# taz.de -- Soziale Dienste gegen Jugendamts-TÜV: Ein Siegel – und alles wir… | |
> Als erste Stadt hat Hamburg seinen Jugendämtern ein Qualitätsmanagement | |
> verordnet. Landesarbeitsgemeinschaft ASD kritisiert das Verfahren | |
Bild: Ordnung muss sein: Das TÜV-Zertifikat soll SozialarbeiterInnen helfen, i… | |
Sozial-Staatsrat Jan Pörksen und TÜV-Nord-Abteilungsleiter Holger Hoffmann | |
lächeln in die Kamera, vor sich halten sie eine große Papp-Urkunde. Die | |
Hamburger Jugendämter arbeiten nun nach einem Qualitätsmanagementsystem | |
(QMS), und haben ein Zertifikat. Veranlasst wurde das nach dem Tod der | |
elfjährigen Chantal und der dreijährigen Yağmur, beide waren dem Jugendamt | |
als Fall bekannt. | |
„Uns war nach den schlimmen Vorfällen klar, dass es nicht neuer Regeln | |
bedurfte, sondern dass wir sicherstellen mussten, dass die vorhandenen | |
Regeln auch eingehalten werden“, sagte Pörksen bei der Zeremonie dem | |
Abendblatt. Die taz war nicht eingeladen. | |
Die Sache ist von stadtweitem Interesse. Es gebe zu viele Regeln, zu viel | |
Bürokratie erschwere die Arbeit mit Kindern und Familien, lautet ein seit | |
Jahren erhobener Vorwurf von Jugendamts-Mitarbeitern. Auch die 2017 | |
eingesetzte Enquete-Kommission „Kinderschutz und Kinderrechte“ beschäftigt | |
sich explizit mit der „Übersichtlichkeit sowie Anwendbarkeit von | |
Regelwerken in der Praxis“. Hamburg betreibe Kinderschutz zu sehr als | |
„Gefahrenabwehr“ und zu wenig als Sozialarbeit, kritisierte jüngst | |
Enquete-Mitglied und Sozialwissenschaftler Fabian Kessl. | |
Und da soll nun der TÜV helfen? TÜV-Mann Hoffmann attestierte dem | |
Staatsrat: „Ihr Qualitätsmanagement-System ist intakt.“ Die Darstellung der | |
Abläufe habe ihn beeindruckt. „Wenn man danach arbeitet, hat man viel | |
gewonnen.“ Und Pörksen bemühte den Vergleich zu Verkehrskatastrophen. | |
Sicher sei es ungewohnt, den TÜV zu Rate zu ziehen. „Für uns ist es wie ein | |
Flugzeugabsturz, wenn ein Kind zu Schaden kommt.“ Auch nach einem Absturz | |
würde man die Ursachen haarklein untersuchen. | |
Der TÜV habe nicht die inhaltliche Arbeit beurteilt, erläutert Pörksens | |
Sprecher Marcel Schweitzer: „Es geht darum: Sind die Regeln eindeutig | |
dargestellt, sind die Prozesse eindeutig definiert.“ Der „Kernprozess | |
Kinderschutz“ legt zum Beispiel fest, was bei einem Hausbesuch zu beachten | |
ist. Etwa dass bei Hinweisen auf Gewalt ein Kind unbekleidet angeschaut | |
werden muss. | |
Die vor einigen Monaten neu gegründete Landesarbeitsgemeinschaft | |
Allgemeiner Sozialer Dienst (LAG ASD) sieht das „QMS“-Verfahren kritisch. | |
Man habe sich eine „Übersicht im Dschungel von Vorgaben“ erhofft, heißt es | |
in einer Stellungnahme. Mittlerweile sei das Verfahren selbst „so | |
überkomplex, dass es mehr verwirrt als nützt“. Zudem erzeuge QMS „nur ein | |
Gefühl von Sicherheit“. Es generiere Vorgaben, die Mitarbeiter einhalten | |
müssen, um sich selbst zu schützen. Doch die Einhaltung formeller Schritte | |
sei „keine Garantie für den Schutz der Kinder“. Manfred Neuffer, Professor | |
für Sozialarbeit, nennt den Vorgang peinlich. „Nun klebt ein TÜV-Siegel an | |
den PC’s der Mitarbeiter in den Jugendämtern, an denen sie zu Zweidrittel | |
ihrer Tätigkeit sitzen, anstatt Kinder, Jugendliche, Eltern zu | |
unterstützen.“ | |
Das System sei der Wirtschaft entlehnt. Konsequent wäre, nun Sozialarbeiter | |
durch Verwaltungskräfte zu ersetzen. Schweitzer sagt, die Kritik sei im | |
Haus bekannt. Das QMS sei aber mit Personalrat und Mitarbeitern entwickelt. | |
„Es ist eingeführt und muss gelebt werden.“ Man wisse, dass das Werkzeug | |
gerade von neuen Mitarbeitern „gut angenommen wird“. | |
Wie hilfreich Mitarbeiter das Handlungssystem tatsächlich finden, wird | |
vielleicht die Enquete-Kommission klären. Die plant eine Online-Befragung, | |
bei sich alle ASD-Mitarbeiter über ihre Arbeit äußern können. | |
27 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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