# taz.de -- Instrumentalkonzert: Jammern mit der Koffer-Kirche | |
> Der Kanadier Daniel Lanois war schon Sidekick von Brian Eno und Produzent | |
> von U2, Bob Dylan und Peter Gabriel. Ein Virtuose an der | |
> Pedal-Steel-Gitarre. | |
Bild: Ohne seine Totenkopfring beschwerten Finger klängen U2 nicht nach U2: Da… | |
HAMBURG taz | Daniel Lanois nennt sie liebevoll „meine kleine | |
Koffer-Kirche“. Ein beinahe ehrfürchtiger Ausdruck für ein besonderes | |
Saiteninstrument. Die jammernden Klänge der Pedal-Steel-Gitarre waren im | |
Country schon immer beliebt, später wurden sie von Pink-Floyd-Gitarrist | |
David Gilmour für die Verwendung im Rock-’n’-Roll-Kontext etabliert: im | |
düsteren Eröffnungsstück des Albums „Meddle“. 1971 war das. | |
Daniel Lanois, geboren 1951, verdiente sich zu diesem Zeitpunkt auf der | |
anderen Seite des Atlantiks bereits erste Sporen als Musikproduzent. Lanois | |
wuchs im ländlichen Ontario auf, begann im Alter von zehn Jahren Unterricht | |
im Slide-Gitarren-Spiel und baute zusammen mit seinem Bruder Bob ein erstes | |
Studio im Keller des Elternhauses. Seine ersten Kunden hießen Willie | |
Bennett und Martha and the Muffins. Es dauerte, bis die Klienten | |
prominenter wurden. | |
„Ich hatte kein Sozialleben“, erinnert sich Daniel Lanois an seine ersten | |
Jahre als Produzent in einem Interview für das kanadische Banff Centre. | |
„Ich war noch ein Teenager, schlief selten mehr als zwei Stunden am Stück. | |
Nie war es einfach ein Job für mich. Das sprach sich irgendwann herum.“ | |
Einer der ersten Aufträge, den er und sein Bruder bekommen hätten, sei die | |
Aufnahme eines Gospel-Quartetts gewesen. Mit Hunderten von Gospel-Gruppen | |
habe er dann in den folgenden Jahren zusammengearbeitet. „Alles, was ich | |
über Harmonie weiß, weiß ich von ihnen“, sagt Lanois. | |
Harmonie spielte auch eine entscheidende Rolle während der Zusammenarbeit | |
mit dem englischen Universalkünstler Brian Eno. Als sie 1979 erstmals für | |
das Album „On Land“ kollaborierten, war Eno bereits dabei, den Begriff | |
„Ambient“ für seine instrumentalen Elektronik-Kompositionen zu etablieren. | |
Der bescheidene Studiotechniker aus Kanada war der ideale Gegenpol für Enos | |
eklektischen Experimentier-Wahnsinn. Lanois sorgte für die Balance zwischen | |
frickeliger Avantgarde und Easy-Listening. | |
Von dem drei Jahre älteren Engländer übernahm Lanois die Idee des Studios | |
als Instrument: Jeder Teil der Produktion wurde zu einer essenziellen | |
Komponente des Gesamtwerks. Der Klangkosmos seines Lieblingsinstruments | |
sollte den Kanadier dabei stets begleiten: Auf „Apollo“ gleitet seine | |
Pedal-Steel-Gitarre wie schwerelos durch Enos entrückte | |
Ambient-Soundscapes. | |
1984 lernte Lanois durch Eno dann ein noch weitgehend unbekanntes irisches | |
Quartett namens U2 kennen. „The Unforgettable Fire“ bedeutete für die Band | |
den internationalen Durchbruch. Bis 2009 produzierte Lanois vier weitere | |
U2-Alben, die ihm einen Großteil seiner insgesamt elf Grammy Awards | |
einbringen sollten. Weitere Namen auf der Produktionsliste: Bob Dylan, | |
Peter Gabriel, Neil Young. Letzterer nannte sein experimentelles | |
Solo-E-Gitarren-Album aus dem Jahr 2010 als ironische Verbeugung vor seinem | |
Mitstreiter gar „Le Noise“. | |
Mittlerweile scheint Daniel Lanois des Produzentenjobs aber überdrüssig | |
geworden zu sein. Seit „Le Noise“ hat er nicht mehr mit bekannten Bands | |
gearbeitet. Mit dem Jazz-Schlagzeuger Brian Blade und der Sängerin Trixie | |
Whitley formierte er stattdessen die Band Black Dub, die sich einem schwer | |
groovenden Gebräu aus Soul, Blues und Rock widmet. | |
Und dann sind da noch die Soloprojekte. Ihre Zahl ist unüberschaubar, setzt | |
sich aus Soundtrack-Arbeiten, Box Sets und schwer Erhältlichem zusammen. | |
Fast immer sind die Songs instrumental, elektronisch verfremdet, bedienen | |
Genres von Post-Rock, Reggae, Shoegaze bis hin zu franko-kanadischem Folk. | |
Sein aktuelles Album „Goodbye to Language“ wiederum hat Lanois mit dem | |
kalifornischen Indie-Rocker Rocco Deluca an der Lap-Steel-Gitarre | |
eingespielt. Ein reines Steel-Gitarren-Album, auf dem es jammert und | |
wimmert – und das kein bisschen nach US-Mainstream-Country klingt. | |
„Während der Aufnahmen betraten wir Orte, an denen wir niemals waren“, | |
beschreibt Lanois die Experimente im Tonstudio. „Wir hörten bulgarische | |
Gesänge, sahen den Himalaya, auch Satie war da. Die Geister von Strawinsky | |
und Wagner winkten uns mit ihren Dirigentenstäben.“ Lanois jagte die | |
Gitarren durch etliche Effektgeräte und verwusch sie so bis zur | |
Unkenntlichkeit. Das Ergebnis klingt, als würde man Elvis-Songs in halber | |
Geschwindigkeit unter Wasser abspielen. | |
Wenn der feinsinnige kanadische Klangtüftler nun erstmals seit 2011 wieder | |
in Hamburg auftritt, darf man sich also auf spacig Zurückgelehntes bis | |
rabiat Groovendes einstellen. Ein zurückhaltender Typ wird sachte die | |
Saiten seiner Pedal Steel entlangfahren, mit Fingern, von massiven | |
Totenkopfringen beschwert. Kein Wunder, dass die Koffer-Kirche wimmert. | |
Daniel Lanois – „Goodbye to Language“: Mo, 14. August, 20 Uhr, im Rahmen | |
des Sommerfestivals auf Kampnagel | |
13 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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