# taz.de -- Wahlrecht für Auslandsdeutsche: Persönlich betroffen | |
> Wer länger im Ausland lebt oder dort geboren ist, muss sich das Wahlrecht | |
> erkämpfen. Ein einfacher Antrag reicht meist nicht aus. | |
Bild: Vor Ort sieht alles ganz einfach aus. Aus der Ferne wird es schwierig | |
Zu mir nach Österreich kommt keine Kanzlerin. Auch kein Cem Özdemir. Nicht | |
einmal Martin Schulz wirft mit SPD-Feuerzeugen nach uns. Im Gegensatz zu | |
Nationen wie den USA und der Türkei erleben wir Auslandsdeutsche es genau | |
umgekehrt: Wollen wir wählen, müssen wir uns anstrengen. Wer als deutscher | |
Staatsbürger im Ausland lebt, muss einen Antrag stellen. Grund dafür ist | |
die im Wahlgesetz verankerte Sesshaftigkeit. Weil die Staatsbürgerschaft | |
per „ius sanguinis“ vererbt wird, können auch Deutsche wählen, die seit | |
Generationen im Ausland leben – und das will der deutsche Staat verhindern. | |
Begründet wird die Einschränkung mit der Verhältniswahl: ohne Wahlkreis | |
keine Erststimme. Die Bindung zu den direkt gewählten Abgeordneten hält der | |
Gesetzgeber im Namen einer lebendigen Demokratie für essenziell. Wer also | |
25 Jahren oder länger weg ist, hat schlechte Karten. Staatsbürger vom | |
Wahlrecht auszuschließen, ist jedoch auch nicht zulässig. Also mussten | |
Ausnahmen geschaffen werden. | |
Wer glaubhaft darlegen kann, wie er oder sie „aus anderen Gründen | |
persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen | |
in der Bundesrepublik Deutschland erworben hat und von ihnen betroffen | |
ist“, darf seit 2012 einen Antrag in der Heimatgemeinde stellen, inklusive | |
eidesstattlicher Erklärung und persönlicher Begründung. | |
## Auswirkungen auf Europa | |
Wie kann ich nicht betroffen sein? Ich bin Deutsche, meine Eltern sind | |
Deutsche, der Großteil meiner Verwandten lebt in Deutschland. Umgekehrt | |
sind Deutsche mit mehr als 180.000 Menschen die größte Einwanderungsgruppe | |
in Österreich. Werden in Deutschland wirtschafts- und migrationspolitische | |
Entscheidungen getroffen, wirkt sich das unmittelbar auf das kleine | |
Nachbarland aus. | |
Schon hier beginnt mein Spießrutenlauf. Ich bin im Ausland geboren, in | |
welcher Gemeinde soll ich meinen Antrag stellen? Eine Mitarbeiterin der | |
Bundeswahlbehörde in Berlin ist zunächst ratlos – bis sie einen Hinweis in | |
der Wahlordnung entdeckt. Ich solle es in der Heimatgemeinde meiner | |
direkten Vorfahren versuchen, rät sie mir. München also. Nach ein paar | |
Telefonaten erhalte ich eine Adresse und sende meinen Antrag inklusive | |
Kopien von Meldezettel und Reisepass mit der Post. | |
In dem Schreiben begründe ich meine Bitte mit staatsbürgerlichen Pflichten | |
und Rechten. Recht naiv, wie sich einige Wochen später herausstellt: | |
„Leider ist es uns nicht möglich, Ihren Antrag abschließend zu bearbeiten, | |
da Ihre beigefügte Begründung nicht ausreichend ist. Ihre Begründung lässt | |
nicht erkennen, wie Sie persönlich und unmittelbar von den politischen | |
Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland betroffen sind“, antwortet | |
das Amt. Ich sei aufgefordert, eine weitere Begründung zu schicken. | |
Rund 67.000 genehmigte Anträge waren es bei der Bundestagswahl 2013, davon | |
2.200 mit persönlicher Begründung. In diesem Jahr scheinen es mehr zu sein, | |
glaubt der Pressesprecher des Bundeswahlleiters, Klaus Pötzsch. Wie viele | |
Deutsche außerhalb Deutschlands leben, weiß hingegen niemand. Innerhalb der | |
EU sind es laut Eurostat 1.248.015 (Stand 2016), allerdings melden | |
Mitgliedstaaten die Zahlen auf freiwilliger Basis an das statistische Amt | |
der Europäischen Union. Gemeinden in Deutschland wiederum, die über die | |
Wahlkartenanträge entscheiden, senden nur die positiv beschiedenen Fälle | |
nach Berlin. Niemand zählt, wie viele Anträge abgelehnt werden. | |
Zuletzt wurde das Gesetz 2012 geändert, nachdem eine in den Niederlanden | |
lebende Deutsche ihr Wahlrecht eingeklagt hatte. Der zweite Senat des | |
Bundesverfassungsgerichts gab ihr recht: Die Einschränkung der | |
Wahlberechtigung für Auslandsdeutsche, die niemals in Deutschland gelebt | |
haben, sei nicht mit dem Grundsatz der „Allgemeinheit der Wahl“ vereinbar. | |
So kam es zu der Änderung, die mir erstmals ermöglicht, an den Wahlen | |
teilzunehmen. Theoretisch. | |
## Nicht nur Medien komsumieren | |
Wer der deutschen Hoheitsgewalt unterliegt, in dem er etwa Steuern abführt, | |
hat gute Chancen. Die Hoheitsgewalt kann, muss aber keine Bedingung für das | |
Wahlrecht sein, steht im Gesetzestext. Ich bin verwirrt. Aus den Unterlagen | |
des Bundeswahlleiters erfahre ich, es genüge nicht, deutsche Medien im | |
Ausland zu konsumieren. Wie aber informieren sich Deutsche in Deutschland | |
über das politische Geschehen, wenn nicht über Nachrichten? | |
Das Gesetz sei „nicht so ganz eindeutig formuliert“, räumt Pötzsch im | |
Telefonat ein. Deshalb gebe es ja Anwendungshinweise für | |
Gemeindebedienstete, die letztlich entscheiden. In dieser | |
Gebrauchsanleitung wird mit anonymen Beispielen skizziert, unter welchen | |
Umständen sie Auslandsdeutsche ins Wählerregister aufnehmen sollen: Der | |
Rentner mit dem nicht meldepflichtigen Ferienhaus in Deutschland etwa, der | |
darf wählen. Ebenso die Enkelin, die seit der Schulzeit im Ausland wohnt, | |
aber regelmäßig zu Besuch kommt. Mehr steht da nicht. | |
Schwieriger wird es bei den Punkten „Engagement in Verbänden, Parteien und | |
sonstigen Organisationen“ und „regelmäßige Teilnahme an Wahlen und | |
Abstimmungen“. Das alles sind aus Sicht des Innenministeriums gute Gründe, | |
um als Auslandsdeutscher wählen zu dürfen. Werden Nichtwähler in Zukunft | |
sanktioniert? Was passiert, wenn der Beamte die Ausrichtung des politischen | |
Engagements nicht leiden kann? | |
Die Gefahr von Willkür sei aus seiner Sicht nicht gegeben, schreibt der | |
Sprecher des Kreisverwaltungsreferats München, Alexander Stumpf, per Mail. | |
Die Mitarbeiter entscheiden anhand von Kriterien, die das Gesetz vorgibt, | |
und das sei „sehr detailliert und konkret“. Als Hilfestellung dienten die | |
Anwendungshinweise, die Gesetzesbegründung und ein Merkblatt des | |
Auswärtigen Amtes. | |
## Eine nette Antwort | |
In einem zweiten Anlauf erkläre ich, wie wichtig mir die politische | |
Teilhabe ist. In glühenden Passagen ereifere ich mich über ein geeintes | |
Europa, das ich als Bürgerin gerne aktiv mitgestalten möchte. Dazu streue | |
ich noch Verwandtschaftsverhältnisse ein, etwa dass meine Eltern ihre | |
Pension aus Deutschland beziehen und meine Schwester in Bayern arbeitet. Es | |
hilft alles nichts. | |
„Wir zweifeln keineswegs an Ihrer Vertrautheit mit den politischen | |
Verhältnissen in Deutschland“, antwortet ein netter Beamter aus München auf | |
dieses zweite Schreiben. Ein Bezug zu anderen Personen sei nicht | |
ausreichend, es gehe um meine persönliche Betroffenheit. „Wir dürfen Sie | |
deshalb bitten, uns eine entsprechende Begründung zukommen zu lassen.“ Ich | |
werde es ein weiteres Mal versuchen. Ich glaube, es ist wie in den alten | |
Kung-Fu-Filmen: Erst nach dem dritten Klopfen öffnet sich die Tür des | |
Zen-Meisters. Einzig die deutsche Bürokratie, die ist hartnäckig – vor | |
jeder Wahl muss ein neuer Antrag gestellt werden. | |
Julia Herrnböck arbeitet für Dossier, eine gemeinnützige Redaktion für | |
investigativen und Datenjournalismus in Österreich, [1][www.dossier.at] | |
30 Aug 2017 | |
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## AUTOREN | |
Julia Herrnböck | |
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