| # taz.de -- Heizkraftwerk-Schornsteine undicht: In Wedel regnet es Gips | |
| > Die Schornsteine des alten Heizkraftwerks Wedel spucken Gipsregen in die | |
| > Nachbarschaft. Initiative fürchtet Gesundheitsgefahren und fordert | |
| > Abschaltung | |
| Bild: Kraftwerk Wedel: Aus diesen Schornsteinen rieselt fieses Zeug | |
| WEDEL taz | Akuten Handlungsbedarf sieht Robert Habeck nicht. Über weitere | |
| Maßnahmen zur Minderung des Partikelregens, der regelmäßig über die | |
| Anwohner des Heizkraftwerks Wedel niedergeht, werde bis Anfang Oktober | |
| entschieden, kündigte Schleswig-Holsteins grüner Umwelt- und | |
| Energieminister am Donnerstag in einem Schreiben an die dortige | |
| Bürgerinitiative „Stopp. Kein Megakraftwerk in Wedel“ an. Zwar sei die | |
| Situation der Kraftwerksanwohner „nicht befriedigend“, räumte Habeck ein, | |
| jedoch sei nach ersten Analysen „keine Gesundheitsgefahr erkennbar“. | |
| Seit einem Monat werden die Menschen im Wedeler Osten von Partikelregen aus | |
| den Schornsteinen des benachbarten Vattenfall-Heizkraftwerks behelligt. | |
| „Das verschmiert hier alles“, sagt Initiativen-Sprecherin Kerstin Lueckow, | |
| die in einem Reihenhaus mit Elbblick wohnt, 50 Meter Luftlinie vom | |
| Kraftwerk entfernt. „Terrassen, Wintergärten, Autos“, zählt sie auf, „m… | |
| wacht morgens auf, und alles ist von einer ätzenden grauen Schicht | |
| bedeckt.“ | |
| Schon seit vorigem Jahr regnete Lueckow und ihren Nachbarn immer mal wieder | |
| Gips und Flugasche auf Köpfe und Gärten. Zur Sanierung hatte Vattenfall | |
| deshalb das Kraftwerk über den Sommer abgeschaltet. Eine Kalkeindüsung und | |
| zwei Aerosolabscheider, die Kleinstpartikel absondern sollen, wurden | |
| installiert, berichtet der Energiekonzern am 29. August 2017 in einer | |
| Anwohner-Information. Zusätzlich sei der Schornstein „mit einer | |
| Teflon-ähnlichen PTFE-Folie ausgekleidet“ worden. Vattenfall ist überzeugt, | |
| dass dies den Partikelregen nachhaltig vermindert. | |
| „Seitdem ist es noch schlimmer“, sagt Kerstin Lueckow. „Früher konnte man | |
| das Zeug noch wegfegen, jetzt verklebt das alles.“ Vattenfall bedauert die | |
| damit „verbundenen Beeinträchtigungen“ außerordentlich. Doch leider sei es | |
| „bei einer Anlage dieser Bauart nicht möglich, Partikelausstoß ganz zu | |
| vermeiden“. Jedoch sei Besserung in Sicht. Die jetzt übergangsweise | |
| installierte Kalkhydrat-Anlage werde zum Dezember durch eine | |
| „maßgeschneiderte“ neue Anlage ersetzt werden, kündigt der Konzern an: | |
| „Unser Ziel bleibt die Minderung des Partikelaustrags und der dadurch | |
| entstehenden Belästigungen für Sie auf ein möglichst geringes Maß.“ | |
| Kerstin Lueckow ist das inzwischen zu wenig. „Abschalten“, sagt die | |
| 50-Jährige, die seit 17 Jahren Kraftwerksnachbarin ist. „Bis der Fehler | |
| behoben ist, muss die Anlage abgeschaltet werden.“ Zwar kommt Vattenfall | |
| für die Einsätze von Reinigungsfirmen auf, auch gibt es Gutscheine für | |
| kostenlose Autowäschen in nahe gelegenen Tankstellen, doch das ist nicht | |
| das Wesentliche: Lueckow und ihre MitstreiterInnen misstrauen den | |
| Beteuerungen von Vattenfall und Kieler Umweltministerium, dass die | |
| Niederschläge gesundheitlich unbedenklich seien. | |
| Gutachter bescheinigten, dass Erwachsene und auch Kinder „des benachbarten | |
| Wohngebietes durch den Auswurf keinen gesundheitlichen Gefährdungen | |
| ausgesetzt“ seien, sogar eine „orale Aufnahme der Partikel ist | |
| unbedenklich“. Kerstin Lueckow schüttelt den Kopf und präsentiert in | |
| Plastiktüten mehrere der grauweißen, millimeterdünnen und zwei, drei | |
| Zentimeter langen Stückchen. „Ich kann dem Minister ja was zum Knabbern | |
| anbieten, wenn er mal vorbeikommt“, sagt sie. | |
| Die Initiative hat selbst einen Gutachter mit einer Untersuchung | |
| beauftragt. Und der legt den Anwohnern zumindest nahe, nach Kontakt mit den | |
| Teilchen die Haut gründlich zu waschen und die Augen auszuspülen. | |
| Sandkisten für spielende Kleinkinder sollten abgedeckt werden. Insgesamt | |
| sei das Material „nicht als unbedenklich einzustufen“, so das Gutachten. | |
| Unabhängig von den Partikel-Emissionen verliert Umweltminister Habeck das | |
| große Ganze nicht aus den Augen. In seinem Schreiben an Kerstin Lueckow | |
| ruft er in Erinnerung, „dass nach dem erklärten politischen Willen der | |
| Landesregierung das Kohlekraftwerk Wedel schnellstmöglich abgeschaltet | |
| werden soll. Dies ist aus Gründen des Klimaschutzes dringend notwendig“. | |
| Das habe er gegenüber Vattenfall noch einmal deutlich gemacht. Zudem wolle | |
| er in Gesprächen mit Hamburg „zügig zu einer Lösung kommen, die ein | |
| Abschalten des Kohlekraftwerks ermöglicht“. | |
| Denn nach dem Volksentscheid von 2013 wird Hamburg das Fernwärmenetz 2019 | |
| vollständig von Vattenfall zurückkaufen – und damit auch das alte | |
| Kohlekraftwerk Wedel. In der Umweltbehörde wird noch immer nach einer | |
| Ersatzlösung gesucht, im Dezember, so Behördensprecher Jan Dube, soll die | |
| Entscheidung fallen. Wo und wann dann ein neuer Energieofen für rund | |
| 450.000 Wohnungen entsteht, ist noch unklar. Bis dahin dürfte Wedel weiter | |
| Partikel regnen lassen. | |
| 8 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven-Michael Veit | |
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