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# taz.de -- Schriftsteller Viet Thanh Nguyen: „Ich bin ein angry Asian Americ…
> „Der Sympathisant“ handelt von einem Spion, der keiner Seite treu ist.
> Viet Thanh Nguyen will das US-amerikanische Vietnam-Narrativ verändern.
Bild: Wollte für seine Geschichte einen Erzähler mit mindestens zwei Identit�…
taz.am wochenende: Herr Nguyen, ein nachträglicher Glückwunsch zum Pulitzer
Prize for Fiction!
Viet Thanh Nguyen: Vielen Dank. Ich freue mich sehr über den Preis. Ich bin
aber auch froh, dass gerade ein Buch ausgezeichnet wurde, das den
Vietnamkrieg von verschiedenen Seiten beleuchtet.
Wird der Krieg denn zu einseitig betrachtet?
In den Vereinigten Staaten auf jeden Fall. Dort geht es natürlich vor allem
um die amerikanische Sicht auf den Krieg. In diesem Krieg sind etwa drei
Millionen Vietnamesen und über 50.000 amerikanische Soldaten gestorben. Für
mich ist es etwas verstörend, dass für die Amerikaner die drei Millionen
Vietnamesen gar nicht zählen. Wichtig ist nur, was mit den eigenen Soldaten
geschah. Die Geschichten, die sie davon erzählen, werden in die ganze Welt
exportiert. Fast jeder kennt doch „Apocalypse Now“, oder? Aber wer hat
schon mal einen vietnamesischen Film über den Krieg gesehen?
Dieser Darstellung wollten Sie etwas entgegensetzen?
Genau deshalb bin ich Schriftsteller geworden. Ich will das amerikanische
Narrativ verändern.
Deswegen haben Sie einen namenlosen Hauptmann erfunden, der in der
südvietnamesischen Armee dient und nach dem Fall von Saigon vor den
anrückenden Kommunisten über die Insel Guam in die Vereinigten Staaten
flieht. Insgeheim aber ist er ein nordvietnamesischer Spion und dupliziert
zunächst in Vietnam und auch noch später in den USA Geheimdokumente für die
Kommunisten.
Meine Hauptfigur musste unbedingt ein Spion sein, ein Erzähler mit
mindestens zwei Identitäten. Deswegen heißt der Roman „Der Sympathisant“.
Mein Erzähler sympathisiert. Er bringt Verständnis auf für beide Seiten in
diesem Krieg.
Man kriegt ihn schwer zu packen: Er ist Vietnamese, hat die amerikanische
Kultur aber gründlich absorbiert. Er dient einem südvietnamesischen General
und verrät ihn zugleich. Er verübt Auftragsmorde, fühlt sich dabei aber
zutiefst schuldig.
Mein Literaturagent sagte nach der ersten Lektüre des Romans: Dieser Typ
ist aber echt nicht sehr sympathisch! Ich antwortete: Ich mag ihn aber!
Wirklich! Ich kann meinen Hauptmann einfach gut verstehen. Er ist komplex.
Außerdem sagt er viele Dinge, die ich schon immer mal sagen wollte. Dieser
Roman ist für mich also ein sehr persönliches Buch, auch wenn es nicht
autobiografisch ist.
Auch die Romane von vietnamesischstämmigen Autorinnen wie Kim Thúy, Monique
Truong oder Linda Lê wurden ins Deutsche übertragen. Ihre Geschichten
handeln auch von Krieg, Flucht und Exil, wirken aber viel stiller als Ihr
Roman.
Ich kenne ihre Bücher und finde sie großartig. Mein Erzählband „The
Refugees“ war auch noch recht zurückhaltend. In meinem Roman aber wollte
ich deutlicher werden. Vietnamesische Autoren gelten allgemein als ruhig
und sanft. Ich aber bin ein angry Asian American, und ich habe überhaupt
kein Problem damit, das auch deutlich zu sagen.
Trotzdem kam Ihr Roman so gut an, dass Sie dafür 2016 den Pulitzer Prize
for Fiction bekommen haben.
Ja, er kam insgesamt supergut an. Einige US-Vietnamesen aber lehnen es
trotzdem ab, den Roman zu lesen, weil er aus der Sicht eines
kommunistischen Spions geschrieben wurde. Und es gibt aber auch Amerikaner,
die mir Hassmails geschickt haben. Nach dem Motto: Du bist undankbar. Wir
haben für dich gekämpft. Geh zurück nach Vietnam!
Spielt der Vietnamkrieg für das Selbstverständnis der US-Amerikaner heute
noch eine große Rolle?
Insgesamt gerät der Krieg ein bisschen in Vergessenheit. Allerdings
entstehen immer noch große Werke darüber. Ken Burns hat zum Beispiel gerade
eine 18-stündige Fernsehdoku produziert. Und Mark Bowden hat kürzlich ein
umfangreiches neues Vietnam-Buch publiziert. Auch jeder amerikanische
Präsident hält früher oder später mal eine Vietnam-Rede.
Auch Donald Trump?
Er noch nicht. Alles, was er bislang dazu beitragen konnte, war, dass er
sich mal eine Geschlechtskrankheit eingefangen hat. Und dass das sein ganz
persönliches Vietnam war. Nun ja.
Sie selbst wurden noch in Vietnam geboren.
Ja. Meine Eltern stammen aus dem Norden. Als das Land 1954 geteilt wurde
und im Norden die Kommunisten regierten, siedelten rund eine Million
Katholiken in den Süden über. Meine Eltern waren dabei.
Als Sie vier Jahre alt waren, floh Ihre Familie in die USA. Haben Sie noch
Erinnerungen an Vietnam?
Da sind noch ein paar Bilder in mir, aber ich weiß nicht, ob die wirklich
stimmen. Nein, meine Erinnerungen beginnen eigentlich erst mit meiner
Ankunft in den USA. Da wurden wir nämlich aufgeteilt: Ich wurde meinen
Eltern vorübergehend weggenommen und in eine amerikanische Pflegefamilie
gesteckt.
Später hat sich Ihre Familie in Kalifornien angesiedelt. In Ihrem Roman
beschreiben Sie die vietnamesische Flüchtlingscommunity dort ziemlich
detailliert.
In Kalifornien lebt seit Kriegsende die größte vietnamesische
Auslandscommunity. Als ich dort aufwuchs, war für viele Flüchtlinge der
Krieg noch lange nicht beendet. Sie hatten ihr Land verloren. Sie waren
verbittert. Für viele Veteranen ging der Krieg im Kopf weiter. Eine kleine
Gruppe versuchte auch aktiv, die Rückeroberung von Vietnam zu organisieren.
Bis heute tragen viele der Veteranen bei öffentlichen Veranstaltungen ihre
alten Uniformen. Das ist alles in meinen Roman eingeflossen.
Erstaunlich. Wie politisch ist die vietnamesische Community in den USA
noch?
Die USA sind ein antikommunistisches Land, und die Vietnamesen bilden da
keine Ausnahme. Sie verstehen sich bis heute als die Alternative zum
kommunistischen Vietnam. Sie lassen immer noch die alte Flagge von
Südvietnam flattern und unterdrücken innerhalb der Community alle Anzeichen
von Verständnis für die kommunistische Regierung in Vietnam.
Reisen die in den USA lebenden Vietnamesen trotzdem häufig nach Vietnam?
Oh ja, sehr häufig. Insgesamt gibt es vier Millionen Auslandsvietnamesen;
zwei Millionen davon leben in den USA. Viele von ihnen reisen regelmäßig
nach Vietnam, sei es um Urlaub zu machen, die Familie zu besuchen oder aus
beruflichen Gründen. In meiner Generation gibt es sogar einige, die nach
Vietnam zurückziehen, weil für sie die beruflichen Aussichten dort besser
sind als in den USA. Es ist schon eine sehr komplexe finanzielle und
emotionale Verbindung zwischen Vietnam und seiner Diaspora.
Und Sie persönlich, fliegen Sie auch regelmäßig nach Vietnam?
Ich war 2002 zum ersten Mal wieder dort. Das war für mich nicht einfach.
Bis 2012 bin ich dann mehrmals dort gewesen. Momentan fliege ich nicht hin.
Einerseits ist das emotional schwierig, weil meine Familie dort recht arm
ist. Andererseits werden Vietnamesen ins Gefängnis gesteckt, die in etwa
dasselbe sagen wie ich in meinem Buch. Ich bin ja nicht nur kritisch
gegenüber Amerika, sondern auch gegenüber der vietnamesischen Regierung. Da
bin ich aktuell lieber vorsichtig.
Trotzdem ist erstaunlicherweise eine vietnamesische Übersetzung Ihres
Romans in Arbeit.
Ja, verrückt. Auch meine beiden vorherigen Bücher wurden von
vietnamesischen Verlagen gekauft. „Der Sympathisant“ wird jetzt gerade
übersetzt. Mal sehen, ob die Behörden ihn dann tatsächlich zur
Veröffentlichung freigeben. Ich bin gespannt.
10 Sep 2017
## AUTOREN
Katharina Borchardt
## TAGS
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