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# taz.de -- Kakaoanbau in Kolumbien: Süßer Friedensbringer
> In Boyacá kämpfte Bolívar für die Unabhängigkeit, dann kam tödliche Gier
> nach Smaragden und Coca. Heute wird Kakao angebaut und Schokolade
> produziert.
Bild: Der Bauer Antonio Urbano schneidet ein Kakao-Bohne
An diesem schwülheißen Tag Ende Mai legt Juan Antonio Urbano selbst Hand
an. Der beleibte Kakaobauer nimmt die Machete und duckt sich unter das
dunkelgrüne Blätterdach auf der Suche nach den schönsten Mazorcas, wie die
länglichen, schrumpeligen Kakaofrüchte auf Spanisch heißen. „Die hier ist
perfekt“, keucht Urbano und schneidet mit einem Hieb eine feuerrote Schote
vom Baum. „An der Farbe erkennt man, dass sie reif ist“, sagt er und hält
sie prüfend gegen das Licht. Dann wirft er sie ins Netz. Die schönsten
Früchte will Urbano am nächsten Tag in der kolumbianischen Hauptstadt
Bogotá – fünf Autostunden südlich von seiner Finca – auf dem Mercado de
Campesinos ausstellen.
Der Bauernmarkt wird zum Jahrestag der Landwirte mitten auf der zentralen
Plaza Simón Bolívar abgehalten, dort, wo Touristen sonst Tauben füttern und
die koloniale Kathedrale Primada de Colombia fotografieren. Ein guter Ort,
findet Juan Antonio Urbano, um die Schokolade zu verkaufen, die aus den
abenteuerlustigen Smaragdjägern und kriminellen Cocabauern seiner Heimat
friedfertige Menschen gemacht hat.
„Der Kakao hat unsere Gegend von Mord und Angst befreit“, sagt der stets
gut gelaunte Urbano, während er den weißen Geländewagen mit einem Netz
voller Kakaobohnen im Kofferraum durch die tropischen Nebelwälder steuert.
Die ungeteerten Wege an den Westhängen der kolumbianischen
Zentralkordillere eröffnen spektakuläre Blicke in die Schlucht des Río
Minero. Hier in den Bergen zwischen 800 und 1.200 Meter Höhe liegen die
vielen kleinen Fincas, auf denen Bauern wie Urbano Zitrusfrüchte, Bananen,
Avocados – und Kakao – anbauen. Weiter oben wachsen Kaffee, Tabak,
Kartoffeln und Getreide.
Boyacá heißt die Region im Nordosten des Landes, die neben seiner
traditionellen Landwirtschaft für seine schmucken Kolonialstädte Tunja,
Chiquinquirá oder Villa de Leyva berühmt ist. Die Provinz gilt als Wiege
der kolumbianischen Unabhängigkeit. Hier fügte der Freiheitsheld Simón
Bolívar den spanientreuen Royalisten im Jahr 1819 die entscheidende
Niederlage zu.
## Wiege der Unabhängigkeit
Boyacá heißt die Region im Nordosten des Landes, die neben seiner
traditionellen Landwirtschaft für seine schmucken Kolonialstädte Tunja,
Chiquinquirá oder Villa de Leyva berühmt ist. Die Provinz gilt als Wiege
der kolumbianischen Unabhängigkeit. Hier fügte der Freiheitsheld Simón
Bolívar den spanientreuen Royalisten im Jahr 1819 die entscheidende
Niederlage zu.
Heute ist in Boyacá vor allem die Erinnerung an den „Grünen Krieg“ wach.
Zwischen 1984 und 1990 forderte die Gier nach Smaragden mehr als 3.000
Tote. Aus den rund 60 Minen im Westen der Provinz stammen heute 60 Prozent
der weltweit geförderten Smaragde.
Auch Urbano erlag der Versuchung nach Abenteuer und schnellem Geld. Mit 24
versuchte der heute 50-Jährige sein Glück als Guaquero – als Smaragdsucher
in der Mine seines Heimatortes Pauna, ein 11.000-Seelen-Nest am Fuße des
dicht bewachsenen Kordillerenausläufers. Zehn Jahre schürfte er hier nach
den grünen Edelsteinen. Wer einen Stein fand, erzählt Urbano und grinst
verwegen, versuchte ihn heimlich aus der Mine zu schmuggeln: „Jeder von uns
trug eine Waffe bei sich.“ Auch wenn er sie nie abfeuerte, wie Urbano
beteuert: Der blutige Bandenkrieg hat in jeder Familie Opfer hinterlassen.
Erst auf Drängen der katholischen Kirche schlossen die Smaragdbarone 1990
Frieden.
Die Smaragdmine Muzo ist nach dem Indianerstamm benannt, der schon vor
Ankunft der spanischen Konquistadoren im 16. Jahrhundert am Río Minero
Edelsteine schürfte. Heute ist sie eines der beliebtesten Ausflugsziele der
Region. Doch die Smaragde blieben nicht die einzige gefährliche Versuchung:
Als das Edelsteinfieber Anfang 2000 nachließ, pflanzte Urbano wie viele
andere Bauern Coca an und verarbeitete die Blätter in einem versteckten
Labor zur Kokainpaste weiter.
## Lukratives Drogengeschäft
„Alle zwei Monate kann man ernten. Das war ein lukratives Geschäft“,
erinnert sich Urbano, „aber auch ein gefährliches.“ Die Bauern mussten ihre
Ware zu einem fixen Kilopreis von 2 Millionen Pesos (rund 610 Euro) an die
Guerilla verkaufen, die die Droge dann für 3 Millionen Pesos
weiterverkaufte. Die Differenz wurde als Steuer dafür begriffen, dass die
Guerilla den Bauern Sicherheit garantierte. Wer sich jedoch weigerte,
musste um sein Leben fürchten.
Anfang der 2000er drängten Paramilitärs in das Geschäft. Gleichzeitig
bekämpfte das Militär auf Anweisung des damaligen Präsidenten Álvaro Uribe
– mit Geld aus den USA – den Coca-Anbau mit allen Mitteln. Als dann der
Staat 2007 den Bauern finanzielle Hilfe zum Ausstieg aus dem Drogenanbau
versprach, stiegen viele Cocaleros aus – und sattelten auf Kakao um.
In dem kleinen Dorf Pauna schlossen sich eine Handvoll Familien unter
Urbanos Führung zu dem Verein Aprocampa zusammen, der heute die Schokolade
aus dem Ort selbst produziert und vermarktet. „Wir hatten genug von der
Gewalt und von dem Versteckspiel“, sagt Juan Antonio Urbano rückblickend.
„Entscheidend aber war, dass der Staat Präsenz gezeigt hat.“
Auch Victor Sánchez zögerte nicht lang. Als er von dem staatlichen
Aussteigerprogramm erfuhr, kaufte der heute 47-Jährige eine Finca in den
grünen Hängen unweit von Pauna und pflanzte je 3.000 Bananen- und
Kakaostauden. „Die Bananen spenden dem Kakao in den ersten Jahren den
notwendigen Schatten“, sagt Sánchez und deutet auf die Stauden, die seine
bunt gestrichene Holzveranda dicht umschließen. „Eine perfekte Symbiose“,
sagt Sánchez. „Der Boden ist besser. Außerdem kann man Kakaobohnen erst
nach drei, vier Jahren ernten. In der Zeit habe ich Bananen verkauft.“
## Weg vom Drogenanabu
Der drahtige Kakaobauer in Jeans und zerschlissenem T-Shirt ist zufrieden:
„Mit dem Kakao verdiene ich nicht so viel Geld. Aber ich lebe mit meiner
Familie ohne Sorgen.“ 5.000 Pesos – rund 1,50 Euro – bekommt er pro Kilo
getrocknete Kakaobohnen. Dafür muss er alle zwei Wochen die reifen
Kakaofrüchte sammeln, aufschneiden und die Bohnen zum Fermentieren fünf
oder sechs Tage in Holzkisten lagern. Danach trocknet er die Bohnen in
einer Art Gewächshaus. Rund eine Tonne Kakaobohnen erntet Sánchez im Jahr –
Ausgaben hat er so gut wie keine. „Wir haben auf der Finca Rinder und
Hühner, Gemüse und Obst“, sagt Sánchez. „Wir müssen nur Mehl, Brot und …
einkaufen.“
Wie Sánchez leben heute 1.267 Familien aus Pauna und den umliegenden
Dörfern San Pablo de Borbur und Otanche vom Kakaoanbau. Dadurch sind die
illegalen Cocapflanzen in der Provinz Boyacá fast komplett verschwunden,
hat das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung
(UNODC) festgestellt: Die Anbaufläche schmolz von 322 Hektar im Jahr 2000
auf 10 Hektar im Jahr 2012.
Ein Erfolg, den die aktuelle Regierung von Juan Manuel Santos in anderen
Regionen wiederholen will. Mitte Mai weihte der kolumbianische Präsident
ein Programm ein, das innerhalb eines Jahres landesweit 50.000 Hektar Land
vom illegalen Drogenanbau befreien soll. Rund 83.000 Familien in 13
Regionen nehmen an dem Programm teil. Auch wenn noch nicht feststeht, wie
viele der Familien wie in Boyacá künftig auf Kakao setzen: Die Zahl von
derzeit 27.000 organisierten Kakaobauern in Kolumbien dürfte mit dem neuen
Programm weiter ansteigen – und damit die Kakaoproduktion. Im vergangenen
Jahr ist sie bereits um 3,6 Prozent auf 56.000 Tonnen gestiegen. Ein
Rekordwert. Fünf Jahre zuvor waren es noch 37.000 Tonnen.
Auch wenn Kolumbien damit weniger als 2 Prozent der weltweiten Kakaoernte
stellt, ist Juan Antonio Urbano über die Entwicklung erfreut: „Vor ein paar
Jahren haben wir in Kolumbien noch selbst viel Kakao importiert. Langsam
entdeckt der heimische Markt, dass wir auch in Kolumbien guten Kakao
haben“, sagt Urbano und parkt den Wagen in Pauna vor einer Halle mit grün
gestrichener Fassade. Ein Transparent verrät den Kakaobauern, dass sie hier
ihre Bohnen verkaufen können.
## Schwankende Kakao Qualität
In der Halle produziert Urbanos Verein Aprocampa die Schokolade, die 2014
als bester Kakao Kolumbiens ausgezeichnet wurde. Als Dank durften acht der
heimischen Kakaobauern – darunter Juan Antonio Urbano – im Jahr drauf an
der renommierten Schokoladenmesse Salon du Chocolat in Paris teilnehmen,
auf der jedes Jahr im November Hunderte Aussteller aus aller Welt ihre
Produkte vorstellen.
„Dass ich als einfacher Bauer aus Boyacá drei Tage lang in Paris sein darf,
hätte ich mir nie im Leben träumen lassen“, staunt Urbano noch heute.
Seither war er jedes Jahr in Europa, um kolumbianischen Kakao zu bewerben:
auf einer Lebensmittelmesse in Mailand, auf der Kaffee-, Tee- und
Kakaomesse Coteca in Hamburg. Auch Schweizer Schokoladenhersteller haben
ihn eingeladen.
Der große Deal mit einem ausländischen Unternehmen steht für Aprocampa
bisher noch aus. „Wir haben eine gute Qualität, müssen sie aber
standardisieren“, räumt Urbano ein. „Bisher fermentiert und trocknet jeder
Bauer selbst seine Bohnen. Unser Kakao ist deshalb nie gleich.“ Das aber
erwarten internationale Firmen. Außerdem darf der Verein noch keine Ware
exportieren. Noch ist Aprocampa nicht in der kolumbianischen Handelskammer
registriert.
Auch ist die Schokoladenfabrik in Pauna nicht gerüstet für große Aufträge:
5 Tonnen Schokolade, schätzt Luz Dary Barreto, werden hier im Monat
produziert. Die 35-jährige Angestellte steht im hinteren Eck der länglichen
Halle, die die Regierung den Kakaobauern in Pauna errichtet hat. „Für ihren
Beitrag am stabilen, anhaltenden und inklusiven Frieden“ steht auf der
Schenkungsplakette am Halleneingang.
## Noch nie ein Kakaofrucht gesehen
Barreto trägt Atemschutz und Haarnetz und trennt Schalenreste von den
Bohnen, die sie soeben geröstet und zerkleinert hat. Die Bohnen stammen von
ihrer eigenen Finca. In der Früh hat sie 30 Kilo mit dem Motorrad nach
Pauna transportiert. Wenn sie abends nach Hause fährt, werden 50 neue
Tafeln Trinkschokolade in dem Kühlschrank liegen. Daneben stellen die vier
Angestellten noch das auf dem Land beliebte Chucula her, das aus Kakao und
sieben Getreidesorten – Mais, Gerste, Weizen, Soja, Saatwicke, Saubohne und
Kichererbse – zusammengerührt und als heißes Getränk zum Frühstück
getrunken wird. Ein Produkt, das nach Geschäftsmann Urbano Teil einer neuen
nationalen Genusskultur werden könnte.
Seit wenigen Monaten hat Urbano in Bogotá zwei Schokoladenläden eröffnet.
Distrito Chocolate heißt die Kette, die nach seiner Vorstellung bald
landesweit Filialen eröffnen soll. Bisher wirft das Geschäft mit der heißen
Trinkschokolade kaum mehr ab als die Ladenmiete in den beiden schicken
Shopping Malls. „Die Kolumbianer wissen zu wenig über guten Kakao“, glaubt
Urbano.
Ein Eindruck, der sich auf dem Mercado de los Campesinos in Bogotá
bestätigt. Hier präsentieren HändlerInnen aus dem ganzen Land ihre lokalen
Produkte: Erdbeeren und Quinoa aus Cundinamarca, der fruchtbaren
Anbauregion um Bogotá, Kaffee aus dem Hochland um Medellín, Hemden aus
Bananenfasern aus Huila im Südosten des Landes. Juan Antonio Urbino hat
neben seiner Schokolade Avocados, Bananen und Guayabas ausgelegt – und die
bunten Kakaofrüchte. Eine hat er mit der Machete aufgeschlagen.
„Und was ist das?“, fragt eine Besucherin und deutet auf das weiße
Fruchtfleisch. „Hier stecken die Bohnen drin“, sagt Urbano und streckt ihr
die halbe Frucht entgegen. „Probieren Sie. Die kann man lutschen, wussten
sie das?“ Die meisten, die an Urbinos Stand stehen bleiben, haben noch nie
eine Kakaofrucht gesehen.
Carlos Eduardo Gechem Sarmiento glaubt, dass sich das ändert. „Wenn
Kolumbien international als Kakaonation gesehen wird, dann interessieren
sich auch die Kolumbianer mehr für Kakao“, sagt der Direktor der
staatlichen Behörde für ländliche Entwicklung, ADR. Gechem hat den
Bauernmarkt organisiert. Zufrieden schlendert er von Stand zu Stand. „Die
Qualität unseres Kakaos ist heute sehr hoch“, sagt er. Als Beweis führt
Gechem die Einladung von der Salon du Chocolat aus Paris. Kolumbien ist in
diesem Jahr das Gastland der Schokoladenausstellung. Wieder mit dabei: Juan
Antonio Urbino.
2 Sep 2017
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
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Friedensgemeinde geerntet. Die Gepa bringt sie auch in hiesige Supermärkte.
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