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# taz.de -- Im russischen Sotschi: Im Tal der Technokraten
> Olympia sollte internationales Flair nach Sotschi bringen. Doch russische
> Urlauber bleiben unter sich. Besserwisserei aus dem Westen ist nicht
> willkommen.
Bild: Strandpromenade am Olympiapark Adler in Sotschi: Austragungsort des Confe…
Der Hinweis auf den, der hier alles zu verantworten hat, lässt nach der
Ankunft am Flughafen nicht lange auf sich warten. „Dass das Wetter heute so
gut ist und die Sonne scheint, liegt wahrscheinlich nur daran, dass Putin
in der Stadt ist“, scherzt Reiseführerin Galina gegenüber den ankommenden
Journalisten.
Wirklich überraschend ist das nicht. In Russland gibt es keine Region, die
derart umfassend nach den Wünschen des Präsidenten umgestaltet wurde wie
Sotschi und seine Umgebung. Die Verwandlung von Stadt und Land in ein
olympiataugliches Wintersportziel mit riesigen Sportarenen, breiten
Verkehrstrassen und von Schneekanonen versorgten Skipisten ereignete sich
als technokratischer Kraftakt in bester Sowjettradition: Kommandiert von
ganz oben, rücksichtslos gegen Natur und zivile Widerstände, aber am Ende –
Putin sei Dank – planmäßig und termingenau in Betrieb genommen. Warum soll
einer, der das kann, nicht auch beim Wetter mitreden können?
Die forcierte Anpassung des Westkaukasus an die Imperative von Investoren
und IOC gilt nach offizieller Diktion natürlich nicht als Gewaltakt,
sondern als ersehnte Befreiung von Rückständigkeit und Abgeschiedenheit.
„Die Straße durch das Tal hinauf nach Krasnaja Poljana war eng und
gefährlich, häufig kam es zu Unfällen. Heute sorgen die neue Schnellstraße
und eine Bahntrasse dafür, dass Urlauber vom Flughafen in Sotschi in die
Bergregionen kaum länger als eine Stunde unterwegs sind“, erklärt Galina
nicht ohne Stolz.
## Rauher Charme des Kaukasus
Bei der Fahrt über die neue Straße wird der raue Charme des Kaukasus
schnell spürbar. Während an Sotschis Uferpromenade Sonne und Palmen
mediterranes Flair verbreiten, weht bereits 600 Meter höher in Krasnaja
Poljana kühle Bergluft. „Die ersten Olympischen Winterspiele in den
Subtropen“ lautete Russlands Slogan während der Bewerbungsphase. Doch
während die Spiele auf globales Prestige und Besucher aus aller Welt
zielten, finden sich heute an der Küste wie im Gebirge fast ausschließlich
russische Gäste.
Kein Wunder: Angesichts luxuriöser Kureinrichtungen, eines milden Klimas
und einer atemberaubenden Natur galt Sotschi schon zu Sowjetzeiten als
geradezu elysischer Sehnsuchtsort, an dem Urlaub zu verbringen jeder Russe
zumindest träumen durfte. Durch die Investitionen im Zuge der Olympischen
Spiele sind die Aussichten auf die Verwirklichung dieses Traums heute
größer denn je. Es gibt mehr Hotels, bessere Straßen, eine neue
Eisenbahnverbindung, einen neuen Flughafen, mehr Flugverbindungen. Durch
die neue Trasse und den Ausbau von Krasnaja Poljana sind auch die Ausflugs-
und Wanderziele des Westkaukasus an der Grenze zu Abchasien heute
deutlicher leichter zu erreichen als in der Vergangenheit.
Bergwanderer und Naturliebhaber finden hier außerhalb der Wintersportsaison
vor allem im Frühjahr, wenn die Magnolien blühen, ideale Bedingungen
abseits des Massentourismus. Dichte Laubwälder, die in der Umgebung von
Krasnaja Poljana auf bis zu 1.800 Meter Höhe wachsen, lassen sich zu Fuß,
mit dem Jeep oder auch per Pferd durchstreifen. Ambitionierte Bergwanderer,
die noch höher hinauswollen, stoßen auf alpine Fels- und
Gletscherlandschaften und eine immer noch artenreiche Tierwelt.
## Stolz auf das Erreichte
Ein wuchtiger Betonexzess wie das ehemalige Olympiadorf Rosa Khutor erhebt
jedoch gar nicht erst den Anspruch, sich in diese Umgebung einpassen zu
wollen. Alexander Belokobylskiy, leitender Manager des touristischen
Komplexes, ist bemüht, den ökologisch fragwürdigen Retortenort in einem
engen Flusstal nahe Krasnaja Poljana als rundum gelungenes Projekt
darzustellen: Die Auslastungszahlen der 16 großen Hotels seien bestens, das
Preisniveau angemessen, die Touristen begeistert, erklärt der Manager
seinen deutschen Gästen. Bei der Frage nach Eigentumsverhältnissen und
Investitionskosten gerät das Gespräch allerdings rasch ins Stocken. „Wir
sind froh, dass der Ort gebaut wurde, die Kosten sind nicht so wichtig“,
versichert der Manager.
Ob man auch Ökotourismus für ausländische Gäste fördern wolle, will eine
Journalistin wissen, doch auch diese Frage scheint unpassend.
„Ökotourismus? Was meinen Sie damit?“, antwortet Belokobylskiy, der
wirklich nicht zu wissen scheint, wovon hier die Rede sein könnte.
Schnell wird deutlich: Das Management möchte vielleicht Touristen aus dem
Ausland, doch allzu detaillierte Nachfragen und besserwisserische
Vorschläge von ausländischen, zumal westlichen Gästen möchte man eher
nicht.
Was zählt und auch von ausländischen Gästen gewürdigt werden soll, ist der
Stolz auf das Erreichte: Die über 40 Milliarden Euro teure Verwandlung
einer einst intakten Bergregion in ein gigantisches Sport- und
Freizeitareal, dessen Skilifte, Abfahrtspisten, Spielcasinos und
Themenparks zumindest vom einkommensstarken Teil der eigenen Bevölkerung
dankbar genutzt werden. Die emotionale Verletzung durch einen Westen, der
dem Land die Anerkennung auf Augenhöhe vielfach verweigert, wird jedoch
auch an diesem Ort sichtbar. Nach Dopingvorwürfen wurde der Region Ende des
vergangenen Jahres die Austragung der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft
2017 wieder entzogen. Urlauber, die sich auf rasante Bob-Abfahrten und
Top-Athleten aus aller Welt gefreut hatten, mussten mit den CISM World
Games vorlieb nehmen, einem von russischen Armeekräften dominiertem
Militärsportturnier, dessen Relevanz mit der abhanden gekommenen WM kaum
konkurrieren konnte.
Der letztes Wochenende beginnende Fifa-Confederations-Cup, in dessen
Verlauf auch vier Gruppenspiele (davon mindestens zwei mit deutscher
Beteiligung) im Olympiastadion von Sotschi ausgetragen werden, ist
angesichts solcher Zurückweisungen immerhin ein Trostpflaster.
Internationale Aufmerksamkeit ist der Region durch das Turnier gewiss, denn
der Cup gilt als Generalprobe und Testlauf für die im kommenden Jahr in
Russland stattfindende Fußball-WM.
## Ökonomische Perspektiven
Doch längst nicht jeder Russe kommt wegen des Sports nach Sotschi. Mancher
hat die neuen Möglichkeiten, die die Region inzwischen bietet, ergriffen
und daraus einen persönlichen und beruflichen Erfolg für sich geschmiedet.
Zu ihnen zählt Sam Daytan, der sich, nachdem es ihm in seinem Dorf in
Sibirien zu langweilig geworden war, nach Sotschi aufgemacht hat, um dort
einen Job zu finden. Heute arbeitet der Dreißigjährige als Manager im Sky
Park AJ Hackett, einer nahe Krasnaja Poljana gelegenen Bungee-Sprunganlage,
die sich entlang einer stählernen Brücke in schwindelnder Höhe über ein
grünes Flusstal spannt. Die mit 439 Metern angeblich längste
Fußgängerbrücke der Welt ist ein weiterer ästhetischer Großangriff auf die
Schönheit des Westkaukasus, bedient jedoch die globale Nachfrage nach
Adrenalin-Kicks und Angeber-Selfies.
Die Preise für die verschiedenen Sprungvarianten sind so atemberaubend wie
der Blick in die Tiefe, doch Sam Daytan sieht seinen Arbeitgeber mit diesem
Preisgefüge gut positioniert: „Die Russen sind doch reich, zumindest jene
zwei Prozent, die zu uns kommen“, schreit der Manager inmitten lauter
Heavy- Metal-Musik, die den nächsten Mutigen auf den Sprung in die Tiefe
einstimmt, während seine Begleiter eilig ihre Smartphones in Stellung
bringen.
Auch ohne dass viele ausländische Gäste kommen, sind die Hotels der Region
nicht nur zu dieser Jahreszeit bestens gebucht. Wen kümmern angesichts
solcher Perspektiven schon irgendwelche Boykottmaßnahmen und die ewigen
Mäkeleien des Westens über Umweltzerstörung, Doping oder Korruption?
25 Jun 2017
## AUTOREN
Martin Jahrfeld
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