# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Thomas Tuchel, komm zu uns! | |
> Der „Müsli-Nerd us dem Schwabenland“: Warum werden Genies in Deutschland | |
> krankhaft als Soziopathen denunziert? | |
Bild: Es braucht einen gemeinsamen Spirit | |
Dies ist die Zeit der neuen Allianzen. Und der alten Ressentiments. Je | |
dringlicher die Allianzen für Morgen sind, desto stärker bobbern die | |
Gefühle von Gestern. Der Fall Borussia Dortmund KGaA und des in dieser | |
Woche entlassenen Trainers Thomas Tuchel steht exemplarisch dafür. Das war | |
eine neue Allianz von Gefühl und Hirn, von Folklore und Wissenschaft, von | |
Traditionsgefühlsbedürfnis und Moderne. Sie war spektakulär erfolgreich mit | |
einem Fußball an der Spitze der Entwicklung. Aber die beiden Kulturen | |
zeigten sich unfähig, es miteinander auszuhalten. | |
Es geht nicht darum, wer intern wann wem was sagte oder nicht. Es geht um | |
das über den Einzelfall Hinausweisende, das exemplarisch für die Zeit steht | |
– und eben längst nicht nur bei verängstigten, rechtsdrehenden | |
Kleinbürgern: Das Andere wird als das Fremde abgestoßen, weil das Ich sich | |
davon bedroht und entfremdet fühlt und dieses Gefühl nicht auszuhalten | |
bereit ist. Selbst in einem vordergründig differenzierten Beitrag des | |
BVB-Fanorgans „Schwatzgelb.de“ wird Tuchel scheinbar en passant als | |
dreifacher Fremder kenntlich gemacht, als „Müsli-Nerd aus dem | |
Schwabenland“. | |
Sich gut ernähren, digital-wissenschaftliche und intellektuelle Kompetenz | |
besitzen und dann noch Schwabe sein? So was Geiles wollen wir hier nicht. | |
Wäre ich aus Kalifornien, müsste ich zudem annehmen, dass in Deutschland | |
den Hochqualifizierten ihre Qualifikation und den Genies ihr Genie übel | |
genommen wird. | |
## Fachlich super, aber… | |
Damit das aber nicht so ist oder auffällt, wird die Diskussion sofort | |
verlagert und der hochbegabte Veränderer als Soziopath denunziert. Fachlich | |
super. Aber. | |
Es braucht einen gemeinsamen Spirit – und wer zu viele Alteingesessene | |
entfremdet, wird nichts reißen. Aber es ist auch immer die gleiche | |
Scheißgeschichte vom Fremden, der die eingeübten Gebräuche nicht geehrt und | |
die Leute nicht „mitgenommen“ habe. Bei dem Wort muss ich immer an eine | |
frühere Freundin denken, die bei der Arbeit zu sagen pflegte: „Man kann mit | |
mir über alles reden. Aber nicht so.“ Bis heute hat keiner so mit ihr | |
geredet, dass man mit ihr hätte reden können. | |
Ich sag’s mal anders: Warum hat das Unternehmen SPD Martin Schulz als | |
Spitzenkandidaten geholt, warum haben die Grünen Özdemir und Göring-Eckardt | |
gewählt? Weil sie bei denen keine Angst haben müssen, dass sich intern | |
wirklich was dreht. Die Politik der Weltveränderung wird auf der | |
Grundbedingung ausgerufen, dass der eigene Laden aber so weiterwurschteln | |
muss wie immer. Häh? | |
Auch wenn wir wissen, dass die eingeübten Bräuche keine Antworten mehr | |
geben auf die anstehenden Fragen, ist weiterwurschteln die naheliegende | |
menschliche Reaktion. | |
## Damit zumindest das Denken wieder vorankommt | |
Wurschteln as usual gibt uns Halt und Sicherheit und übrigens auch | |
Privilegien – ganz so selbstlos sind wir ja auch nicht, wie wir gerne tun. | |
Also ist es auch ein Wert. | |
Aber was es jetzt braucht, sind Einzelne, die fähig und bereit sind, ins | |
persönliche Risiko zu gehen. Und viele, die willens sind, neue Allianzen | |
auszuprobieren, experimentelle Mehrheiten zu bilden wie in | |
Baden-Württemberg, Frankreich und nun wohl auch in Schleswig-Holstein. | |
Damit zumindest das Denken wieder vorankommt. | |
Sich mit dem Fremden einzulassen, läuft nicht unter der „Bedingung“, dass | |
die anderen das eigene Programm komplett übernehmen. Es geht jetzt darum, | |
Andere, Fremde, Hochbegabte, Nerds, Müslifresser und Genies zu finden, die | |
etwas einbringen, das man selbst eben nicht hat – und das zuständige | |
Gremium auch nicht. Dafür muss man bereit sein, etwas auszuhalten. Vor | |
allem, dass der andere besser ist. Denn darum geht es. Mittelmäßig sind wir | |
ja schon selbst. | |
Seid ihr dabei? Dann lautet unsere Parole: Thomas Tuchel, komm zu uns! | |
3 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Thomas Tuchel | |
Fußball | |
Borussia Dortmund | |
Fußballvereine | |
Grüne | |
Grüne | |
FDP | |
Fußball | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Fußball | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schwarz-Gelb glänzt gold: Borussia soll volkstümlich bleiben | |
Auf der Bilanzpressekonferenz von Borussia Dortmund präsentiert Vereinschef | |
Watzke schöne Zahlen – zur wichtigsten schweigt er. | |
Kolumne Die eine Frage: Links, linker, grün | |
Würde, würde, Fünf-Prozent-Hürde. Sind die Grünen womöglich die | |
solidarischste Gerechtigkeitspartei – und wissen es selbst nicht? | |
Kolumne Die eine Frage: Zukunft wird aus Neuem gemacht | |
Wie machen Grüne die Welt wirklich besser? Lukas Beckmann, ein Protagonist | |
aus der Zeit der Parteigründung, hat die Antwort. | |
Kolumne Die eine Frage: Ökotrulla! Großkotz! Peng. | |
Die Meisten kennen gar keine FDP-Wähler. Jedenfalls keine, die es zugeben. | |
Darf man sich als Ökosozialer für die FDP interessieren – oder muss man? | |
Marcel Reif und der Fußball: Das Spiel seines Lebens | |
Als Kommentator verband er Kompetenz und Witz auf ungeahnte Weise. Dennoch | |
war Fußball für Marcel Reif lange „nur Fußball“. Bis heute? | |
Kolumne Die eine Frage: Macron Président! | |
Ist Emmanuel Macron tatsächlich nur das „kleinere Übel“ im Vergleich zu Le | |
Pen? Quatsch mit Soße: Er ist eine kleine Chance für patriotische Europäer. | |
Kolumne Pressschlag: Erstklassiger Scheißfußball | |
Die Furcht, künftig eine Liga tiefer antreten zu müssen, lässt die Clubs | |
schlechter kicken. Warum sollten wir uns das anschauen? |