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# taz.de -- Großbrand in London: Das Inferno von Grenfell Tower
> Der Hochhausbrand fordert viele Opfer – und wirft Fragen über die
> Qualität der Sozialbausanierungen in einer reichen Metropole auf.
Bild: Der Brand in dem Londoner Hochhaus könnte es zum Einsturz bringen
London taz | „Es war dieses orange Zeug, ich schwöre es, dieses orange Zeug
am Rand des Hauses! Das war der Auslöser!“, sagt eine Frau vor dem Eingang
einer Wohnsiedlung. Das 24-stöckige Hochhaus in unmittelbarer Nähe qualmt
immer noch. Es riecht nach verbranntem Plastik. Einige Personen tragen
Mundschutz. Auf dem Straßenbelag sieht man überall schwarze Klumpen. Wer
sie aufhebt, fühlt ein schwammiges Material.
Grenfell Tower, ein Sozialbau der Wohnsiedlung Lancaster West im Londoner
Stadtteil North Kensington, ist nach fast zwölf Stunden Feuer ausgebrannt
und schwarz. Aus einigen Etagen lodern mittags immer noch Flammen. Obwohl
die Feuerwehr innerhalb von sechs Minuten anrückte, waren die über 200
Feuerwehrleute nicht in der Lage, den Brand schnell zu löschen, der am
Mittwoch gegen 1 Uhr früh ausbrach.
„Ich hörte Menschen schreien“, erzählt Simone Bynoe, die in einem Wohnbau
auf der Südseite des Towers wohnt. Die 42-Jährige reibt sich die Augen. Sie
hat seit 2 Uhr früh nicht geschlafen. Ihr 11-jähriger Sohn hat wegen des
Feuers schulfrei. „Wir sahen das brennende Haus aus seinem Schlafzimmer.“
Im ersten Stock des benachbarten Wohnblocks Bramley House aus den 1930er
Jahren blickt ein Mittdreißiger gebannt von seinem Balkon auf das brennende
Hochhaus und läuft unruhig hin und her. „Ich kenne da jemanden, er ist
nicht mehr unter uns. Ich stehe hier seit 1 Uhr in der Früh“, verrät er,
bevor er sich schluchzend die Hände vor die Augen hält. Unter ihm
versammeln sich Schaulustige und machen Handyfotos.
## Ein Unglück beispiellosen Ausmaßes
Es gibt nicht nur Schaulustige. Als die Morgennachrichten von dem Feuer
berichteten, machten sich viele Londoner aus der ganzen Stadt auf den Weg
und trugen Lebensmittel und Kleidung in die als Notstationen
umfunktionierten Kirchen und Gemeindezentren, wo sich einige der geretteten
Bewohner befinden. Menschen wie Sarah Abdullah, 39, sie schleppt einen Sack
Kleider, oder der 20-jährige Dermot aus Putney, der einen Einkaufswagen
voller Wasserflaschen gebracht hat. „Ich wollte tun, was ich kann“, sagt
er. Victoria Cebotar, 24, Managerin des Coop-Supermarkts vor Ort,
berichtet, sie hätte den ganzen Morgen umsonst Lebensmittel an die
Notzentren liefern lassen und einen Lkw mit weiteren Lebensmittel
angefordert.
Laut Dany Cotton, Kommissarin der Londoner Feuerwehr, war dies ein Unglück
beispiellosen Ausmaßes. Die Polizei bestätigte, dass mindestens zwölf
Bewohner des Hauses mit 120 Wohnungen starben. Es wird damit gerechnet,
dass die Zahl der Toten noch steigen wird. Laut der Bezirksverwaltung
Kensington & Chelsea sollen die meisten Wohnungen zum Zeitpunkt des Brandes
bewohnt gewesen sein. 74 Personen befinden sich in Krankenhäusern, 20 davon
in kritischem Zustand. Die meisten leiden an Rauchgasvergiftungen
Einige Anwohner berichten, Personen gesehen zu haben, die aus dem
brennenden Haus sprangen. Eine Mutter warf laut der Schilderung einer
Augenzeugin ein Baby aus dem neunten Stock, das dann von einem Mann
aufgefangen wurde. Die Feuerwehr hatte angeblich keine Sprungtücher im
Einsatz. Auch auf dem Dach des brennenden Hochhauses hätten Menschen
gestanden, andere hätten aus den Fenstern mit Taschenlampen oder Handys
ihre Not signalisiert, wird erzählt.
Die Rettungsdienste versuchen immer noch zu klären, welche Bewohner fehlen.
Laut Brandschutzbestimmungen sollten Bewohner des Hochhauses bei einem
Brand im Gebäude bleiben und auf die Feuerwehr warten. Doch wer sich in
diesem Fall daran hielt, saß in der Falle.
## Eine der reichsten Gemeinden Großbritanniens
Kensington & Chelsea ist die reichste Gemeinde Großbritanniens, mit vielen
Millionären, aber auch armen Sozialsiedlungen. Bei den Wahlen vor einer
Woche gewann überraschend Labour den Wahlkreis Kensington. Die neue
Abgeordnete Emma Dent, bisher Gemeinderätin und Mitglied von Londons
Feuerschutzkommission, sagte, es habe in den letzten Jahren mehrfach
Bedenken wegen des Brandschutzes in diesen Hochhäusern gegeben.
Ein Anwohner erzählt, dass man das 1974 gebaute Hochhaus eigentlich vor
einigen Jahren abreißen wollte, um mehr Platz für das neue Sportzentrum zu
machen, aber die Bewohner wollten das nicht. So wurde Grenfell Tower, ein
Sozialwohnungsbau in North Kensington, mit 10 Millionen Pfund renoviert.
„Alles kosmetisch“, schimpft ein Mann. Die Rede ist von der Außenfassade
des Hochhauses, an der das Feuer in der Nacht aus den Unteretagen schnell
nach oben kletterte. Laut Baubestimmungen sollten alle Materialien einem
Feuer mindestens eine Stunde lang standhalten. Doch am Mittwochmorgen gegen
1 Uhr brannte das Hochhaus in sehr kurzer Zeit lichterloh bis hoch zum
Dach.
Der Dekorateur Damian Rea, 56, der im 13. Stock in einem anderen Hochhaus,
Morlands House, zehn Minuten entfernt lebt, sorgt sich. „Ich fühle mich
unsicher“, sagt er. „Wer weiß, was die für Materialien bei der Renovierung
benutzen.“ Vor 25 Jahren entkam er selbst einem Feuer hier, als zwei
Stockwerke tiefer eine Wohnung brannte. „Es war Sommer, und wir hatten die
Klappfenster auf. Der Rauch stieg direkt in meine Wohnung. Ich hatte Glück,
weil ich nicht auf einem Bett schlief, sondern auf einer Matratze auf dem
Boden, und unter dem Rauch lag.“ Auch dieses Hochhaus wurde vor einigen
Jahren renoviert.
14 Jun 2017
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
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