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# taz.de -- „Die Partei“ erobert die Universitäten: Dann lieber Satire
> Was macht eine Spaßpartei, deren Uni-Ableger Sitze im
> Studierendenparlament erhält? Sie macht von Zeit zu Zeit ernsthaft
> Politik.
Bild: Satire darf alles – auch Hochschulpolitik machen: Mitglieder der „Lis…
Münster taz | Universität Münster, Montag, 18 Uhr, Maik van Deest, 23 Jahre
alt, Lehramtsstudent für Deutsch und Sozialwissenschaften, umklammert seine
Aktentasche und schiebt sich in die mittlere Sitzreihe des Hörsaals. Gleich
tagt das Studierendenparlament. Van Deest, weißblondes Haar, zierliche
Statur, setzt sich zu seiner Fraktion. Seit drei Jahren engagiert er sich
in der satirischen Hochschulgruppe Die Liste, seit einem Jahr ist er ihr
Vorsitzender.
Van Deest ist gerne lustig. Das sieht dann so aus: Erst kürzlich setzte er
sich für den Anbau von Hanf im studentischen Garten ein. Damit wollte Die
Liste „ein längst überflüssiges Bedürfnis“ der Studierenden stillen. Ne…
Hanf forderte van Deest durchsichtige Regenponchos für alle Parlamentarier
„für mehr Transparenz“, eine „Sonderbildungszone für Juristen“, um an…
Studierende vor ihnen zu schützen, und einen sprechenden Harry-Potter-Hut,
der den Studierenden Kurse zuteilt, „für eine bessere Seminarplatzvergabe“.
Kein Antrag ging durch.
Satire kritisiert, prangert an und stellt bloß. Satire kann politisch sein,
aber kann sie auch Politik? Mit Martin Sonneborn sitzt ein Satiriker im
Europaparlament und der Komiker Jón Gnarr war vier Jahre lang Bürgermeister
von Reykjavik. Sonneborn ist Vorsitzender der Satirepartei Die Partei,
Absolvent der Universität Münster und Vorbild aller Liste-Gruppen in
Deutschland.
In Brüssel spielt Sonneborn Minigolf in seinem Büro und isst am
Schreibtisch saure Gurken, die er vorher mit einem Lineal gemessen hat. Er
macht viel, aber keine Politik. Er rührt dem Brüsseler Politbrei ein wenig
Spott bei. Doch wie lange hält es ein Satiriker in dieser Rolle aus?
Sonneborn zumindest bleibt sich treu. Er bleibt ein Clown, auch als
Abgeordneter.
## Sozialisiert durch „extra 3“ und „heute-show“
Aber warum engagieren sich Studierende in einer satirischen
Hochschulgruppe? Maik van Deest begeisterte sich schon während der
Schulzeit für Satire, las die Titanic, schaute „extra 3„oder die
„heute-show“. Es waren diese Sendungen, die sein politisches Interesse
geweckt haben. Einige Studierende, die sich in der Liste engagieren, sind
Mitglied in der SPD oder der CDU. Doch bei deren Ablegern an der Hochschule
seien sie auf „verkrustete Strukturen“ und „alberne Grabenkämpfe“ gest…
Aus Sicht der Liste nehmen sich die anderen Hochschulgruppen zu ernst und
schmücken mit dem Engagement bloß ihren Lebenslauf. Dann lieber Satire ohne
Fraktionszwang und mit der politisch flexiblen Ausrichtung
„Rechts-Mitte-Links“.
Satire scheint, zumindest bei einer bestimmten Wählergruppe, anzukommen.
Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai erhielt Die Partei
knapp 55.000 Stimmen und damit 0,6 Prozent. Auch an vielen Universitäten
haben Studierende Die Liste in ihr Studierendenparlament gewählt. Dort
sitzen sie in Gremien und entscheiden über den Haushalt. Fast 13 Millionen
Euro verteilt das studentische Finanzreferat in Münster. Das
Studierendenparlament ist ein wichtiger Pfeiler der Mitbestimmung, erkämpft
in den sechziger Jahren.
Dennoch nehmen nur wenige Hochschulpolitik ernst. In Münster gingen 18,5
Prozent der Studierenden zur Wahl – im Vergleich zu anderen Hochschulen mit
Beteiligungen von sechs bis sieben Prozent ist das sogar hoch. „Teilweise
brauchen einzelne Kandidaten hier an der Universität mit über 40.000
Studierenden nur 40 bis 50 Stimmen, um ins Parlament zu kommen.“ Van Deest
schüttelt den Kopf. „Wenn man seinen Freundeskreis anspricht und alle
Bekannten aus seinem Studiengang, hat man die schnell zusammen.“
## Sudoku-Rätsel als Wahlversprechen
Auch deshalb nimmt die Liste den Wahlkampf nicht ernst. Slogans wie „Wir
für Dir“ oder „Mehr Kapitalismus wagen“ kommen gut an. „Die Studierend…
sind gelangweilt von den anderen Plakaten, die machen immer denselben
Schrott“, sagt van Deest. So werbe der CDU-nahe Ring
Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) immer gegen den „Veggie-Wahn“
und Campus Grün lobe jedes Mal seine ökologische Arbeit.
„Phrasendrescherei“, nennt van Deest das. Er verteilt vor der Mensa lieber
Sudoku-Rätsel als Wahlversprechen.
Anruf bei Marcus Neick in Rostock. Er ist Mitglied der Liste an der
Rostocker Universität und seit fast einem Jahr studentischer Prorektor –
deutschlandweit ein einmaliges Amt. Neick gehört somit zur Verwaltung der
Universität. Er respektiere sein Amt nicht weniger als Mitglieder anderer
Hochschulgruppen, betont er. Doch die Mitgliedschaft in einer Satiregruppe
schafft offenbar Misstrauen.
Der Rektor der Universität wollte vor Neicks Wahl wissen, ob er auch
ernsthaft sein könne. „Wenn ich so arbeiten würde wie Martin Sonneborn im
Europaparlament, wäre ich nach einem Monat rausgeflogen“, sagt Neick.
„Satirische Arbeit funktioniert nach meiner Erfahrung nur in Parlamenten.“
Trotzdem findet er Satire wichtig und glaubt, dass sich dank der Liste mehr
Studierende für Hochschulpolitik interessieren. Das erkenne er an der
steigenden Reichweite bei Facebook.
## Der Witz hat sich überlebt
Auch an der Universität Bayreuth haben Studierende Die Liste mehrmals in
ihr Parlament gewählt. „Anfangs wollten wir gar keine Hochschulpolitik
machen und hatten auch gar keine Ahnung davon,“ sagt Roland Fink, der Die
Liste in Bayreuth mit gegründet hat. Doch nach vier Jahren im
Studierendenparlament hat sich die Gruppe aufgelöst. „Der Witz hat sich für
uns überlebt, wir wurden zu professionell“, sagt Fink.
Kann Satire an zu viel Ernst scheitern? Martin Sonneborn hat seine Rolle im
Europaparlament bisher nicht gebrochen. Im März hat er „1.000 vollkommen
überflüssige T-Shirts produzieren lassen, um sie interessierten Bürgern zur
Verfügung zu stellen“, Aufschrift „Truck Fonald Dump“.
Die Liste in Münster möchte der Universität den Spiegel vorhalten, mit
Blödeleien provozieren. Aber anders als bei Sonneborn kann sie das nur
begrenzt. In kleinen Gremien, in denen Die Liste mit nur einem Studierenden
vertreten ist, hält sie die Satire nicht durch. Also versucht die Gruppe ab
und zu etwas anderes – richtige Politik. „Wir wollen dem
Studierendenparlament nicht ans Bein pissen, wir wollen sinnvolle
Hochschulpolitik machen“ sagt van Deest. Und so hat Die Liste ein Rederecht
für alle durchgesetzt, die nicht im Parlament sitzen, und eine
Liveübertragung der Sitzungen angeregt.
## Die „Liste“ legt Protest ein
Außerdem hat Die Liste im November 2015 gegen das Vorhaben des AStA
protestiert, die Ausländische Studierendenvertretung abzuschaffen und in
ein vom AStA kontrolliertes Referat zu überführen. Für Die Liste war das in
einer Zeit wachsender Fremdenfeindlichkeit ein fragwürdiges Signal. Lokale
Medien berichteten, die anderen Listen ruderten zurück, der
stellvertretende AStA-Vorsitzende musste gehen.
Dass Die Liste auch ernst gemeinte Forderungen erhebt, sieht der RCDS der
Uni Münster kritisch. Die Wähler würden sie schließlich nicht dafür wähle…
Tatsächlich ist „Inhalte überwinden“ einer ihrer Slogans. Auch Jusos und
Campus Grün können nicht immer einschätzen, was Die Liste möchte: Politik
oder Satire?
„Die Sichtweise hat sich stark verändert über die Jahre“, sagt van Deest.
Inzwischen würden die anderen Hochschulgruppen merken, dass sie mit vielen
Anträge auf etwas Ernstes hinaus wollen. „Das ist die Aufgabe von guter
Satire.“ Trotzdem müsse sich Die Liste beim Formulieren der Anträge sehr
bemühen. „Es gibt immer ein paar Spezialisten, die es nicht verstehen.“
## Regeln, in Stein gemeißelt
Manchmal aber geht eine andere Liste auch auf die Ironie ein. So wie an
diesem Montagabend. Es ist inzwischen 21 Uhr, Die Liste und die anderen
Fraktionen tagen seit drei Stunden im Hörsaal. Nach Berichten aus den
Ausschüssen stellt Die Liste einen Antrag zur Änderung der
Geschäftsordnung. Dazu zitiert sie aus der des Bundestags, die eine geheime
Wahl vorschreibt. „Im Gegensatz dazu wählt das Studierendenparlament bei
Personen- und Listenwahlen offen“, heißt es in dem Antrag der Liste. „Damit
also weiterhin Kontrolle über die Fraktionsmitglieder ausgeübt werden kann,
sollte an der bestehenden Regelung festgehalten, sie sollte sogar in Stein
gemeißelt werden!“, steht dort weiter.
Die liberale Hochschulgruppe LHG, auf deren Tisch mittlerweile acht leere
Bierflaschen stehen, hat den Wink verstanden. Sie stellt einen Antrag auf
geheime Wahlen im Studierendenparlament. Die Abgeordneten stimmen dafür.
13 Jun 2017
## AUTOREN
Ina Bullwinkel
## TAGS
Die Partei
Hochschulpolitik
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
EuGH
Die Partei
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Kanzlerkandidatur
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