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# taz.de -- Kolumne Geht’s noch?: Humanismus ist das nicht
> Tumulte in Nürnberg, Explosion in Kabul – und Merkel setzt Abschiebungen
> nach Afghanistan aus. Aus rein taktischen Gründen.
Bild: Naiv ist, wer die drohende Blamage im Parlament mit Humanismus verwechselt
Es ließ sich in dieser Woche wie im Zeitraffer beobachten, wie verlogen und
zynisch deutsche Abschiebepolitik manchmal ist. Polizisten holen am
Mittwoch einen 20-jährigen Afghanen aus der Berufsschule in Nürnberg ab und
zerren protestierende Schüler brutal aus dem Weg. Der Innenminister stoppt
am selben Tag einen Abschiebeflug, weil es einen schweren Anschlag in Kabul
gab. Am Donnerstag beschließt Angela Merkels Regierung, Abschiebungen nach
Afghanistan auszusetzen.
Dahinter steckt keine Einsicht, sondern eine nüchterne Rechnung. Merkel,
die vielen als Flüchtlingskanzlerin gilt, wurde der Druck zu groß. Sie sagt
Abschiebungen nach Afghanistan ab, weil die Rauchwolke über Kabul jedem
Fernsehzuschauer vor Augen geführt hat: Afghanistan ist alles, aber nicht
sicher. Das Argument der Regierung, es gäbe in dem von Krisen und
Anschlägen geschüttelten Land sehr wohl sichere Gebiete für Flüchtlinge,
fällt angesichts der Wucht der Ereignisse in sich zusammen.
Ist jetzt alles gut? Leider nicht. Denn Merkel, ihre Union und große Teile
der SPD handeln nicht aus Überzeugung oder weil sie plötzlich den
Humanisten in sich entdeckt hätten. Ein Grund für den Schwenk war eine
drohende Blamage im Parlament. Viele skeptische SPD-Abgeordnete wären zu
einem Oppositionsantrag übergelaufen, wenn sich die Koalitionsspitzen nicht
bewegt hätten.
Außerdem ist bei alldem ein Wörtchen entscheidend: vorläufig. Merkel und
Co. setzen die Abschiebungen nur aus, sie stoppen sie nicht für immer. Und
für jene Geflüchteten, die ihre Identität dem Staat nicht beweisen können,
gilt diese Gnadenfrist ausdrücklich nicht. Hach ja, man kann die
Hintergedanken bei diesem halbherzigen Beschluss ja fast hören: „Okay, wir
müssen zumindest warten, bis sich der Rauch der Lastwagenbombe in Kabul
verzogen hat. Und dass deutsche Botschaftsbeamte oder die Piloten zu
Schaden kommen, das will ja wirklich niemand.“
Die wahre Botschaft von Merkels Kurskorrektur ist die von einer
Hierarchisierung. Die afghanischen Flüchtlinge, die uns nicht passen, darf
man zurück in Lebensgefahr schicken. Die, die sich in Deutschland um
Integration bemühen, werden über ihre Zukunft weiter im Unklaren gelassen.
Hoffnung verteilt diese Regierung nur in homöopathischen Dosen.
2 Jun 2017
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Abschiebung
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Angela Merkel
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Kabul
Schwerpunkt Afghanistan
Kabul
Schwerpunkt Afghanistan
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