünf Minuten, erklärt geduldig, dass die Umfrage | |
seriös sei. Wieder nichts. „Man muss gute Nerven haben“, sagt Niedermayr. | |
Der Rentner, 71, war früher Sozialarbeiter. Er weiß, wie man schwierige | |
Gespräche führt. „Einige haben Angst sich zu blamieren, weil sie meinen, | |
nichts über Politik zu wissen. Dann sage ich: Es gibt keine falschen | |
Antworten.“ Aber auch das hilft nicht immer. Die Nächsten legen wortlos | |
auf. „Stummklick“, schreibt er in die PC-Maske. | |
Der neunte Anruf. Eine auskunftsfreudige Hamburgerin. Die Kanzlerin findet | |
sie gut, die AfD verachtenswert. Die Große Koalition wäre ihr am liebsten, | |
Schwarz-Gelb auch nicht schlecht. Dass Flüchtlinge mehr Terrorismus | |
bedeuten, glaubt sie nicht. Die Meinungsforscher haben nach ein paar | |
Minuten viele Informationen, die streng anonymisiert werden. Ein soziales | |
Cluster: selbstständig und evangelisch, nutzt Facebook und Smartphone, geht | |
selten in die Kirche. Eine Wählerin, wie gemalt für die Merkel-CDU. | |
## Dinosaurier der Meinungsforschung | |
Eine Etage höher sitzt der Chef der Forschungsgruppe Wahlen an einem großen | |
Resopaltisch in einem nüchtern eingerichteten Büro. Matthias Jung ist 60 | |
Jahre alt, hat aber etwas Jugendliches, Vitales. Jung ist eine Art | |
Dinosaurier der Branche. Seit 30 Jahren recherchiert der CDU-nahe Demoskop, | |
was die Bürger wollen. Manche halten ihn für den Kanzlerinflüsterer, der | |
Merkel mit den Zahlen versorgt, die zeigen, dass ihr Kurs funktioniert: | |
Richtung Mitte. Dass die Union nur erfolgreich ist, wenn sie liberal | |
auftritt, offen. Weil es eben viele gibt, die wie die Hamburger | |
CDU-Wählerin ticken. | |
Jung hat den sperrigen Begriff „asymmetrische Demobilisierung“ erfunden. | |
Das ist die Zauberformel, mit der Angela Merkel auch 2017 wieder SPD und | |
Grüne bekämpft. Sie übernimmt ein paar Kernforderungen der Konkurrenz, vom | |
Mindestlohn über den Atomausstieg bis zur Ehe für alle, und schläfert so | |
deren Anhänger ein. Vielleicht war seit Elisabeth Noelle-Neumann, der | |
Gründerin von Allensbach, kein Meinungsforscher so wichtig für Regierende | |
wie der forsche FGW-Chef. | |
Herr Jung, haben Sie Einfluss auf Merkel? | |
„Das wüsste ich auch gerne.“ Er lacht die Frage weg. | |
Nutzen Meinungsumfragen der Demokratie? | |
„Das ist mir zu pathetisch“, sagt Jung. Die politische Klasse begreife oft | |
nicht, was Wähler wollen. „Wir leisten einen Beitrag zur besseren | |
Wahrnehmung der Realität.“ Wer ihm zuhört, hat den Eindruck, dass | |
Meinungsforscher ungefähr so viel Auswirkung auf Politik haben wie | |
Postboten auf ihre Kunden. Sie liefern nur Briefe ab, sie schreiben sie | |
nicht. | |
Viele Institute betreiben Politdemoskopie eher deshalb, um bekannt zu sein. | |
Geld machen sie mit Marktforschung. FGW ist die Ausnahme. Politumfragen | |
sind das Kerngeschäft, nicht bloß das Klingelschild. FGW macht auch keine | |
gemischten Umfragen, bei denen die Bürger erst bekunden sollen, was sie von | |
der Flüchtlingspolitik halten und dann, ob sie ihren Netzanbieter wechseln | |
wollen. Und FGW veröffentlicht, transparenter als die Konkurrenz, auch | |
Rohdaten – das ungefilterte Ergebnis der rund 1.300 Zufallsinterviews. Die | |
Branche verändert sich. Vor 20 Jahren fragten Emnid, infratest, Allensbach, | |
FGW und Forsa die Bundesbürger. Umfragen wurden meist monatlich | |
veröffentlicht. 2017 sind insa, civey und Yougov hinzugekommen. Die Taktung | |
ist dichter geworden. Manchmal wird jeden Tag eine Sonntagsfrage | |
publiziert. Politumfragen wuchern wie Efeu. | |
Und sie tauchen in Leitartikeln und Kommentaren öfters als stichhaltige | |
Fakten auf. Wer darlegen will, welche Schwächen oder Stärken die SPD hat, | |
muss nicht mehr Programm und Wirklichkeit nachmessen – es reicht der | |
Verweis auf Umfragen. So entsteht eine Rückkopplungsschleife: Sinken die | |
Umfragewerte, werden die Schlagzeilen mies, sind die Medienberichte | |
negativ, sinken die Umfragewerte. Der Schulz-Hype – im Februar steil nach | |
oben, im Frühsommer steil nach unten – war auch ein Effekt dieser sich | |
gegenseitig verstärkenden Rückkopplungen von Medien und Demoskopie. Die | |
Frankfurter Allgemeine, Flaggschiff des Seriösen, platzierte am 21. Juni | |
2017 eine Umfrage als Aufmacher auf Seite 1. Vor 20 Jahren wäre das kaum | |
vorstellbar gewesen. Der Diskurs, der Streit der Argumente, weicht einer | |
Art Sportberichterstattung. | |
Dem Sog, den Umfragen auslösen, können sich vor allem Politiker nicht | |
entziehen. Ein Parteichef klagte im Sommer in einer Hintergrundrunde vor | |
Hauptstadtjournalisten bitter, dass „Umfragen die einzige Währung sind, die | |
noch zählt“. Die ausgefeilte Kampagne, das differenzierte Wahlprogramm, ein | |
Erfolg im Untersuchungsausschuss, die schwungvolle Rede im Bundestag – das | |
alles schrumpft zur Randerscheinung, wenn die Umfragen mies sind. Und | |
alles, was Politiker dann sagen, wirkt wie Ausrede, um die Erfolglosigkeit | |
zu vertuschen, die fallende Umfragewerte ja irgendwie objektiv bezeugen. | |
Natürlich ist die Verbitterung wie weggeblasen, sobald die Kurve bei Forsa | |
oder FGW wieder nach oben zeigt. | |
Umfragen verändern die politische Kultur. Sie sind wie Glutamat. Sie | |
verstärken die vorherrschenden Geschmacksrichtungen. | |
Der Verdacht, dass Umfragen zudem auch Wahlen direkt beeinflussen, ist fast | |
so alt wie die Demoskopie. Für Matthias Jung, den Praktiker, ist klar, dass | |
wir nur wissen, das wir nichts wissen: „Empirisch lässt sich nicht | |
nachweisen, dass Umfragen das Wahlverhalten beeinflussen.“ Deshalb hat er | |
seine Auftraggeber im ZDF schon vor Jahren überzeugt, auch kurz vor der | |
Bundestagswahl noch Zahlen zu veröffentlichen. Bis 2013 war es in | |
Deutschland Usus, dass ARD und ZDF dies nicht tun. | |
Dass Demoskopie Wahlen beeinflusst, dafür fehlt der triftige Beweis. Aber | |
es gibt Hinweise. Zwei Drittel der Wähler – Männer mehr als Frauen – kenn… | |
die Umfragen. 2013 lag die FDP in den Wochen vor der Bundestagswahl in | |
keiner Befragung unter fünf Prozent. Bild veröffentlichte sogar noch am | |
Wahlsonntag eine Zahl – FDP sechs Prozent. Es ist keine kühne Vermutung, | |
dass dies manche liberal-konservative WählerInnen zu dem Schluss | |
verleitete, ihr Kreuz bei der Union zu machen, weil die Liberalen ja keine | |
Leihstimmen brauchen. Es kam anders – die FDP scheiterte an der | |
Fünfprozenthürde, weil ihr ein paar zehntausend Stimmen fehlten. Sind | |
Umfragen also doch nicht harmlos? Sondern Echokammern, die den Ton selbst | |
ändern? | |
## Drastische Unterschätzung der Zahlen | |
Jung sieht das, wie alles, pragmatisch. Je mehr Informationen, desto | |
besser. „Für taktische Wähler können Umfragen wichtig sein. Gerade deshalb | |
ist es besser, wenn sie ihre Entscheidung auf der Basis aktueller Daten | |
fällen“. Im Übrigen käme ja auch niemand auf die Idee, dass ein paar Tage | |
vor dem 24. September keine Leitartikel mehr erscheinen dürften. Das ist | |
eine rührende Überschätzung von Kommentaren – und eine drastische | |
Unterschätzung der Zahlen. | |
Umfragen rieseln wie feiner Sand in die politische Öffentlichkeit. Kein | |
Politiker kann es sich leisten, sie zu ignorieren. Sie prägen mehr als | |
früher mediale Berichte und Stimmungen, und sie beeinflussen womöglich auch | |
mal direkt Wahlen. Immer mehr, immer häufiger, immer einflussreicher. Die | |
Demoskopie ist mächtiger als je zuvor. | |
Ja. Und nein. | |
Es gibt eine andere Seite. Gerade weil Umfragen so allgegenwärtig geworden | |
sind, erwartet das Publikum, dass die Prognosen bitteschön auch eintreffen. | |
Und es reagiert übellaunig, wenn das nicht der Fall ist. Wie bei Trump, wie | |
beim Brexit. Dass beides ebenso auf die Kappe von Journalisten ging, die | |
Ausrufezeichen machten, wo die Demoskopen noch Fragezeichen gesetzt hatten, | |
interessierte nur Experten. Für normale Nachrichtenkonsumenten sind | |
Meinungsforscher und Medien, die die Institute ja beauftragen und deren | |
Ergebnisse nutzen, zu einem Komplex verschmolzen. | |
Es ist 19 Uhr in Mannheim. Der FGW-Interviewer Michael Niedermayr hat in | |
zwei Stunden 33 Anrufe gemacht, mal eine Ferienwohnung, mal | |
Anrufbeantworter erreicht. Er hat vier Interviews geführt. „Die Leute sind | |
misstrauischer geworden“, sagt er. | |
Wie viele Bürger am Festnetz oder Handy 2017 noch auf die Anrufe von Forsa, | |
Emnid oder FGW antworten, ob 40 oder 20 Prozent, ist ein Geheimnis, wie so | |
vieles in der Branche. Sicher ist nur: Es werden weniger. Am Handy ist die | |
Auskunftsbereitschaft geringer. Vor allem Jüngere haben keinen | |
Festnetzanschluss mehr. Thomas Petersen von Allensbach hält diese | |
schwindende Bereitschaft für „das größte Problem“ repräsentativer | |
Meinungsforschung. In den USA antworteten bei Telefonumfragen 1997 noch | |
knapp ein Viertel der Kontaktierten, 2012 weniger als ein Zehntel. | |
Schwierigkeiten bereitet auch der Wankelmut des Wahlvolks. Ende August | |
wusste knapp die Hälfte noch nicht, für wen sie am Sonntag votieren wird. | |
Wer heute, am Montag, noch nicht weiß, ob er in sechs Tagen überhaupt | |
wählen geht und auch nicht wen, der ist für Demoskopen eine kniffelige | |
Herausforderung. Wie kann man erforschen, wenn Bürger selbst nicht wissen, | |
was sie wollen? | |
Kopfschmerzen bereitet den Forschern derzeit der AfD-Wähler, das unbekannte | |
Wesen. Denn der verschweigt gern, was er wählt. Oder er antwortet nicht, | |
weil er die Demoskopen für einen Teil der Lügenpresse hält. Bei den drei | |
Landtagswahlen 2016 bekam die AfD drei, vier, fünf Prozent mehr, als es die | |
Mannheimer Forscher erwartet hatten. | |
Mehr Spätentscheider, Gereiztheiten am Telefon, sprunghafte Wähler. Herr | |
Jung, steckt die Demoskopie in einer Krise? | |
„Nein, nicht ansatzweise. Die Qualität hat in den letzten 30 Jahren | |
zugenommen. Es ist in Mode gekommen, die Festnetzbefragung zu beschimpfen. | |
Zu Unrecht. Daher stammen unsere interessantesten Daten.“ | |
Und die verstockten AfD-Sympathisanten? | |
„Wir hatten bei den Landtagswahlen 2016 noch die Dunkelziffer der Lucke-AfD | |
angenommen. Aber wir müssen bei der Gauland- und Weidel-AfD den gleichen | |
Faktor einkalkulieren wie bei der NPD“, so Jung. Also keine Krise, sondern | |
das normale Geschäft der Meinungsforschung: nachjustieren. | |
## Vom Aussterben bedroht? | |
Aber es gibt auch Demoskopen, die Matthias Jung mit seinen bewährten | |
Methoden für einen Dinosaurier halten. Kurz vor dem Aussterben also. | |
Berlin-Kreuzberg, eine ehemalige Mietskaserne in der Reichenberger Straße. | |
Im Flur wird noch renoviert, ein Aufzug ist eingebaut worden, ein typisches | |
Anzeichen für Gentrifizierung. Im dritten Stock sitzt Gerrit Richter lässig | |
auf einem Sofa. Alles sieht neu, frisch, weiß aus. Richter, 44 Jahre alt, | |
Glatze, schwarze Brille, nippt am Cappuccino. Die Büroräume bevölkern | |
freundliche Twentysomethings, die meisten Deutsche, ein paar reden | |
englisch. Es ist die übliche hippe Kreuzberger Mischung. Allerdings haben | |
alle 29 Mitarbeiter reguläre Jobs, was bei Start-ups eher selten vorkommt. | |
Richter war früher mal SPD-Kommunalpolitiker in Hessen. | |
Civey ist seit einem Jahr auf dem Markt, es läuft gut. Man kooperiert mit | |
Spiegel Online, Welt, Zeit, Caritas, Freitag, Cicero und anderen, insgesamt | |
12.000 Webseiten. Alles online. So arbeiten, in den USA und Großbritannien, | |
viele Firmen. Das Besondere bei Civey ist, dass sie ihrer community einen | |
Deal anbieten: Daten gegen Ergebnisse. Wer sich mit Alter, Job, Geschlecht | |
registriert und anklickt, wen er wählt oder ob er den Euro für alle | |
EU-Staaten für eine gute Idee hält, bekommt dafür Zugang zum Ergebnis. | |
Das ist die Idee. Civey hat, nach eigenen Angaben, derzeit 510.000 | |
registrierte User. | |
„Was wir machen, ist hoch riskant“, sagt Richter. Von Profit könne keine | |
Rede sein, trotzdem expandiert man. Die Büros in Kreuzberg, verteilt auf | |
drei Stockwerke, sind schon zu klein geworden. Man plant den Umzug – und | |
eine Dependance in den USA. Richter wirkt wie ein eloquenter, geerdeter | |
Macher, nicht wie ein Träumer. Nur bei der Idee, den US-Markt aufzurollen, | |
flackern seine Augen. Think big. Expandieren mit roten Zahlen ist ein | |
typisches Modell im digitalen Gründerzeit-Kapitalismus. Das kann im | |
Bankrott enden – oder bei Amazon. | |
Onlineumfragen sind anfällig für Manipulationen. Alle Attacken von Bots – | |
das sind Computerprogramme, die selbstständig agieren – habe man abgewehrt, | |
versichert Richter. Bisher. Allerdings kann man als registrierter | |
Civey-Nutzer leicht schummeln. Die Angaben zu Alter, Geschlecht und | |
Ausbildung werden nur vage überprüft. | |
„Die Meinungsforschung“, so Richter selbstbewusst, „wird digital. In zehn, | |
vielleicht schon in fünf Jahren gibt es keine Telefonumfragen mehr in | |
Deutschland“. Beginnt die Zukunft der Demoskopie in Deutschland in | |
Kreuzberg, Reichenberger Straße? | |
Heikel könnte sein, dass Onlineumfragen das Prinzip des Repräsentativen | |
recht lose interpretieren. Hier fragen nicht Forscher zufällig ausgewählte | |
Wähler, hier stimmt ab, wer will. So veröffentlicht Civey bei der | |
Sonntagsfrage die Rohdaten aller – auch nichtregistrierter – Nutzer. Mit | |
dem erstaunlichen Ergebnis, dass die rechtspopulistische AfD mit 19 Prozent | |
fast so populär ist wie die Union. Für die gewichtete Umfrage, so Richter, | |
würden nur registrierte User beachtet, die schon in der letzten Woche | |
abgestimmt hätten. Deren Daten werden, so wie es jedes Institut macht, | |
gefiltert, nach Alter, Geschlecht, Bildung, Job, Ost, West, Stadt, Land. | |
Bis sie repräsentativ sind. Die AfD schrumpft in diesem, wie Richter | |
versichert, automatisch von Algorithmen gesteuerten Prozess, von 19 auf | |
neun Prozent. | |
## Wundersame Halbierung der AfD-Anhängerschaft | |
„Civey missbraucht den Begriff repräsentativ“, sagt Matthias Jung. Schon | |
allein die Tatsache, dass sich die Durchschnittsuser des Start-ups im Monat | |
an mehr als 60 Umfragen beteiligen, macht sie in seinen Augen als Quelle | |
unbrauchbar. „Abzubilden, was Bekundungsaktive denken, ist nicht | |
repräsentativ“, so Jung. Dass nur die Hälfte der RentnerInnen in | |
Deutschland – eine zentrale Wählergruppe – das Internet nutzen, | |
disqualifiziere das Verfahren zusätzlich. Vor allem die wundersame | |
Halbierung der AfD-Anhängerschaft findet der Demoskop „unglaubwürdig“. Ju… | |
sagt es nicht ausdrücklich – aber wer ihm zuhört, muss den Eindruck | |
gewinnen, dass das Start-up die Zahlen stillschweigend den Erhebungen | |
anderer Institute angleicht. „Was Civey macht“, so Jung, „ist | |
Scharlatanerie“. | |
Analoge Wissenschaft versus digitale Hochstapelei? Geht es also darum? | |
Es ist etwas komplizierter. Kein Demoskop verrät, wie er aus Rohdaten | |
repräsentative Ergebnisse zaubert. Die Formeln, die Jung „geronnenes | |
Erfahrungswissen“ nennt, werden gehütet wie die Coca-Cola-Rezeptur. „Herr | |
Jung“, kontert Richter, „hat mehr Probleme mit Telefonumfragen jüngere | |
Wähler zu erreichen, als wir online die Älteren.“ | |
Wer hat Recht? Wahrscheinlich beide. Was unvereinbar klingt, wird künftig | |
wohl kombiniert: Telefonumfrage plus Onlineumfrage. Sicher ist, dass die | |
Demoskopie in Zukunft digitaler sein wird. In fünf Jahren werden mehr | |
Rentner das Netz nutzen – und Jüngere noch weniger Festnetz. | |
Der energische Gerrit Richter hält Civey für mehr als ein Umfrageinstitut. | |
Ob man zu einer Bürgerversammlung gehe, eine Mail an seinen | |
Bundestagsabgeordneten schreibe oder bei Civey abstimme, was man von | |
Dieselautos oder Erdoğan hält – das alles falle doch unter Engagement. So | |
erscheint Civey als zu eine Art Leuchtturm digitaler Basisdemokratie. | |
Diese Fusion von Geschäft und Klick-Demokratie hat dann doch etwas | |
Schwindelerregendes. | |
20 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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