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# taz.de -- Nach dem Terror von Barcelona: Die Rätsel von Ripoll
> Die Zelle, die in Katalonien mordete, muss Komplizen gehabt haben. Im
> Umfeld der Täter herrscht Fassungslosigkeit.
Bild: Trauer und Entsetzen in der muslimischen Gemeinde im katalonischen Ripoll
Barcelona taz | Klar ist knapp eine Woche nach den Anschlägen von Barcelona
und Cambrils, dass die Terroristen eigentlich mehrere Sehenswürdigkeiten in
der katalanischen Hauptstadt sprengen und dabei möglichst viele Menschen
töten wollten. Bekannt ist auch, dass es neben den sechs mittlerweile toten
Attentätern mindestens drei weitere Mitverschwörer gab, darunter Abdelbaki
Es Satty, den Imam der Terrorzelle.
Es Satty und ein weiterer Mann kamen in der Nacht vor den Morden im
Rückzugsort der Gruppe im südkatalanischen Alcanar ums Leben, als ihr
Bombenarsenal versehentlich hochging. Wie die Polizei in Barcelona nun am
Donnerstag bekannt gab, war der zweite Tote Youssef Aalla, ein Bruder eines
der in Cambrils erschossenen Terroristen. Ein dritter Mann überlebte den
Unfall.
Wer aber außer Es Satty, dessen Alter mal mit 34, mal mit 42, mal mit 45
angegeben wird, für die Radikalisierung der acht jungen Männer – drei von
ihnen wurden nur 17 Jahre alt – aus dem nordkatalanischen Städtchen Ripoll
verantwortlich ist, bleibt bisher genauso ein Rätsel, wie wer die
Terroristen bei der Vorbereitung ihrer Taten unterstützt hat.
Neben dem Überlebenden von Alcanar hat der Ermittlungsrichter des Madrider
Spezialgerichtshofs am Dienstag den ebenfalls in Ripoll wohnenden Driss
Oukabir wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zur Terrorzelle für
unbestimmte Zeit in Haft genommen. Der 28-Jährige hatte das Mordauto für
seinen 17-jährigen Bruder Moussa und dessen Mitverschwörer angemietet –
behauptet aber, die Terroristen hätten ihm etwas von einem geplanten Umzug
erzählt.
## Die Suche geht weiter
Oukabir stellte sich der Polizei kurz nach dem Attentat, als er seinen Name
im Fernsehen hörte. Er behauptet, nichts mit dem Komplott zu tun zu haben;
Imam Es Satty, der die Mörder rekrutiert haben soll, nannte er laut der
Regionalzeitung Ara in der polizeilichen Vernehmung einen „Hurensohn“.
Nach drei Tagen Untersuchungshaft entlassen wurde gestern Sahl Ek K., der
Betreiber eines Internetcafés, der einigen der Attentätern in der
Vergangenheit Flugkarten gekauft hatten. Er konnte belegen, dass er solche
Käufe regelmäßig gegen Bezahlung für Leute abwickelt, die keine Kreditkarte
haben.
Neun Terroristen stehen also fest. Klar ist aber, dass die Suche nach
Mittätern weitergehen muss. Da sind zum einen die Verbindungen ins Ausland:
Am Wochenende vor den Anschlägen fuhren einige der Attentäter mit dem Auto,
das dann in Cambrils zum Einsatz kam, in die Gegend von Paris. Zwei von
ihnen waren im Dezember in Zürich gewesen. Imam Es Satty, der als Kopf und
Anstachler der Gruppe gilt, hielt sich von Januar bis März 2016 im
belgischen Vilvoorde auf, das als Hochburg des terroristischen Salafismus
gilt.
## Festnahmen in Marokko
Ebenso bedeutend ist wohl die Verbindung nach Marokko, wo einige der
Attentäter geboren wurden und woher alle acht stammten. Laut der Zeitung El
Mundo hatte einer von ihnen im Mai einen Freund in Marokko bei einem
Telefonat gefragt, ob sich jemand aus der Stadt Meknés nach ihm erkundigt
hätte. Es handle sich wohl um einen Hetzer, der arme junge Marokkaner unter
anderem mit Videos der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ködere.
In Marokko wurden am Dienstag laut Medienberichten drei Personen in
Zusammenhang mit den Anschlägen in Katalonien festgenommen: ein
minderjähriger Cousin der Oukabirs, der die Taten gutgeheißen habe sowie
ein Mann, der bis vor Kurzem in Ripoll gelebt und dort Butangas
ausgeliefert haben soll. Er soll im selben Haus wie der Todesfahrer von den
Ramblas gewohnt haben. Verdächtig macht ihn zudem, dass in der
versehentlich zerstörten Basis der Terrorgruppe in Alcanar rund 120
Butanbehälter gefunden worden waren. Sie hätten die Sprengkraft der laut
Polizei fast fertigen Bomben immens verstärkt.
Auch in oder um Barcelona könnte es weitere Unterstützung gegeben haben.
Der 22-jährige Todesfahrer Younes Abouyaaqoub flüchtete nach seiner Tat auf
den Ramblas fünf Kilometer weit zu Fuß durch die Stadt, erstach dann einen
Autofahrer, um mit dessen Auto weiterzufahren, ließ den Wagen aber noch im
Großraum Barcelona stehen. Als er am Montag rund 30 Kilometer Luftlinie
entfernt erkannt und erschossen wurde, trug er nicht nur andere Kleidung
als am Tag der Tat, sondern auch eine Sprengstoffgürtelattrappe. Das lässt
vermuten, dass er in der Zwischenzeit Unterstützung bekam.
## Ein „gutes Beispiel“
In Ripoll, dem Herkunftsort der Täter, sind derweil Freunde, Verwandte,
ehemalige Lehr- und sozialpädagogische Betreuungskräfte fassungslos
angesichts der Tat der von ihnen als völlig normal empfundenen jungen
Männer. Die Attentäter werden als „sehr gut integriert“ beschrieben, sie
sprachen sowohl sehr gut Katalanisch als auch Spanisch, hatten vor Ort
Freunde, beteiligten sich am sozialen Leben ihrer Gemeinde, spielten
Fußball, mochten Autos und HipHop-Musik, waren nett und eher zurückhaltend,
keine schlechten Schüler und nicht einmal besonders arm.
Die Terroristen profitierten von klein auf von lokalen Freizeit- und
Integrationsangeboten sowie später von einer staatlichen Hilfseinrichtung
zur Integration in den Arbeitsmarkt. Die Meisten von ihnen hatten oder
machten Ausbildungen im mechanischen Bereich, darunter auch der Todesfahrer
Abouyaaqoub. Der wurde, kurz nachdem er als Hauptattentäter feststand, von
Freunden gegenüber einem Journalisten als „un tío de puta madre“
beschrieben – ein saucooler Typ. In der Schule und bei der Ausbildung war
er einer der Besten, zuletzt arbeitete er bei einer
Metallverarbeitungsfirma.
„Meine Eltern haben mir Younes immer als gutes Beispiel vorgehalten“,
erzählt ein ehemaliger Mitschüler. Eine Sozialarbeiterin, die den
Todesfahrer von klein auf kannte, hat einen Text veröffentlicht, um ihren
Schock auszudrücken: „Wie kann das sein, Younes? Mir zittern die Finger.
Ich kenne niemanden, der so verantwortungsvoll ist wie du. Mein Herz ist
gebrochen.“
Ripoll hat nur rund 11.000 Einwohner. Dementsprechend groß ist der Anteil
derer, die die Attentäter oder deren Familien kannten. Seit den Anschlägen
veranstalten Bürgermeister und lokale Vereine Kundgebungen und bieten
psychologische Beratung an. Trotzdem mehren sich Berichte über ausländer-
und konkret marokkanerfeindliche Aussagen und entsprechendes Verhalten.
Dahinter steht der Gedanke: Wenn selbst solche Musterknaben nicht vor
terroristischem Gedankengut gefeit sind, ist es gar kein Muslim.
## Verhaltensänderungen seit einem Jahr
Tatsächlich scheinen zumindest einige der ersten Aussagen über die
vermeintlich perfekt integrierten Attentäter oberflächlich. So heißt es,
keiner von ihnen sei durch besondere Religiosität aufgefallen. Dabei
berichten spanische Zeitungen nun, sowohl in Ripoll als auch in Marokko, wo
einige der Attentäter hin und wieder zu Besuch waren, hätten Freunde und
Verwandte seit ungefähr einem Jahr Verhaltensänderungen beobachtet. Die
jungen Männer hätten von Alkohol, Musik und dem Nachtleben abgelassen und
gelegentlich ungewöhnlich ernst gewirkt.
Der nun selbst inhaftierte Driss Oukabir berichtet, sein kleiner Bruder
Moussa habe ihm vorgeworfen, dass er Alkohol trinke und nicht oft genug in
die Moschee gehe. Das habe begonnen, nachdem Abdelbaki Es Satty 2015 Imam
wurde.
Es Satty wird in Ripoll als undurchsichtiger, aber intelligenter
Einzelgänger beschrieben. Er hielt zwar mit seiner Biografie und
Informationen über seine Familienverhältnisse hinterm Berg, fiel aber nie
durch Radikalismus auf – oder doch fast nie. Die Zeitung El País berichtet
von zwei Personen, denen gegenüber er radikalen Ansichten geäußert habe.
Zudem behauptet ein Einwohner von Ripoll, er sei aus Marokko vor Es Satty
gewarnt worden. Ein Cousin eines der Terroristen erzählt, die Attentäter
hätten sich seit etwa einem Jahr immer wieder heimlich mit Es Satty
getroffen, vor allem in dessen Kleinbus. Auch drei Wohnungen in einem
billigen Wohnhaus, die anscheinend extra für gelegentliche Treffen
angemietet wurden, sind mittlerweile bekannt. Dort soll den jungen Männern
das Gehirn gewaschen worden sein.
## Radikalisierung in der Haft?
Ara schreibt unter Bezug auf Ermittlungsbehörden, Es Satty sei vor Jahren
bei einem Treffen salafistischer Führer in Katalonien – dort soll es 80
salafistische Gemeinden geben – dabei gewesen. Andere Medien aber melden
auf Basis ähnlicher Quellen, dass Es Satty nicht in Katalonien
radikalisiert worden sei. Dass er 2010 bis 2012 beim Absitzen einer
Gefängnisstrafe wegen Haschisch-Schmuggels mit einem islamistischen
Terroristen in Berührung kam, tue nichts zur Sache. Der Religion habe er
sich erst danach zugewandt.
Das ist merkwürdig, angesichts der Tatsache, dass Es Satty 2003 mit einem
späteren Irak-Attentäter zusammengewohnt und 2006 Kontakt zu
Terrorverdächtigen hatte, wie das Onlinemagazin El Independiente berichtet.
Im Schutt der Basis der Terrorzelle in Alcanar wurde nun jedenfalls ein
Notizbuch mit dem Namen des Imams darauf gefunden, in dem ein martialischer
handgeschriebener Text im Namen des Islamischen Staats zu finden ist.
Wie Es Satty die jungen Männer zu Terroristen machen, muss noch ergründet
werden. Bekannt ist bereits, dass der damals 15-jährige Moussa Oukabir
schon vor zwei Jahren – damals war der Imam noch nicht lange in Ripoll
aktiv – in einem Internetforum schrieb: Wenn er über die Welt herrschen
würde, würde er „die Ungläubigen töten und nur die Muslime am Leben lasse…
die der Religion folgen“.
24 Aug 2017
## AUTOREN
Ralf Hutter
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