| # taz.de -- Gedenken an Luís Vaz de Camões: Ein Humanist, der nichts ausließ | |
| > Am 10. Juni feierten Portugiesischsprechende in aller Welt den Dichter | |
| > Luís Vaz de Camões. In Deutschland war er mal so bekannt wie Shakespeare. | |
| Bild: Sandskulptur des Dichters Luis de Camoes in Armacao de Pera, Portugal, im… | |
| In Portugal, vor allem in Lissabon, kommt man an Luís Vaz de Camões kaum | |
| vorbei. Nicht nur, weil der Nationaldichter Lusitaniens durch prächtige | |
| Denkmäler verewigt wurde wie auf der Praça Luís de Camões, einem hübschen | |
| Platz mitten im Zentrum der Atlantikküsten-Metropole. Als er die „Lusiaden“ | |
| schrieb, ein opulentes Epos in der Tradition von Homers „Odyssee“ und | |
| Vergils „Aeneis“, schuf der Weltreisende aus dem 16. Jahrhundert das wohl | |
| wichtigste Werk der portugiesischen Literatur überhaupt. | |
| Jeder Portugiese kennt Camões, jeder die „Lusiaden“. Sie gehören in der | |
| Schule zur Pflichtlektüre wie bei uns Goethes „Faust“ – und Goethe las | |
| dieses schillernde Opus seinerzeit mit größter Bewunderung. Seit 1989 | |
| verleihen das portugiesische Instituto Camões und die brasilianische | |
| Fundação Biblioteca Nacional jährlich gemeinsam den „Prémio Camões“, d… | |
| nach ihm benannten höchsten Literaturpreis des portugiesischen Sprachraums. | |
| Sein Todestag, der 10. Juni, wird nicht nur in Portugal als | |
| Nationalfeiertag – als Dia de Portugal, de Camões e das Comunidades | |
| Portuguesas – begangen, sondern auch in den ehemaligen portugiesischen | |
| Kolonien oder von Portugiesen, die sich im Ausland niedergelassen haben. | |
| Camões („Kamäusch“ ausgesprochen) – was weiß man von ihm? Nicht sonder… | |
| viel. 1524 oder 1525, zu Renaissance-Zeiten, erblickte er in Coimbra oder | |
| Lissabon das Licht der Welt, als ein Spross niederen Adels. Erzogen durch | |
| Dominikaner und Jesuiten, studierte der Zeitgenosse Michel de Montaignes, | |
| Pierre de Ronsards und Miguel de Cervantes Saavedras an der Universität von | |
| Coimbra und wurde als humanistischer Pädagoge am Königshof tätig, den er | |
| nach einer aufgeflogenen Liaison mit einer Hofdame allerdings schleunigst | |
| wieder verlassen musste. So jedenfalls geht die Legende. | |
| Nachdem er in einer Schlacht gegen die Mauren ein Auge verlor, bereiste er | |
| die damaligen portugiesischen Kolonien in Asien, er kam bis nach Goa und | |
| Macao – wenn er nicht gerade aufgrund von Schulden oder tätlichen Angriffen | |
| auf königliche Offiziere respektive Duellen im Gefängnis steckte. 1579 oder | |
| 1580 starb er in Lissabon in völliger Verarmung an der Pest. Als Dichter | |
| aber stieg er in den literarischen Olymp auf. Ein berühmtes Porträt zeigt | |
| ihn entsprechend gekrönt mit einem Lorbeerkranz. Die „Lusiaden“ sind | |
| unbestritten Weltliteratur. | |
| ## Adoptivsohn der Romantik | |
| In Deutschland ist Camões heute fast nur noch Spezialisten ein Begriff. Im | |
| 18. und frühen 19. Jahrhundert war das noch ganz anders. Sein Ruhm war mit | |
| demjenigen William Shakespeares oder Torquato Tassos zu vergleichen. Es gab | |
| kaum einen Kulturschaffenden, der ihn nicht kannte. Ganz Portugal schien | |
| damals näher zu liegen. Unter anderem weil das weltbewegende Lissabonner | |
| Erdbeben von 1755 „die Meinungen erschütterte und das Denken in Bewegung | |
| setzte“ (Horst Günther). | |
| Der westlichste Zipfel Europas lag plötzlich im Trend. Als Erster machte | |
| Voltaire, den Friedrich der Große an seinen Hof nach Potsdam-Sanssouci | |
| geholt hatte, hierzulande auf Camões aufmerksam. | |
| Als eigentlicher Entdecker aber darf der Frühromantiker Friedrich Schlegel | |
| gelten. In seinem Nachwort zu einer Lusiaden-Ausgabe erhält ihr Verfasser | |
| sogar den Titel eines „Adoptivsohns der deutschen Romantik“. Neben den als | |
| Shakespeare-Übersetzern berühmten Schlegel-Brüdern wagten sich etliche | |
| Dichter und Denker an Nachdichtungen, Johann Gottlieb Fichte etwa oder | |
| später August Graf von Platen. Alexander von Humboldt war naturgemäß ein | |
| begeisterter Fan des Seefahrers oder „Seemalers“, wie er ihn nannte, und | |
| verewigte ihn in seinem „Kosmos“. | |
| Die Deutschen, die damals selbst noch keine Nation bildeten, | |
| identifizierten sich mit dem ausgeprägten Nationalbewusstsein des | |
| Portugiesen, der in seinem Epos nicht nur Vasco da Gamas sagenhafte | |
| Entdeckung des Seeweges nach Indien besingt, sondern die portugiesische | |
| Geschichte im Allgemeinen – gespickt mit Anleihen aus der griechischen und | |
| römischen Mythologie. | |
| ## Das Phänomen Camões, es lebt | |
| Die einst progressiv gemeinte, antifeudale und in Ansätzen demokratische | |
| Begeisterung der Romantiker für das Nationale ist uns heute – allem | |
| neunationalistischen Getöne zum Trotz, das mit dem frühen Nationalismus des | |
| 19. Jahrhunderts ohnehin nicht zu verwechseln ist – eher fremd. Nicht | |
| zuletzt auch deshalb konnte Camões derart in Vergessenheit geraten. Hinzu | |
| kommt das Genre: Die „Lusiaden“ sind ein Vers-Epos. Zur „Goethe-Zeit“ | |
| verstand der Leser es noch spielend, Verse zu lesen. Uns fällt es heute | |
| schwerer. | |
| Einen Lektüre-Schlüssel aber gibt uns der kongeniale Camões-Übersetzer | |
| Hans-Joachim Schaeffer, der dem Werk des Portugiesen sein halbes Leben | |
| widmete, zusammen mit einer Gesamtübersetzung der „Lusiaden“ (der ersten | |
| seit über 100 Jahren) gleich mit an die Hand. Er beschreibt sie als eine | |
| „Kette aus kostbaren Perlen“, eine „Folge von mehr als tausend einzelnen | |
| Gedichten“. Leichter zugänglich und zudem sehr lustig sind die Komödien, | |
| die Camões verfasste, besonders die musikalisch beschwingten | |
| „Amphitryonen“, auch wenn sie Heinrich von Kleists Bearbeitung des antiken | |
| Stoffes auf deutschen Bühnen auch in Zukunft kaum Konkurrenz bereiten | |
| dürften. Vielleicht aber wäre es einmal einen Versuch wert, eine | |
| Inszenierung zu stemmen? | |
| Als Einstieg in den sagenhaften Camões-Kosmos eignet sich der Gedichtband | |
| „Com que voz?/Mit welcher Stimme?“, der neben wunderschönen Sonetten, Oden | |
| oder Elegien unter anderem auch Auszüge aus den „Lusiaden“ enthält – in | |
| Übersetzungen aus vier Jahrhunderten. Die Sammlung erschien vor einigen | |
| Jahren im kleinen, sehr rührigen Berliner Elfenbein-Verlag, in dem auch die | |
| Gesammelten Werke in einer sorgfältig kommentierten zweisprachigen Ausgabe | |
| erscheinen (darin enthalten ist Schaeffers Gesamtübersetzung der | |
| „Lusiaden“). | |
| Der Titel „Com que voz?“ geht übrigens auf ein verzweifeltes Liebesgedicht | |
| zurück, das Camões zugeschrieben wird, seitdem es von der berühmten | |
| Fado-Sängerin Amália Rodrigues gesungen wurde. Die Portugiesen behaupten | |
| hartnäckig die Autorschaft des Lusiaden-Dichters. Das Phänomen Camões, es | |
| lebt. Zeit, ihn auch in Deutschland wiederzuentdecken. | |
| 11 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schwartz | |
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