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# taz.de -- Entwicklung und Innovation in der EU: Forschung à la „Champions …
> Der Europäische Forschungsrat gibt seit zehn Jahren innovativen
> Wissenschaftlern eine Chance. Besonders der Nachwuchs soll davon
> profitieren.
Bild: Ohne ERC-Förderung bleibt so mancher Blick durch's Mikroskop trübe
Europa? Geht doch! Jedenfalls in der Forschungspolitik. Wenn überall der
politische Europa-Blues angestimmt wird, waren in dieser Woche in Berlin
andere Töne zu hören. Wissenschaftler und Politiker sangen ein Loblied auf
den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC), der vor
zehn Jahren ins Leben gerufen wurde. Aus Anlass der Vergabe des 1.000.
ERC-Förderprojekts nach Deutschland hatte das Bundesforschungsministerium
zu einer Bilanzkonferenz eingeladen.
Die Forschungsförderung der EU-Kommission, gebündelt im sechsjährigen
Rahmenprogramm „Horizon 2020“ (Budget 2014 bis 2020: rund 80 Milliarden
Euro), hat erkennbar dirigistische Züge. Vor allem die
anwendungsorientierte Forschung soll gestärkt werden, um über Innovationen
mehr Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Eine „Insel“ der
Grundlagenforschung innerhalb der EU-Forschung sind hingegen die
Förderprojekte des ERC, deren Finanzvolumen sich auf 13 Milliarden Euro
beläuft und mit 17 Prozent den größten Einzelposten des
Horizon-2020-Kuchens ausmacht.
Die Besonderheit: Die Gelder werden nicht von der EU-Bürokratie vergeben,
sondern ausschließlich von Wissenschaftlern unter Anlegung von Wettbewerbs-
und Prüfkriterien, wie sie in Deutschland etwa bei der Bewilligung von
Projektmitteln durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) üblich sind.
Tatsächlich wurde der ERC vor zehn Jahren nach dem Vorbild der DFG
gegründet, die in Deutschland die meisten Fördergelder für die
Grundlagenforschung in den Hochschulen verteilt. Erster Generalsekretär des
ERC wurde 2007 konsequenterweise Ernst-Ludwig Winnacker, der vormalige
Präsident der DFG.
„Mit dem Europäischen Forschungsrat sollte eine ‚Champions League‘ der
europäischen Forschung etabliert werden“, rief Bundesforschungsministerin
Johanna Wanka bei der Jubiläumskonferenz in Erinnerung. Dies sei auch
gelungen, bestätigte die österreichische Sozialwissenschaftlerin Helga
Nowotny, die später als ERC-Präsidentin amtierte. „Wir wollten mit unseren
Stipendien vor allem jungen Forschern eine Chance geben, die sie sonst
nirgends bekommen haben“, berichtete Nowotny. Schon im ersten Jahr gingen
9.000 Anträge ein, die das kleine ERC-Büro kaum bewältigen konnte.
Viele Forschungsprojekte, die in den etablierten Förderstrukturen ihrer
Heimatländer durch den Rost gefallen wären, erhielten so eine Chance zur
Realisierung. So geht die Erforschung des Kohlenstoffs Graphen, der als
einer der wichtigsten Zukunftswerkstoffe gilt, auf eine ERC-Förderung
zurück. Auch die Entdeckung von erdähnlichen Planeten in anderen
Sonnensystemen oder die Entwicklung eines Nano-Impfstoffs gegen Krebs
bekamen mit dem Brüsseler Geld den entscheidenden Anstoß.
## „So kann ich mich voll auf die Forschung konzentrieren“
Die Chemikerin Annika Jahnke vom Helmholtz-Umweltforschungszentrum Leipzig
(UFZ) holte die 1.000. ERC-Förderung („Grant“) nach Deutschland: Rund 1,5
Millionen Euro stehen ihr seit diesem Mai für die kommenden fünf Jahre zur
Verfügung. Damit will sie ein neues Verfahren zur Risikobewertung von
Mischungen von Umweltschadstoffen entwickeln, ein sogenanntes Chemometer.
Es soll, so wie ein Thermometer die Temperatur misst, Auskunft über die
chemische Aktivität von Stoffmischungen geben. „Mit dieser Ausstattung kann
ich mich voll auf die Forschung konzentrieren und auch in unbekannte
Bereiche vordringen“, stellte Annika Jahnke ihren Untersuchungsansatz vor.
Das ständige Hangeln nach kurz befristeten Projekten, in denen das Ergebnis
am besten schon in der Antragstellung enthalten sein soll, hat nun für fünf
Jahre Pause.
Insgesamt wurden seit 2007 mehr als 6.000 ERC-Grants an europäische
Wissenschaftler vergeben. Es gibt drei Förderklassen: Starting,
Consolidator und Advanced Grants mit Fördersummen von 1,5 bis 3,5 Millionen
Euro für maximal fünf Jahre. Das Geld geht meistens in die Anstellung von
wissenschaftlichen Mitarbeitern zur Bildung von Arbeitsgruppen, teils aber
auch in die Anschaffung von Hardware und Materialien. Auf diese Weise sind
bisher 1,8 Milliarden Euro nach Deutschland geflossen.
Die meisten ERC-Grants wurden bislang nach Großbritannien (1.530) vergeben.
Nach Deutschland (inzwischen sind zu den 1.000 weitere 81 Projekte
dazugekommen: 1.081) auf Platz 2 folgen Frankreich (912) und die
Niederlande (612). In Deutschland gingen die meisten Projekte an Institute
der Max-Planck-Gesellschaft (190), gefolgt von der Uni München (67) und der
TU München (46). Natürlich ist auch beim ERC auch noch nicht alles Gold.
Die größte Ungewissheit birgt die Auswirkung des britischen EU-Austritts.
„Welche Wirkungen der Brexit für uns haben wird, lässt sich noch nicht
abschätzen“, gab der amtierende Präsident des ERC, der Franzose Jean-Pierre
Bourguignon, bei der Berliner Veranstaltung zu.
## Wenig Geld für Geisteswissenschaften und Frauen
„Das ist ein ganz großes Fragezeichen“, sagte der ERC-Chef. Die Hälfte
aller ERC-Projektleiter in Großbritannien kommen aus anderen Ländern. Die
britische Premierministerin Theresa May äußerte bereits, dass bei
Beschränkung der Freizügigkeit für Wissenschaftler Ausnahmen gelten sollen.
Ein weiteres Manko ist der unterdurchschnittliche Anteil der Geistes- und
Sozialwissenschaften an den ERC-Projekten. „Hier sind noch Möglichkeiten
nach oben“, merkte Forschungsminsterin Wanka kritisch an. „Auch der
Frauenanteil könnte besser sein.“ Derzeit werden 21 Prozent der deutschen
ERC-Projekte von Forscherinnen geführt.
Ein wichtiger Nebenaspekt, der anfangs gar nicht intendiert war, inzwischen
aber zum Markenzeichen des ERC geworden ist, besteht in seiner
Vergleichbarkeit. Da alle Bewerbungsprojekte nach dem gleichen „Wertekanon
der europäischen Wissenschaft“ gemessen werden – die Bundeskanzlerin Angela
Merkel in einer Videobotschaft mit den Werten „Internationalität, Exzellenz
und wissenschaftliche Unabhängigkeit“ definierte –, ist die Einwerbung von
ERC-Projekten zum einheitlichen Qualitätsmaßstab für Wissenschaft in Europa
geworden. Wer wissen will, wie gut eine Universität in Schweden oder ein
Institut in Frankreich ist, fragt zuerst nach der Zahl der ERC-Projekte,
die in den letzten Jahren eingeworben wurden.
Wird sich der Europäische Forschungsrat in den nächsten zehn Jahren
verändern? Die finanzielle Ausstattung sieht ERC-Präsident Bourguignon auch
mit dem nächsten Forschungsrahmenprogramm ab 2020 als gesichert an.
Allerdings ist EU-Forschungskommissar Carlos Moedas eifrig dabei, den ERC
um ein „Geschwisterchen“ zu bereichern: den Europäischen Innovationsrat
(EIC), den er noch in seiner Amtszeit etablieren will. Im Februar wurde
eine „Highlevel Group Innovation“ installiert, die weitere Schritte
erarbeiten soll. Ob es unter Umständen auch zur Umleitung von Finanzmitteln
vom ERC zum EIC kommen wird, steht noch nicht fest. Ministerin Wanka als
deutsche Hüterin des ERC gab einstweilen die Devise aus: „Für uns ist der
Innovationsrat keine Konkurrenz.“
25 Jun 2017
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Wissenschaft
EU
Johanna Wanka
Universität
DFG
Forschungsförderung
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