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# taz.de -- Nachruf Martin Rooney: Der geächtete Tote
> Scherzkeks und ernster Forscher: Martin Rooney hat die Wahrnehmung des
> Völkermords an den Armeniern ermöglicht.
Bild: Vergangene Woche verstorben: Martin Rooney
Bremen taz | Seine 15 Minuten Ruhm hatte Martin Rooney 2006 mit seinem ganz
persönlichen Sommermärchen: Der Literaturwissenschaftler erzählte damals
der ARD und anschließend der restlichen fußballbesoffenen deutschen
Medienlandschaft, dem Spiegel, Radio Bremen, der Hamburger Morgenpost und
den Bremer Zeitungsredaktionen, der taz.nord inklusive, er wäre der Onkel
des Fußballers Wayne Rooney. Und zwar „der Bruder seiner Mutter“. Und die
Verwandtschaft sei leicht zu erkennen, schließlich heiße ja auch er wie der
Starstürmer, der sich bei der WM in Deutschland gerade ein Bein gebrochen
hatte.
Ein offenbar schlagender Beweis für Sportjournalisten, der weitere
Recherche überflüssig machte, bis dann die englische Presse Mutter, Oma und
weitere verbürgte Verwandte des Sportlers befragte. Die erklärten das Ganze
recht derb für „absolute bollocks“, absolute Hoden. „The Rooney who won …
hearts of Germans is a hoaxer“, konstatierte am 1. Juli 2006 die Times. Ein
Scherzkeks.
Was in der Times steht, das stimmt: Martin Rooney hat sich köstlich
amüsiert über diesen Spaß, auch Jahre später noch. Und so falsch es wäre,
ihn darauf zu reduzieren, so falsch wäre es, diesen fröhlich-spleenigen
Moment aus seiner Vita zu tilgen. Rooney war ein ernsthafter Forscher.
Zugleich war er fast schon kindlich begeisterungsfähig für alles, was
Fußball anging, insbesondere für die bremisch-britische Torwartlegende Bert
Trautmann. Er war ebenso ein exzentrischer Witzbold und Mythomane. Und er
war ein streitbarer Geist, der mit Erbitterung auf seine Feinde eindreschen
konnte, und dabei, wie jeder gute Polemiker, auch mal übers Ziel
hinausschoss. All das sind Gründe, ihm nachzutrauern: denn Martin Rooney
ist vor einer knappen Woche gestorben.
## Heine, Lessing und der „Kicker“
Von sich selbst hatte er immer wieder behauptet, Deutsch durch die Lektüre
von Heinrich Heine, Gotthold Ephraim Lessing und Kicker gelernt zu haben.
Er stammte, seinen eigenen Angaben nach, aus Manchester. Zu seiner
imaginären Verwandtschaft zählte er auch den 1943 gestorbenen Sergeant
Raymond Rooney: „Mein Vater hat die Lancaster-Bombe gebaut, die bekanntlich
die deutschen Städte pulverisiert hat“, erzählte er der Jungle World, die
das begeistert aufschrieb, obwohl Martin Rooney Jahrgang 1948 war.
Er soll einen Sohn haben. Er war geschieden. Ziemlich sicher ist er 1973
nach Deutschland übergesiedelt. Und fest steht, dass er 1982 an der Bremer
Uni promoviert wurde: Seine Dissertation war ein Meilenstein sowohl für die
historische Forschung zum Genozid an den Armeniern 1916 als auch für die
literaturwissenschaftliche Einordnung des damals völlig vergessenen
Schriftstellers Armin T. Wegner: ein planmäßiges, ein von den Nazis
erfolgreich in Gang gesetzes, aktives Vergessen.
Rooney hatte den Mann, der damals noch in Rom lebte, Mitte der 1970er-Jahre
aufgespürt, besucht und seine bewegende Lebensgeschichte rekonstruiert.
Denn Wegner hatte als Sanitäter im Ersten Weltkrieg die planmäßige
Ausrottung der Armenier durch deutsche und türkische Truppen miterlebt.
Vergeblich hatte er versucht, politisch zu intervenieren. „Trotz strengen
Verbots“, so schreibt Rooney, habe sich Wegner „in die armenischen
Flüchtlingslager“ begeben. Er „machte Hunderte und aber Hunderte
photographischer Aufnahmen vom Genozid, schmuggelte Briefe der Verfolgten
zur amerikanischen Botschaft und schrieb detailliert auf, wie Armenier zu
Tode kamen“. Seine „unerwünschte Anteilnahme an dem Ausrottungsfeldzug des
Bündnispartners Türkei, seine Versuche in Berlin, die deutsche
Öffentlichkeit aufzuklären […,] machten ihm das Leben an der Front in der
Türkei schwer“.
Zwar konnte der Pazifist in der Weimarer Republik als Rundfunkautor
Karriere machen, verheiratet mit der Dichterin Lola Landau, unmittelbar
nach der Machtübernahme Hitlers wird Wegner aber bereits als
„Kulturbolschewist“ diffamiert. Als er im April 1933 in einem offenen Brief
an den Reichskanzler energisch wie kein zweiter gegen die Judenverfolgung
protestiert, wird er umgehend verhaftet. Er durchläuft sieben Gefängnisse,
drei Konzentrationslager, flieht nach Positano. Diesem „Querdenker und
Aufklärer, der dank seiner Vorahnungen und Weitsicht der eigenen Epoche
weit voraus gewesen ist“, hatte sich Rooney verpflichtet gefühlt.
## Problematische Friedensfreunde
Umso schmerzlicher war, wie ihn einst die Bremer Kultur- und
Friedensfreunde behandelt hatten: Der Villa-Ichon-Verein hatte Rooney für
sein Ringen um die Anerkennung des Genozids an den Armeniern mit seinem
Preis zunächst ehren wollen. Was sie nicht wollten: Verstehen oder gar
tolerieren, dass Rooney einen eigenen Kopf hatte, und eine andere Sicht auf
den damaligen Golfkrieg als sie selbst. Und richtig unmöglich fanden diese
Kulturbürger, dass er die auch noch äußerte!
Rooney war nämlich sauer aufgestoßen, dass die Friedensdemo 2003 viel Hass
auf die USA und viel Verständnis für den irakischen Diktator Saddam Husein,
aber kein Mitgefühl für Israel artikulierte, das der ja zu bombardieren
drohte. Als guter Philologe erinnerte er daran, was ein Mann, der Hitlers
„Mein Kampf“ zum wichtigsten Buch des 20. Jahrhunderts erklärte, damit
meint, wenn er seine eigene Schrift „Unser Kampf“ betitelt und als
„Lebensziel“ eine „Umsiedlung“ der Juden aus Israel benennt. In einem
Leserbrief an die taz.bremen geißelte er „die totale Abwesenheit des
Erzschurken Saddam Hussein in der Vorstellungswelt des
zeitgenössisch-deutschen Pazifismus“. Dieses „seit 1991 streng
durchgehaltene Defizit“ könne den Oberfolterer nur entzücken.
Unbeschreiblich waren die Aggressionen der arrivierten alt-DKP-istischen
PazifizistInnen, die er damit auslöste. Sie fühlten sich verunglimpft,
sagten den Festakt ab und versuchten Rooney zudem ihren „Friedenspreis“
wieder zu entziehen. Die Entehrung, obschon von Bremer Spitzenjuristen
betrieben, scheiterte kläglich vor Gericht, bei einer Alternativfeier hielt
Ralph Giordano eine etwas kitschige Laudatio, in der er Rooney attestierte,
„ein Leben für die Schwachen und für die Verfolgten“ zu leben, und es gab
Sekt. Nie geheilt aber ist die Wunde, die jene bremischen HonoratiorInnen,
durchaus VertreterInnen der Stadtgesellschaft, ihm durch diese Ächtung
geschlagen haben. Chancen zur Versöhnung wurden nicht genutzt.
16 Jun 2017
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Nachruf
Bremen
Medien
Frieden und Krieg
Völkermord Armenien
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Ausstellung „Heimat und Exil“: Der Weltenwanderer
Das Osnabrücker Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum komplettiert seine
Ausstellungsserie über den Aktivisten und Schriftsteller Armin T. Wegner.
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