# taz.de -- Ex-FN-Politikerin liebt einen Flüchtling: Liebe ohne Grenzen | |
> Béactrice Huret war einst Kandidatin für den Front National. Nun entging | |
> sie einer Strafe wegen Schlepperei, weil sie einen Flüchtling liebt. | |
Bild: Half ihrem Geliebten übers Meer nach Großbritannien: Beatrice Huret | |
Paris taz | Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, Liebe aber doch. Das | |
nordfranzösische Strafgericht in Boulogne-sur-mer hat am Dienstag die | |
44-jährige Béatrice Huret für schuldig befunden, Flüchtlingen bei der | |
illegalen Überfahrt nach Großbritannien geholfen zu haben. Angesichts der | |
besonderen Umstände aber sprach das Gericht keine Strafe gegen sie aus, | |
obwohl auf bandenmäßige Schlepperei bis zu zehn Jahre Haft stehen. | |
Die Milde der Richter erklärt sich nicht allein mit ihren humanitären | |
Absichten, sondern mit ihrer Liebe für den 35-jährigen Iraner Mokhtar. | |
Begonnen hatte die Geschichte im März 2016 im „Dschungel“ von Calais. Aus | |
Protest gegen die Bulldozer, die auf Anweisung der Behörden den südlichen | |
Teil des Camps aus Hütten und Zelten niederwalzten, hatten sich mehrere | |
Flüchtlinge die Lippen zugenäht. Unter den schockierten Augenzeugen befand | |
sich die seit 2010 verwitwete Béactrice Huret. Sie war seit einiger Zeit | |
als humanitäre Helferin im Lager tätig. Noch heute erinnert sie sich daran, | |
wie einer der stumm protestierenden Iraner sie mit seinen unbeschreiblich | |
sanften Augen „wie magnetisch“ angezogen habe. Es war Liebe auf den ersten | |
Blick, schreibt sie in ihrem Buch „Calais mon amour“. | |
Und wie die Zufälle so spielen: Zwei Monate später wurde sie von einem | |
Bekannten gefragt, ob sie zwei oder drei obdachlose Flüchtlinge beherbergen | |
könne. Sie war freudig überrascht, als unter den drei, die sie in ihrem | |
Haus in der Nähe von Calais aufnahm, eben jener Mokhtar war. Zwischen ihnen | |
begann eine echte Liebesgeschichte, die bis heute andauert. Dennoch wollte | |
und konnte der aus dem Iran geflüchtete ehemalige Lehrer nicht in | |
Frankreich bleiben, sondern nach Großbritannien weiterreisen. | |
Er wollte mit einem kleinen Gummiboot unbemerkt den Ärmelkanal überqueren, | |
um kriminellen Schleppern nicht mehrere Tausend Euro für einen Platz in | |
einem Laster zu bezahlen. Béatrice wusste, wie gefährlich diese sehr dicht | |
von riesigen Containerschiffen und Tankern befahrene Wasserstraße ist, sie | |
wollte ihn darum von diesem Vorhaben abbringen. Vergeblich. | |
Zuletzt kaufte sie zusammen mit einer anderen Helferin für 1.000 Euro einen | |
kleinen Kutter mit einer Kabine. Wenige Tage später bestieg Mokhtar | |
zusammen mit zwei Freunden um vier Uhr früh an einem abgelegenen Strand den | |
„Seelenverkäufer“. Um bei einer eventuellen Kontrolle einer Patrouille | |
nicht aufzufallen, hatten die drei Iraner Angelruten mitgebracht, um wie | |
morgendliche Fischer auszusehen. | |
## Von der Propaganda zur Realität | |
Die beiden Frauen winkten voller Bange zum Abschied. „Ich habe geheult wie | |
noch nie zuvor. Ich dachte, ich hätte ihn zu seinem Grab begleitet, und das | |
Boot, das ich ihm beschafft hatte, würde sein Sarg“, schreibt sie über | |
diese Szene. Die Furcht war begründet, denn schon bald zeigte sich, dass | |
der nicht wirklich seetüchtige Kutter leck war. Es war eine Frage der Zeit, | |
bis er sinken würde. Am Nachmittag wurde das in Seenot geratene Gefährt | |
gerade noch rechtzeitig von der britischen Küstenwache entdeckt und die | |
drei Passagiere gerettet. Mokhtar erhielt politisches Asyl und Béatrice | |
besucht ihn seither regelmäßig. | |
Ohne die Gnade der französischen Richter wäre aber das Happy End nur halb | |
so schön gewesen. Auch die Vorgeschichte von Béactrice Huret verdient es, | |
erwähnt zu werden. Ihr 2010 verstorbener Gatte war Hauptmann der | |
Grenzschutzpolizei gewesen und ein eifriger Anhänger des rechtsextremen | |
Front National (FN) gewesen. Weil er das wollte, ließ sie sich 2008 bei | |
Kommunalwahlen vom FN als Kandidatin in Boulogne aufstellen, ohne sich | |
viele Gedanken zu machen. | |
Von den Immigranten und den Flüchtlingen habe sie damals nur gewusst, was | |
der FN in seiner Propaganda sagte. Die Realität entdeckte sie zufällig | |
lange nach dem Tod ihres Manns. 2015 nahm sie einen Autostopper mit, es war | |
ein junger Sudanese, der ihr das Flüchtlingslager im Osten von Calais | |
zeigte. Es sei für sie „ein Schock gewesen, all diese Menschen im Dreck | |
waten zu sehen“. | |
Die rassistische FN-Sympathisantin verwandelte sich in eine engagierte | |
Helferin. „Ich bereue gar nichts“, meint sie dazu. Nur ein Mal wurde sie an | |
ihr früheres Leben erinnert, als sie nämlich im August 2016 von der Polizei | |
verhaftet in das Kommissariat gebracht wurde, wo ihr Mann gearbeitet hatte. | |
29 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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