| # taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Macrons Zauberformel | |
| > Ist es seine Begeisterungsfähigkeit, sein Charisma? Macron hat beides, | |
| > entscheidend ist aber etwas anderes. Es ist, was er beim Einzelnen | |
| > auslöst. | |
| Bild: „Den Einzelnen in der Massengesellschaft vorkommen lassen“ – Macron… | |
| Die politische Landschaft Frankreichs ist völlig neu strukturiert: Der alte | |
| Gegensatz, Sozialdemokratie versus Konservative, wurde durch einen neuen | |
| Gegensatz abgelöst. Einen, der besser zu den heutigen Verhältnissen zu | |
| passen scheint. | |
| Im Parlament sind Macrons Hauptgegner nun Marine Le Pen und Jean-Luc | |
| Mélenchon. Es geht also nicht mehr um links gegen rechts. Die neue | |
| Demarkationslinie verläuft eher zwischen Konsens und Konflikt. Denn die | |
| wesentliche Opposition bilden nunmehr politische Kräfte, die Politik als | |
| Kampfplatz sehen, auf dem Gegner gegeneinander antreten. Ihr Diskurs ist | |
| die Kampfrhetorik. | |
| Macron hingegen hält beiden Offensiven sein Konzept des Konsenses, des | |
| Gemeinsamen – kann man sagen: entgegen? Kann man den Konsens gegen den | |
| Konflikt in Stellung bringen? Ist das noch Konsens, Wohlwollen, wie Macron | |
| es nennt? | |
| In jedem Fall aber werden andere Emotionen geweckt. Die Opposition braucht | |
| und mobilisiert „negative“ politische Leidenschaften für den politischen | |
| Kampf. Macrons Bewegung und nunmehrige Partei hingegen bedarf „positiver“ | |
| Leidenschaften, Emotionen, die eben nicht auf den Gegner, sondern auf das | |
| Gemeinsame gerichtet sind – Begeisterung also. Begeisterung, das ist jene | |
| politische Leidenschaft, jenes politische Gold, nach dem heute alle suchen. | |
| Woher aber rührt die Begeisterung, die Macron weckt? | |
| Es ist nicht einfach nur das Charisma des Shootingstars. Es ist auch das | |
| neue politische Modell, die neue Form, die er angeboten hat. Denn diese ist | |
| es, welche das politische Bedürfnis, das politische Begehren heutiger | |
| Bürger trifft. | |
| ## Der Wunsch, gehört zu werden | |
| Das, was Menschen heute politisch bewegt, berührt, antreibt, ist ein Hunger | |
| nach Partizipation. Aber diese Partizipation ist nicht so sehr Teilhabe an | |
| Entscheidungen. Es ist vielmehr der Wunsch, gehört zu werden, gemeint zu | |
| sein, vorzukommen. Kurz gesagt – es ist der Wunsch nach Anerkennung. | |
| Diese Anerkennung ist aber nicht die alte Anerkennung als Teil einer | |
| Gruppe, als Teil einer Klasse, als Teil einer Partei. Es ist vielmehr der | |
| Wunsch, als Einzelner anerkannt zu werden. Der Hunger nach Partizipation | |
| ist also der Hunger als Einzelner, in seiner Besonderheit erkannt zu | |
| werden. | |
| Das entspricht ja auch der Lebensform. Wir alle müssen heute unser Leben | |
| als Einzelne meistern. So möchten wir auch im Politischen als Einzelne | |
| anerkannt werden. Das mag verrückt sein in einer Massendemokratie, aber es | |
| scheint das grundlegende politische Bedürfnis der Gegenwart zu sein. | |
| Und genau das bot Macron – nicht mit seinen Großauftritten, sondern mit den | |
| vielen kleinen Treffen überall im Land. Bürgerversammlungen im wahrsten | |
| Sinne: Das Zusammentreffen von Bürgern – nicht um der Rede eines Tribuns zu | |
| folgen, sondern um die Leute vor Ort zu Wort kommen zu lassen. | |
| ## Der konkrete Einzelne | |
| Diese Versammlungen sind also Orte, wo die Einzelnen gehört werden – Orte, | |
| die in klassischen Parteien in der Art nicht vorgesehen sind. Anders als in | |
| Bezirksgruppen oder Parteisektionen treffen sich da nicht Parteigenossen, | |
| um sich als Gleiche zu bestätigen. Hier treffen sich vielmehr ganz | |
| verschiedene Einzelne. | |
| Hier können die Leute vorkommen – mit ihren Lebensgeschichten, mit ihren | |
| Problemen. Ohne in Kategorien, Gruppen, Identitätsenklaven eingesperrt zu | |
| werden. Sie müssen sich nicht verändern, sie müssen nicht Gleiche werden. | |
| Denn es sind Foren, die keine Gruppenidentität vorgeben – weder als | |
| Nation noch als Klasse. | |
| Macrons Zauberformel lautet also, den Einzelnen in der Massengesellschaft | |
| vorkommen zu lassen. Das ist es, was Begeisterung weckt. Es ist dies aber | |
| nicht der Einzelne des alten Liberalismus, der private Einzelne. Es ist | |
| auch nicht der Einzelne des alten Republikanismus, der Citoyen als | |
| Gleicher. Es ist vielmehr der jeweilige, konkrete Einzelne als neue | |
| öffentliche Sache – der Einzelne als res publica. Individualismus wird hier | |
| zur neuen Grundlage des Gemeinsamen. Und so, gemeinsam, ensemble, setzen | |
| sich diese verschiedenen Einzelnen en marche. | |
| 27 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
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