# taz.de -- Buch „Uncreative Writing“: Sprache als Rohmaterial | |
> Programmieren, recyclen, plagiieren: Kenneth Goldsmith fordert eine | |
> Poetik für das digitale Zeitalter im Zeichen von Copy-and-paste. | |
Bild: Raus aus der romantischen Isolation, rein in die Echokammer Internet | |
Immer mal wieder zu lesen: der semioriginelle Spruch „Be a voice, not an | |
echo“. Der Konzeptkünstler Kenneth Goldsmith widerspricht und fordert das | |
Gegenteil. In seinem auf Englisch bereits 2011 veröffentlichten Buch | |
„Uncreative Writing“ macht er das Unkreativsein stark und verlegt das | |
Schreiben aus der romantischen Isolation in die Echokammer des | |
Textreservats Internet. | |
Und doch: Selbst dort, räumt Goldsmith ein, sei es nicht möglich, dem Drang | |
zur Selbstbehauptung ganz zu widerstehen. „Die Wahl dessen, was man neu zu | |
rahmen plant“, verrate ebenso viel über uns wie das, was man weglasse oder | |
hinzufüge. Seine Poetik, die jetzt auf Deutsch erschienen ist, spürt dem | |
Hang zur Originalität bis in die unkreativste aller Betätigungen nach: dem | |
Abschreiben. | |
Goldsmith vollzieht zunächst die analogen Anfänge seiner Methode nach und | |
wartet dann mit Beispielen digitaler Konzeptliteratur auf. Als er 1997 eine | |
Woche lang jedes von ihm gesprochene Wort aufzeichnete und diesen | |
„Monolog“, wie er den Siebenakter nachher taufte, auf 500 Seiten bannte, | |
war das Internet schon dabei, sich zur Dotcom-Blase aufzupusten, aber | |
Goldsmith noch kein Werkzeug. | |
Zehn Jahre später machte sich der Brite Simon Morris daran, die Bibel der | |
inspirierten Beatpoeten, Kerouacs Roman „On The Road“, Seite um Seite | |
abzutippen. Ein Jahr lang stellte er täglich eine Seite auf seinen Blog, | |
inklusive minimaler Abweichungen, die ihm beim Abschreiben unterliefen, das | |
Resultat ließ er in Originaloptik binden. Angeregt dazu hatte ihn | |
Goldsmith, der selbst wieder ein paar Jahre später das „gesamte“ Internet | |
auf zehn Tonnen Papier ausdruckte. Produzieren wollten beide nicht nur | |
Unmengen an Text- und Papierabfall – sondern vollgültige Literatur. | |
## Auf produktive Weise Zeit verschwenden | |
Unkreativ nennt Goldsmith dieses Verfahren, weil seine Maxime das möglichst | |
unoriginelle Schreiben auf Basis der Verarbeitung von Text ist – und nicht | |
seine Hervorbringung. Wer sich ganze Werke aneignet, so die These, begreift | |
Sprache nicht als Träger von Inhalt, sondern als Rohmaterial. Kataloge, | |
Listen, Suchmaschinen werden als digitale Textkorpora zu den Florilegien | |
der neuen Regelpoeten. Seit gut einem Jahrzehnt lehrt Goldsmith seine | |
Methode an der University of Pennsylvania. Die Studenten ermuntert er dabei | |
nicht nur, das zu tun, was im akademischen Umfeld sonst verpönt ist, | |
sondern auch auf produktive Weise Zeit zu verschwenden – am besten im | |
Internet. | |
Das wiederum ist als unendliche Wortabraumhalde und universales | |
Superschweizertaschenmesser das wirklich Neue an seinem Konzept. Denn dass | |
die Aneignung fremden Texts zur Hervorbringung neuen Texts als Verfahren im | |
Grunde „so alt wie die Literatur selbst“ ist, weiß auch Goldsmith. Folglich | |
nennt er als Vorläufer seines Konzepts zwei Bewegungen aus den 50er Jahren: | |
die konkrete Poesie, die Sprache als abstraktes Wortmaterial begriff, und | |
den Situationismus, dem es um Zweckentfremdung bekannter Muster im Alltag | |
ging. Bei Goldsmith münden beide in der Tatsache des Internets. Von dem | |
gehe eine regelrechte „Revolution in der Literatur“ aus, die die AutorInnen | |
der vergangenen Jahre aber verschlafen hätten. | |
Dabei sei allein die Masse an bereits vorhandenen und via Internet binnen | |
Sekunden verfügbaren Texten so gewaltig, dass sie zu neuen Bedingungen | |
führen müsse, unter denen „Dichten“, wie es Goldsmith weiterhin nennt, | |
stattzufinden habe. Nur trage es zu Zeiten des Internets andere Namen, die | |
allesamt nach Aufbruch klingen: „Text- und Datenbankverarbeitung, | |
Recycling, Appropriation, bewusstes Plagiat.“ | |
Mit seiner Regelpoetik 2.0 sagt er neben Urheberrecht und Autorschaft noch | |
einem weiteren Dinosaurier des Vordigitalen den Kampf an: der | |
Genieästhetik. Man muss seinen Buchtitel, der von Swantje Lichtenstein und | |
Hannes Bajohr unübersetzt bleibt, auch vor dem Hintergrund der über 150 | |
Creative-Writing-Programme lesen, die in den USA das kreative Schreiben | |
unter universitärer Anleitung lehren wollen. Im Grunde, so lautet die | |
argumentative Windkante des Buchs, leiden wir noch immer an den | |
Nachwirkungen einer aus dem 18. Jahrhundert herrührenden Genieästhetik, in | |
der ein ringender Autor auslegbare Werke schafft. | |
## Poesie von Maschinen | |
Dass Goldsmith hier zeitweise mit einem Schattengegner kämpft, ist der | |
Deutlichkeit geschuldet, mit der er in der Tradition von Friedrich Kittler | |
Alternativen aufzeigt: Autoren der Zukunft seien solche, die „die besten | |
Programme schreiben können“. Poesie werde künftig „von Maschinen für | |
Maschinen“ geschrieben, Originalität laute das Gegenwort zu „Spam“. Es m… | |
einem Goldsmiths „Cyber-Utopie“ nicht immer behagen, allein ist er nicht. | |
„Die poetinnen der kommenden jahre werden nicht zusehen und konzernen die | |
hoheit über die sprachalgorithmen überlassen“, schreibt etwa der | |
Österreicher Jörg Piringer. | |
Piringer gehört wie die Übersetzer von Goldsmiths Buch, Lichtenstein und | |
Bajohr, zu einer deutschsprachigen Szene, die sich konzeptuellem und | |
digitalem Schreiben widmet. Lichtenstein lehrt Ästhetische Praxis, Bajohr | |
ist Teil des Textkollektivs 0x0a. In „Wendekorpus“ hat er das Textarchiv | |
der Wendejahre nach sechsgliedrigen „wir“-Sätzen durchsucht. Während das | |
alphabetisch sortierte Resultat ein Land zwischen „wir atmen wieder, aber | |
welche luft?“ bis „wir wussten nicht, wo es hingeht“ zeigt, sind seine | |
„Four-Letter-Words“ – die geparsten Videobeschreibungen einer Pornowebsite | |
– ein Portfolio viel obskurerer Wünsche. Das Ergebnis: eine dreiseitige | |
Liste, gleichermaßen aufschlussreich und witzig. | |
Die Frage aber, wer das alles lesen soll und ob überhaupt, stellt am Ende | |
Goldsmith selbst. Statt lesbarer Endprodukte komme es ihm auf die Idee an: | |
„Bücher, bei denen es nicht mehr so sehr darum geht, dass man sie liest“, | |
lauten Fazit und Vision in einem, „sondern darum, dass man über sie | |
nachdenkt.“ Das sollte weniger befremdlich sein, als es klingen mag. | |
13 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Michael Watzka | |
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