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# taz.de -- Aufklärung von Polizei-Gewalt: Ermittlungen gegen sich selbst
> Das Dezernat Interne Ermittlungen der Polizei ermittelt in 49 Fällen
> wegen Polizeigewalt beim G20-Gipfel. Betroffene können sich melden – nur
> macht das keiner
Bild: Wurde zuhauf dokumentiert, wird aber selten verfolgt: Polizeigewalt
HAMBURG taz | Das schlichte in Weiß und Grau gehaltene Dezernat für Interne
Ermittlungen passt nicht recht zur edlen Hausfassade und dem goldverzierten
Treppenhaus. Sobald im ersten Stock des Sprinkenhofs die Tür öffnet, gehen
vom langgezogenen Flur rechts und links die einzelnen Büros ab. Ein Beamter
kommt aus seinem Zimmer und fragt, wie er helfen könne. Jetzt, drei Wochen
nach dem G20-Gipfel, könnte man meinen, das Dezernat, dass bei Straftaten
und Fehlverhalten von Polizeibeamt*innen ermitteln soll, hätte alle Hände
voll zu tun. Stattdessen wird sich für alle Besucher*Innen Zeit genommen,
von Hektik keine Spur. „Wenn sie selbst Betroffener sind, können sie direkt
mitkommen und wir nehmen ihre Anzeige auf“, bietet ein Beamter an.
Rund 50 Polizeibeamt*innen sind hier für die Ermittlungen gegen ihre
eigenen Kolleg*innen zuständig. 49 Fälle liegen ihnen aktuell vor, die mit
den G20-Protesten zu tun haben. In 41 Fällen lautet der Vorwurf
Körperverletzung im Amt, in den anderen Nötigung, sexuelle Belästigung,
Beleidigung und Verletzung des Dienstgeheimnisses. Neben den zahlreichen
Videos im Internet, die gewalttätige Übergriffe von Polizist*innen auf
Demonstrant*innen dokumentieren, arbeitet das Dezernat mit dem
polizeieigenen Video- und Funkmaterial und mit Hinweisen aus der
Bevölkerung. Theoretisch kann und soll vor allem jede*r, der Polizeigewalt
erlebt hat, hierherkommen und Anzeige erstatten. Aber niemand macht das.
Es kommt fast nie vor, dass sich die Opfer von Polizeigewalt an die Behörde
wenden, bestätigte eine Sprecherin der Innenbehörde. In 40 Prozent der
angezeigten Fälle ist die Identität des Opfers unbekannt. In den restlichen
60 Prozent hat nicht das Opfer Anzeige erstattet, sondern ein*e
Beobachter*in. Selbst linke Anwält*innen raten Betroffenen von
Polizeigewalt von einer Anzeige gegen die Polizei ab. In den allerwenigsten
Fällen werden die Polizist*innen am Ende belangt, in fast jedem Fall
kassiert das Opfer eine Gegenanzeige.
Deutschland steht im internationalen Vergleich in Sachen Verfolgung von
Polizeigewalt schlecht da. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen
kritisierte Deutschland 2013 für die mangelhafte Aufklärung von
Polizeiverbrechen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International
fordert schon seit Jahren, dass unabhängige Ermittlungsstellen
polizeiinterne ersetzen.
In Hamburg gab es etwas vergleichbares schon mal. Nach den Anfang der
1990er-Jahre als „Hamburger Polizeiskandal“ bekannt gewordenen Vorwürfen
über systematische Polizeigewalt richtete der rot-grüne Senat eine
spezielle Kommission aus unabhängigen Expert*innen wie Rechtsanwält*innen,
Soziolog*innen und Kriminolog*innen ein. Sie sollte interne
Fehlentwicklungen aufdecken und der Politik darüber Bericht erstatten. Das
war bundesweit ein Novum.
Als jedoch der Rechtspopulist Ronald Schill 2001 zweiter Bürgermeister und
Innensenator wurde, war die Abschaffung dieser Kommission eine seiner
ersten Amtshandlungen: Von einem „Misstrauensinstrument gegenüber der
Polizei“ sprach Schill damals. Seitdem sind es wieder nur Polizist*innen,
die gegen Kolleg*innen ermitteln sollen. Die Innenbehörde will die
Unabhängigkeit des Dezernats für Interne Ermittlungenunterstreichen.
Deshalb hat sie es in eigene Räume verlegt. Auch die Beamt*innen des
Dezernats betonen, dass sie nicht dem Polizeipräsidenten, sondern der
Innenbehörde unterstellt sind. Allerdings sitzt die Innenbehörde im selben
Gebäudekomplex. Von den Fenstern des Dezernats kann man hinüberschauen.
Auch die Beamt*innen im Flur des Dezernats sagen: „Wir sind in erster Linie
Kriminalpolizisten.“
Im Norden ist bisher erst Bremen dabei, das Problem anzugehen. Der
rot-grüne Senat einigte sich in seinem Koalitionsvertrag 2015 darauf, dass
das Dezernat für Interne Ermittlungen künftig nicht mehr der Innenbehörde,
sondern dem Justizsenator unterstellt werden soll. „Die Ermittler im
Justizressort unterzubringen, ist die einzige Möglichkeit sicherzustellen,
dass gewisse Verbindungen und Korpsgeist unterbunden werden“, begründete
der Senat. Niedersachsen und Schleswig-Holstein sehen wie Hamburg keine
Probleme.
28 Jul 2017
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
André Zuschlag
## TAGS
Schwerpunkt G20 in Hamburg
G20-Gipfel
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Ermittlungen
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Polizei Berlin
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