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# taz.de -- Die Wahrheit: Liftboy mit Ehrensold
> Deutschlands fleißigster Geringverdiener: die vielen Nebenjobs des
> ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff.
Bild: Hotelgäste in Hannover beschreiben Christian Wulff als „sehr alert“
Groß ist die Aufregung über den glücklosen Altbundespräsidenten Christian
Wulff, der von einem Fettnäpfchen ins andere tappt: Obwohl er einen
jährlichen „Ehrensold“ in Höhe von 236.000 Euro bezieht, der ihn von dem
Zwang zu niederen Tätigkeiten befreien soll, ist er für die türkische
Modefirma Yargici aktiv geworden. Der Unmut, der sich quer durch alle
Parteien regt, dürfte noch wachsen, denn inzwischen hat sich
herausgestellt, dass Wulff einer weiteren Nebentätigkeit nachgeht: Seit
Mitte Juli springt er immer wieder mal als Liftboy im InterCity-Hotel
Hannover ein, wenn dort „Not am Mann“ ist.
Die Hotelgäste, die ihm begegnet sind, beschreiben ihn als „hilfsbereit“,
„zuvorkommend“ und „sehr alert“. „Er hat mir sogar mein Schminkköffe…
aufs Zimmer getragen“, sagt Waltraud B. (62), die oft in dem Hotel logiert.
„Ein ganz reizendes Kerlchen! Und die Uniform steht ihm wirklich gut!“ Der
Dauergast Phil Collins pflichtet ihr bei: „He’s so lovely, so sweet, so
cute – I can hardly describe it!“
Der Bahnchef Richard Lutz bestreitet, dass den unmittelbaren Vorgesetzten
die Identität des prominenten Liftboys bekannt gewesen sei. „Sie haben ihn
versehentlich unter dem Namen ‚Wulf Christian‘ eingestellt“, heißt es in
einer aktuellen Mitteilung der zuständigen Pressestelle. „Im Übrigen
verweisen wir jedoch darauf, dass Herr Wulff seine Arbeit stets
außerordentlich gewissenhaft verrichtet und uns in keinem einzigen Fall
Anlass zu Klagen gegeben hat. Auch unsere Gäste wissen seine Sachkenntnis
bei der Bedienung der Fahrstuhlknöpfe und sein tadelloses Erscheinungsbild
zu schätzen. Aus unserer Sicht besteht kein Grund dazu, das
Arbeitsverhältnis aufzulösen, zumal Herr Wulff nach unseren Informationen
auf dieses Zubrot angewiesen ist, um seine laufenden Ausgaben bestreiten zu
können.“
## Gerüchte über Grundstückkauf
Unbestätigten Gerüchten zufolge hat Christian Wulff sich beim Ankauf eines
zwanzig Quadratmeter großen Grundstücks in der Laubenpieperkolonie „Zur
grünen Bohne“ in Buchholz-Kleefeld in so hohe Schulden gestürzt, dass er
die Raten mit seinem Ehrensold nicht mehr tilgen kann. Doch anstatt den
Steuerzahler zur Kasse zu bitten, hat er zur Eigeninitiative gegriffen und
sich nach Nebenjobs umgesehen, die seinen Fähigkeiten entsprechen. Was soll
daran verkehrt sein?
Selbst ist der Mann! Nach dieser Devise, der wir das deutsche
Wirtschaftswunder zu verdanken haben, ist auch Christian Wulff jetzt
vorgegangen und hat sich neben den Jobs als Prokurist und Liftboy noch eine
weitere Einkunftsquelle erschlossen. Wie die Hannoversche Allgemeine
berichtet, versieht er bereits seit Ostern 2017 regelmäßig seinen Dienst
als Minigolfplatzwart in Isernhagen. „Er fegt die Bahnen, liest den Müll
auf, entfettet die Griffe der Schläger und ist sich auch nicht zu schade
dafür, durch die Rabatten zu krabbeln und nach Bällen zu suchen“, erklärt
Werner Allofs, der Sportdirektor des Minigolfclubs. „Ich finde das
vorbildlich. Punkt!“
Augenzeugen wollen Wulff auch dabei beobachtet haben, wie er im Raum
Herrenhausen in Tarnkleidung Postwurfsendungen der Supermärkte Netto, Lidl
und Edeka verteilte, und eine alte Dame im hannoverschen Pelikanviertel
schwört Stein und Bein, dass ihr die Pizza Tonno, die sie am 28. Juli 2017
bei einem Bringdienst in Eilenried-Nord bestellt habe, von niemand anderem
als Christian Wulff geliefert worden sei: „Der hat zwar ’nen Südwester
aufgehabt und sich den so über die Stirn gezogen, aber ich hab ihn gleich
erkannt! Ich bin doch nicht blind!“
## Ladendetektiv in Damenboutique
Außerdem soll Wulff als Aushilfe in einer Lotto-Toto-Annahmestelle in
Hannover-Kirchrode gesichtet worden sein, als Ladendetektiv in einer
Damenboutique in Garbsen und als Zuckerwatteverkäufer und
Schiffsschaukelbremser auf einem Rummelplatz in Bemerode. Mittlerweile
spricht die ganze Welt über seine weitgefächerten beruflichen Begabungen.
Das hat dazu geführt, dass ihm jetzt lukrative Angebote aus mehreren
Kontinenten ins Haus schneien: Ein Haarwuchsmittelfabrikant aus New Jersey
würde Wulff gern als Laufburschen anheuern, und eine Unternehmensgruppe aus
der kongolesischen Provinzhauptstadt Lubumbashi kann sich nach eigenen
Angaben „durchaus vorstellen“, ihn für umgerechnet zwei Euro in der Stunde
als Behindertenparkplatzanweiser zu beschäftigen. Wenn auch leider nur
schwarz. Bei guter Führung könne er sich im Laufe der Jahre vielleicht zum
Posten eines General Parking Lot Attendant hocharbeiten.
Von Wulff liegt noch keine Stellungnahme dazu vor. Insider gehen aber davon
aus, dass er über kurz oder lang „anbeißen“ wird. Weil er ein Abenteurer
ist. Ein Allrounder und ein Grenzgänger mit Ecken und Kanten. Als
Bundespräsident scheute er sich nicht, vor der Bild-Zeitung auf dem Bauche
zu rutschen, um die Würde seines Amtes zu wahren, und als Elder Statesman
wird er sicherlich auch auf einem Behindertenparkplatz in Lubumbashi bella
figura machen.
9 Aug 2017
## AUTOREN
Gerhard Henschel
## TAGS
Christian Wulff
Bundespräsident
Verschwundene Politiker
Biologie
Russland
Poesie
Russland
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