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# taz.de -- Kolumne Gottlos: Nach mir die Sintflut
> Mit wallenden Röcken und Zahnspangen verstopfte U-Bahnen,
> Unterrichtsausfall und überall Sandalen. Ein Frevel, dieser Kirchentag in
> Berlin.
Bild: Läss Gott Christen gut riechen? Beim letzten Kirchentag in Stuttgart jed…
„Komm, sag es allen weiter /ruf es in jedes Haus hinein / Komm, sag es
allen weiter / Gott selber lädt uns ein.“ Da muss schon Gott herhalten als
Phantom eines Gastgebers, denn die Berliner haben niemanden zum Kirchentag
eingeladen. Im Gegenteil: Dass der schlecht synchronisierte Gleichschritt
von 140.000 Paar Trekkingsandalen nun ausgerechnet durch das Mekka des
Atheismus hallt wie einst die Stiefel der deutschen Besatzer durch die
Straßen von Paris, ist ein ähnlich symbolischer Frevel wider alles, wofür
die Stadt steht.
Und ein Schlag gegen die Bildung. Denn viele „Gäste“ werden für die Dauer
des Affentheaters in Schulen untergebracht. Die vorzeitig in die
Pfingstferien geschickten Kinder freuen sich natürlich. Das böse Erwachen
kommt erst zehn Jahre später, wenn sie einen Beruf ergreifen wollen. Wegen
Geld und so. Doch der Beruf ist zu schwierig, denn sie haben nichts
gelernt.
Aber ihre Zukunft ist den ungebetenen Gästen scheißegal: Sollen die Schüler
doch verrecken, nach uns – welch biblischer Gedanke! – die Sintflut. Das
diesjährige Motto der Veranstaltung „Du siehst mich“ müsste man durch „…
ich seh dich nicht“ an die Adresse der Berliner ergänzen. Die ganze Nacht
wird geträllert, gebetet und Messwein getrunken. Fromm und laut
geschnarcht.
Am Tag an roten Ampeln gestoppt und somit der gewohnte Verkehrsfluss
behindert. Die U-Bahnen mit wallenden Röcken, Klampfen und sperrigen
Zahnspangen verstopft. Viele benutzen kein Deo, weil sie denken, dass Gott
sie schon gut riechen lassen wird. Es gibt eh nur zwei Waschbecken in der
Schultoilette. Das reicht nicht für die Säuberung der fünftausend, da kann
man noch so lang für beten.
Dergleichen sollte in einem säkularen Staat weder öffentlichen Raum
einnehmen noch mit Millionen bezuschusst werden. Denn Religion ist
Privatsache, eine fragwürdige noch dazu: Die einen glauben an unfassbar
kindische Wunder, die nächsten halten sich für das auserwählte Volk, die
dritten essen zu scharf, wieder andere haben ein tierisches Problem mit
Frauen.
## Milder Frauenhass
Letzteres scheint ohnehin die Basisvoraussetzung für die Gründung einer
Religion zu sein. Dennoch mischen überall auch frömmelnde Weiber mit. Das
ist kein Widerspruch: Frauen pauschal zu besseren Menschen zu verklären,
die gegen Opportunismus, Indoktrination und Schwachsinn gefeit wären, wäre
auch nur eine Form von Sexismus.
Nun meint mancher, „Gottele, das sind doch bloß putzige Lutheraner“.
Christentum light. Milder Frauenhass. Und diese Dire Straits hörenden
Rotbäckchen seien ja völlig harmlos. Die Ansicht deckt sich auch mit der
eines Experten: „Mit einem Ruck durchbrach er (Luther) die Dämmerung, sah
den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen“ (Hitler über Luther).
Stimmt, sie feiern auch das Luther-Jahr. Wie Flipperkugeln des Glaubens
schussern deshalb die Shuttlebusse und -bahnen zwischen Berlin und
Wittenberg hin und her. Das lässt den Berlinern wenigstens ein bisschen
Luft zum Atmen.
25 May 2017
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
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