# taz.de -- Linkes und rechtes Hausprojekt: Häuserkampf in Halle | |
> Aktivisten des linken Projekts Hasi bangen um ihre Zukunft. Wird die | |
> Stadt sie weitermachen lassen? Ein Haus der Identitären ist dagegen | |
> sicher. | |
Bild: Ein offenes Haus für Freigeister: im Hasi-Garten in Halle | |
HALLE taz | In Halle an der Saale sind es nur fünf Bahnhaltestellen von der | |
Hafenstraße 7 in die Adam-Kuckhoff-Straße 16. Zwei Kilometer Entfernung, | |
zwei Adressen, zwei Häuser, zwei politische Orte – zwischen denen Welten | |
liegen. | |
Vom Haus an der Hafenstraße 7 ist längst die Farbe abgeblättert, das 160 | |
Jahre alte Mauerwerk drückt sich hindurch. Aus den Fenstern hängen | |
Transparente, darauf die Silhouette eines gut genährten Hasen und zwei | |
Worte: „Hasi bleibt“. Linke AktivistInnen haben dieses Haus im Januar 2016 | |
besetzt. Sie wollten ein nichtkommerzielles, selbstverwaltetes | |
soziokulturelles Zentrum. Innerhalb von 20 Monaten haben sie ein Lesecafé, | |
eine Werkstatt, Studios, ein Theater, einen Garten und noch mehr | |
geschaffen. | |
Auch mit der städtischen Eigentümerin, der Halleschen Wohnungsgesellschaft | |
(HWG), lief anfangs alles gut: Die BesetzerInnen bekamen einem | |
Nutzungsvertrag, befristet bis zum 30. September 2017. Für die Zeit danach | |
wurden „wohlwollende Gespräche“ in Aussicht gestellt. Nun ist das | |
Vertragsende nur noch Tage entfernt – aber Gespräche gab es bis heute | |
nicht. Dabei hat man in der Hasi noch viel vor: Arbeitslosenberatung, | |
Ernährungserziehung für Kinder, Fotokurse. | |
Das Haus in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 ist weiß, hat vier Stockwerke und | |
Jugendstilornamente an der Frontseite. Auch an dieser Fassade hing bis vor | |
einiger Zeit ein Plakat: „Halle ist nicht Hamburg. Patriotismus statt | |
linker Gewalt“ stand darauf. Ein Projekt – geplant von Mitgliedern der | |
Identitären Bewegung. Nach Recherchen von „Sachsen-Anhalt Rechtsaußen“ | |
zogen dort im Juni Kader des lokalen Ablegers „Kontrakultur Halle“ ein. | |
## Rechte Netzwerke | |
Eigentümer des Hauses ist Helmut Englmann, ein Privatmann aus Unterfranken. | |
Das Gebäude samt 404-Quadratmeter-Grundstück soll 330.000 Euro gekostet | |
haben. Dem Stadtrat liegt ein Nutzungsänderungsantrag von Englmann für | |
einige Büroräume des Gebäudes vor. Die Identitären wollen einen Anlaufpunkt | |
für Neue Rechte, inklusive Büroetage, Filmstudio, Veranstaltungssaal und | |
Konferenzzimmer errichten. Das zumindest kündigten sie im Juni öffentlich | |
an. | |
Nach Recherchen von „Sachsen-Anhalt Rechtsaußen“ ist Englmann auch Gründer | |
der Titurel-Stiftung. Sie verfolgt laut Eigenbeschreibung das Ziel, „junge | |
Menschen in ihrer Entwicklung zu mündigen Staatsbürgern“ zu fördern. Auf | |
ihrer Seite schreibt die Stiftung über das Haus: „Nun steht sie vor dem | |
Abschluß ihrer Suche nach einem geeigneten Ort und Haus – universitätsnah, | |
freundlich, spannend soll die Atmosphäre im künftigen Wirkungsfeld sein, | |
öffentlich wirksam die Arbeit.“ | |
Als Kontaktperson wird Andreas Lichert genannt – AfD-Bundestagskandidat in | |
Hessen. Bei der Landtagswahl 2016 in Sachsen-Anhalt war die AfD mit 24,3 | |
Prozent zweitstärkste Kraft. Nicht weit entfernt, in Schnellroda, betreibt | |
Götz Kubitschek, eine Schlüsselfigur der Neuen Rechten, sein „Institut für | |
Staatspolitik“. Die Domain der Titurel-Stiftungs-Webseite ist auf das IfS | |
registriert, als administrativer Ansprechpartner wird Kubitschek genannt. | |
An dem Projekt einer Anlaufstelle für die Identitäre Szene in Ost- und | |
Mitteldeutschland sind viele beteiligt. | |
## Angriff und Abschottung | |
„Grässlich ist das“, sagt Marjorie W., ihr Kopf macht eine ruckende | |
Bewegung in Richtung des Hauses. W. ist Anglistikdozentin und erzählt von | |
ihrem Universitätsalltag. Von Identitären, die linke Studierende in | |
Vorlesungen und Seminaren herausfordernd anstarren. Von rechten Drohungen | |
in der Mensa. Von einem Studenten, von dem sie es nie gedacht hätte – den | |
sie dann in die Adam-Kuckhoff-Straße 16 gehen sah. In genau diesem Moment | |
öffnet sich die Haustür. Auf die Straße tritt Melanie Schmitz, das | |
„Postergirl“ der Identitären, kurze Hose, Stofftasche. Sie schwingt sich | |
auf ihr Rennrad, fährt davon. | |
Wer an dem Haus klingelt, hört nicht, ob die Klingel funktioniert. In der | |
dritten Etage steht ein Fenster offen, doch die Haustür öffnet niemand. Die | |
Identitären wollten von August an die erste Etage für alle HallenserInnen | |
öffnen, sogar für Linke. Doch in der Realität ist die Adam-Kuckhoff-Straße | |
16 ein in sich geschlossener Identitären-Kosmos. Eine Farbspur auf der | |
Fassade zeugt davon, dass sich nicht alle damit abfinden mögen. Neben | |
auffällig vielen AfD-Wahlplakaten hat Halle auch eine kraftvolle linke und | |
bürgerliche Opposition gegen Rechtsextremismus. | |
Zurück in der Hasi: Ein Trampelpfad führt vorbei an den gemeinschaftlichen | |
Hochbeeten mit Tomaten und Kürbissen, deren Pflanzenblätter wie große | |
Teddybär-Ohren übereinanderhängen. Das Grundstück ist 3.000 Quadratmeter | |
groß, und alles ist irgendwie auf eine perfekte Art zusammengewürfelt: | |
Pastellfarbene Wohnwagen und VW-Busse, ein efeubewachsenes Rondell, das als | |
Theaterbühne dient, ein quietschendes Trampolin, eine Bank, die von einem | |
Ast baumelt. | |
Inmitten des wilden Grases sitzen sieben Hasi-AktivistInnen. Ihr Gespräch | |
dreht sich – wie könnte es anders sein – um das drohende Ende für ihr Hau… | |
Robin Müller, 29, klein, mit Pferdeschwanz, erzählt: „Wir haben alles | |
gemacht, was im Vertrag steht, uns an jede Auflage gehalten. Wir haben | |
immer auf die Kooperation mit der HWG gesetzt.“ Er redet viel, schnell, | |
manchmal überschlagen sich seine Sätze. Müller, der eigentlich anders | |
heißt, ist aufgebracht. | |
## G20 hat die Stimmung verändert | |
Die örtliche Zeitung, die Mitteldeutsche, macht spätestens seit G20 | |
Stimmung gegen die Hasi, finden ihre BesetzerInnen. „Hausbesetzer | |
verängstigen Nachbarn“, schrieb sie etwa am 20. Juli. Anwohner hätten sich | |
beschwert, der Zeitung von „häufigen Ruhestörungen, lauten Konzerten bis | |
spät in die Nacht und Rauchbelästigung durch das Verbrennen vom Unrat“ | |
berichtet. Im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen zwei Ereignisse: Am | |
1. Mai hätten sechs schwarz Vermummte das Haus angesteuert, am 15. Juli sei | |
auf dem Dach Pyrotechnik abgebrannt worden. Von beidem gäbe es Videos, so | |
die Zeitung. | |
Robin Müller sagt: „Da wird alles lustig miteinander vermengt.“ Am 1. Mai | |
seien gewalttätige Nazis vor der Hasi aufmarschiert. Die Linken öffneten | |
ihre Türen für Menschen in Gefahr – woraus die Zeitung, wie auch immer, | |
einen Übergriff konstruiere. Und ja, am 15. Juli habe es auf dem Dach ihres | |
Hauses gebrannt – aber: „Das war keine abgesprochene Aktion. Wir haben die | |
Leute da sofort runtergeholt und ein neues Schloss angebracht, damit nicht | |
mehr jeder einfach aufs Dach kann.“ Die Chaoten-Berichterstattung der | |
Zeitung ist für Müller Stimmungsmache eines einzelnen Redakteurs. Die | |
Hasi-Leute haben Beschwerde beim Presserat eingelegt. | |
Wie aber beurteilen sie nun das, was in der Adam-Kuckhoff-Straße passiert? | |
Handelt es sich dabei gar um einen Gegenentwurf zu ihrem Projekt? Müller | |
verzieht das Gesicht: „Denen wurden einfach 300.000 Euro von einem reichen | |
Gönner in den Arsch geblasen. Die machen da doch nichts“, sagt er | |
säuerlich. | |
Mit am Tisch sitzt auch Theresa Bauer. Auch sie heißt eigentlich anders, | |
aber alle Menschen in dieser Geschichte haben Angst vor Übergriffen von | |
Rechten und nennen deshalb nicht ihre richtigen Namen. Sie sagt: „300 | |
Menschen nutzen die Hasi mittlerweile regelmäßig. Es gibt keine | |
eingefahrenen Strukturen, keine Berührungsängste. Man kann einfach kommen“. | |
## Entscheidung kurz vor Ultimo | |
Viele der Hasi-Nachbarn sehen das genauso. Sie haben Briefe an den | |
HWG-Aufsichtsrat geschrieben, dafür geworben, dass das Projekt bleibt. | |
Manche von ihnen haben Transparente an ihre Häuser gehängt: „Hasi bleibt.“ | |
Aber der HWG-Aufsichtsrat, dem der parteilose Bürgermeister Bernd Wiegand | |
vorsteht, hat seine Entscheidung vertagt, auf den 28. September, wie die | |
Stadt mitteilt. Bis jetzt hätten noch nicht alle Fakten vorgelegen, die | |
eine Entscheidung ermöglichen würden, doch das sei jetzt anders. Konkreter | |
wird es nicht. Grundsätzlich aber „begrüßt die Stadt das Engagement des | |
Vereins“. Der Verein Capuze e. V. fungiert als Träger der Hasi. | |
Im „krassen Gegensatz“ zu „einem friedlichen Zusammenleben aller Einwohner | |
in Halle“ stünden die Aussagen und das Auftreten der Identitären Bewegung, | |
sagt der stellvertretende Pressesprecher der Stadt. Doch die | |
Adam-Kuckhoff-Straße befinde sich nicht in städtischem Eigentum. Man habe | |
keine Handhabe. | |
Auf der Straße nahe dem Identitären-Haus kommen Marjorie W. die | |
Erinnerungen. Eine Freundin hat früher in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 | |
gewohnt. Als sie beide kleine Kinder hatten, haben sie dort zusammen mit | |
ihren Babys gespielt. Es schmerzt sie, dass sich genau dort heute | |
Rechtsextreme breitmachen. | |
Das linke und das rechte Haus in Halle: Die Identitären können für die | |
Zukunft planen. Die Linken müssen bangen. | |
[1][taz.meinland-Veranstaltung zur Zukunft der Hasi] | |
18 Sep 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Halle-Saale-1909/!164995/ | |
## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
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