# taz.de -- Neue Ausstellung in der Newton Stiftung: Der Akt des Ausziehens | |
> In der Helmut Newton Stiftung ist bei der Dreierschau „Mario Testino. | |
> Undressed. Helmut Newton. Unseen. Jean Pigozzi. Pool Party“ viel Haut zu | |
> sehen | |
Bild: Die Fotos von Helmut Newton in der neuen Schau im Fotodoppel | |
Helmut Newton ist einer der bedeutendsten Modefotografen des 20. | |
Jahrhunderts. Newton hinterließ ein umfangreiches Werk an Fashion,- Akt- | |
und Porträtfotografien, mit zahlreichen Retrospektiven würdigte man sein | |
Werk. Kurz vor seinem Tod 2003 gründete er seine eigene Stiftung – mit dem | |
Wunsch, auch anderen Fotografen eine Plattform zu geben. Dem kommt die | |
Helmut Newton Stiftung nun nach: Neben den Arbeiten des Namensgebers zeigt | |
sie derzeit in Berlin Werke des Londoner Starfotografen Mario Testino und | |
des französisch-italienischen Tausendsassas Jean Pigozzi. | |
Unter dem Titel „Unseen“ wird Newtons Arbeit mit bisher ungezeigten | |
kleinformatigen Originalabzügen Tribut gezollt. Gezeigt werden zahlreiche | |
Drucke aus der italienischen und französischen Vogue der Siebziger- und | |
Neunzigerjahre sowie Werbekampagnen und Auftragsarbeiten. Die Stärke dieser | |
Fotografien liegt in der subtilen Kombination von Nacktheit und Mode, in | |
ihrer fast schon überirdischen Eleganz. Auch provokant und visionär kann | |
Newton: Nadja Auermann lässt er in Anlehnung an Hitchcocks „Das Fenster zum | |
Hof“ in Netzstrümpfen in einem Rollstuhl posieren, halbnackte Model-Cyborgs | |
stattet er mir futuristischen VR-Brillen aus. | |
Seit 1956 nahm der 1920 in Berlin geborene Fotograf unzählige Strecken für | |
die Vogue und machte sich zudem als Society-Fotograf einen Namen. Catherine | |
Deneuve, Eva Herzigova, Kate Moss: Kaum ein bekanntes Gesicht hatte er | |
nicht vor der Linse. 1976 wurde sein erster Bildband unter dem Titel „White | |
Women“ publiziert. | |
## Mehr oder weniger nackt | |
Auch in „Unseen“ posieren ausschließlich weiße, mehr oder weniger nackte | |
Frauen zu Titeln wie „woman entering my apartment, naked“. Frauen, die | |
Weinreben pflücken, Frauen, die aus Autos steigen, Frauen, die auf Männer | |
starren. Oder umgekehrt? Newton inszeniert einen sehr männlichen Blick auf | |
die nackte Haut von überdurchschnittlich schönen, aber auch starken Frauen, | |
die sich ausziehen oder schon ausgezogen sind. Diese männliche Perspektive | |
wird von den Kuratoren nicht ausreichend thematisiert und problematisiert. | |
Man hätte sich gewünscht, sie hätten ihrerseits einen zeitgenössischen, | |
aktuellen Blick auf Newtons Werk geworfen. Sexismus – ja oder nein? Diese | |
Frage hätte man schon stellen dürfen. | |
Die Vielschichtigkeit der Motive wird nur in einigen Auftragsfotografien | |
deutlich, zum Beispiel in unprätentiösen Aufnahmen des Ensembles der | |
Choreografin Pina Bausch oder dem Ballet de Monte Carlo. Frauenhände | |
zerteilen da ein Hähnchen – auf den zweiten Blick wird klar, worum es im | |
Bild eigentlich geht: einen Bulgari-Klunker. | |
## Poppig und begehbar | |
Imposant und gleich auf mehreren Ebenen zeitgenössisch ist „Undressed“, der | |
zweite Teil der Ausstellung. Er zeigt poppige Studioaufnahmen von | |
Modefotograf Mario Testino (geboren 1954), überlebensgroß und als | |
begehbares Magazin konzipiert. Fünfzig auf Leinwände gezogene matte | |
Fotografien, die bis zur Decke reichen und den drei Ausstellungsräumen | |
dadurch eine ungesehene Plastizität geben. Das, wodurch sich die | |
Zuschauerinnen und Zuschauer bewegen, könnte ein überdimensionales | |
Fashionmagazin, aber genauso ein körperlich erlebbarer Instagram-Account | |
sein. Die Glastür zum Foyer lässt zudem einen Blick auf Newtons berühmte | |
Serie „Big Nudes“ frei. Testino gilt als großer Bewunderer. | |
Der gebürtige Peruaner, der unlängst in einem Interview sagte, er selbst | |
sei prüde erzogen worden, beschäftigt sich mit dem Akt des Ausziehens, aber | |
auch mit den Momenten dazwischen. Im Vordergrund steht der Akt des | |
Entkleidens, nicht der des Entblößens, der intime Moment des | |
Kontrollabgebens. Der Duktus erscheint nicht pornografisch, sondern | |
ästhetisch-erotisch, privat. Das zeigen androgyne Frauen und Männer in | |
Kleidern und ohne, mit Tätowierung und ohne, mit Lippenstift und ohne. | |
Testino selbst sagt, er mache keinen Unterschied zwischen männlichen und | |
weiblichen Akten. Diese „Gender Fluiditiy“ bereichert sein Werk, es geht | |
über binäre geschlechterspezifischen Zuschreibungen hinaus. | |
Jean Pigozzi (Jahrgang 1952), der dritte im Bunde, ist Fotograf, | |
Geschäftsmann und das Enfant terrible der Ausstellungsreihe. Pigozzi | |
bezeichnet sich als „french born Italian“, ist Sohn wohlhabender | |
Unternehmer, sammelt afrikanische und asiatische Kunst und veranstaltet | |
gerne illustre Pool Partys mit der Crème de la Crème der Kunst-und | |
Fashionszene. Die kleinformatigen Fotos der „Pool Party“ auf seinem Anwesen | |
im südfranzösischen Cap d’Antibes in den Neunzigerjahren vermitteln | |
erfrischende Spontaneität. Da tobt Naomi Campbell mit Pigozzis Hunden am | |
Pool, Mick Jagger liest juwelberingt bei einem Glas Hochprozentigem in der | |
Tageszeitung, und Helmut Newton lässt sich dabei fotografieren, wie er Jean | |
Pigozzi fotografiert. | |
bis 19. November in der Helmut Newton Stiftung/Museum für Fotografie, | |
Jebensstraße 2 | |
4 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Nora Voit | |
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